Impfgegner verteilen sich räumlich nicht gleichmäßig. Vielmehr gibt es laut Studien „Hot Spots“ mit besonders vielen Verweigerern – eine Entwicklung mit Konsequenzen. Das Beispiel Masern zeigt: Die Zahl der Fälle hat sich in Deutschland von 2016 auf 2017 verdreifacht.
In Deutschland bleiben die Masern ein Thema. Einer der Brennpunkte ist momentan Köln. Das Gesundheitsamt spricht von 106 bestätigten Meldungen, Stand 13. Juni 2018. Im Vergleichszeitraum 2017 waren es gerade einmal neun Fälle. Weitere Hiobsbotschaften kommen aus den USA. Virologen berichteten zwar, sie hätten Masern bereits im Jahr 2000 ausgerottet. Doch der Schein trügt. Zwischen 2001 und 2015 haben sich die Fallzahlen wieder auf bis zu 667 Infektionen (2014) erhöht. In der Kohorte mit 1.789 Patienten hatten 1.243 keinen Impfschutz, und weitere 316 einen unklaren Impfstatus. Jetzt berichten amerikanische Forscher über Besonderheiten bei der räumlichen Verteilung von Impfskeptikern.
Zum Hintergrund: Ohne mit der Wimper zu zucken, verpflichten US-Behörden Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen. Ohne Schutz per Spritze dürfen öffentliche Einrichtungen wie Kitas oder Schulen die Aufnahme verweigern. Und das ist nicht nur graue Theorie, sondern wird rigoros umgesetzt. Impfgegnern bleibt dennoch eine Trumpfkarte. Wer weltanschauliche oder religiöse Zweifel glaubhaft macht, kann sich in 18 Bundesstaaten von der Impfpflicht freistellen lassen. Peter J. Hotez, Forscher am Baylor College of Medicine in Houston, Texas, machte sich zusammen mit Kollegen auf die Suche nach Trends bei Impfskeptikern. Ihm ging es um die zahlenmäßige Entwicklung, aber auch um die regionale Verteilung. Zusammen mit Kollegen analysierte er Routinedaten. In zwölf aller 18 Staaten entschlossen sich Eltern immer häufiger, die Sonderregelung in Anspruch zu nehmen. Hier wurden mathematische Trends aus Daten von 2009 bis 2017 ermittelt. Und in mindestens einem Drittel aller Staaten setzte sich der Trend auch jetzt noch weiter fort. Entwicklung der Zahl an medizinisch nicht begründeten Ausnahmen von der Impfpflicht in Kindergärten (*weiter Trend nach oben) © Hotez et al, PLOS Medicine Bei Detailanalysen fand Hotez mehrere „Hot Spots“ mit besonders hohen Zahlen an Impfverweigerern: Seattle und Spokane in Bundesstaat Washington, Portland in Oregon, Phoenix in Arizona, Salt Lake City und Provo in Utah, Houston, Fort Worth, Plano und Austin in Texas, Troy, Warren und Detroit in Michigan, Kansas City in Missouri sowie Pittsburgh in Pennsylvania. Im nächsten Schritt analysierten Forscher Beziehungen zwischen der Rate an Ausnahmegenehmigungen und dem Schutz gegen Mumps, Masern und Röteln (MMR). Wenig überraschend fanden sie einen reziproken Zusammenhang: In Regionen mit mehr Impfgegnern war auch der MMR-Schutz schlechter. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass in den genannten Ballungsräumen neue Schwerpunkte für die Bekämpfung von Impfstoffen gesetzt werden“, schreibt Hotez. Diese Regionen seien besonders gefährdet. Als Beispiel nennt er die Masernepidemie 2014/2015 im Disneyland Anaheim. Damals hatten sich aufgrund niedriger MMR-Raten 147 Personen mit dem Virus infiziert. „Strengere gesetzliche Maßnahmen für medizinisch nicht begründete Ausnahmen von Impfungen sollten eine höhere Priorität erhalten“, fordert der Wissenschaftler. Er nennt jedoch keine Erklärung für die ablehnende Haltung vieler Amerikaner.
Recherchen in US-Medien liefern unterschiedliche Erklärungsansätze speziell für die USA:
Ähnliche Untersuchungen zur regionalen Verteilung von Impfgegnern sind auch bei uns von Bedeutung. So traten besonders viele Masernfälle in den Kölner Stadtteilen Ehrenfeld und Neuehrenfeld auf. Benjamin Goffrier vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) hat Quoten der Masern- und Meningokokken-C-Impfungen mit Angaben zum Landkreis in Verbindung gebracht. Zwar fand er für Gegenden mit hoher oder mittlerer Impfquote kein eindeutiges räumliches Muster. Anders sah die Sache bei Clustern mit niedrigen Impfquoten aus. Hier entdeckte Goffrier einige Besonderheiten. In Bayern und Baden-Württemberg fand er eine größere zusammenhängende Region mit signifikant niedrigeren Impfquoten für beide Vakzine, verglichen mit dem Bundesdurchschnitt. Nur der Großraum München bildete eine Ausnahme. Regionale Cluster mit niedriger Impfrate sind in Süddeutschland zu finden. © ZI Anschließend machte sich Goffrier auf die Suche nach Erklärungen. Er fand heraus, dass die Impfquoten vor allem in Regionen mit hohem Haushaltseinkommen, geringer Arbeitslosenquote und geringer gesundheitlicher Belastung niedrig sind. Der Autor verweist zur Erklärung auf die Dissiertation von Marin Weigel, Uni Greifswald. Weigel fand heraus, dass Ärzte in Süddeutschland Impfungen gegenüber deutlich negativer eingestellt sind als ihre Kollegen in anderen Regionen. „Dies mag ebenso wie eine impfkritische Haltung der dort lebenden Eltern zu den niedrigen Impfquoten beigetragen haben“, schreibt Goffrier. „Die Ergebnisse der sozioökonomischen Indikatoren könnten darauf hinweisen, dass gerade in besser gestellten Milieus die individuelle Auseinandersetzung mit der Impfung des Kindes eine hohe Bedeutung hat“, ergänzt der Experte. Das heißt im Klartext: Während schlechter gestellte Menschen eher ihrem Arzt vertrauen, bilden sich wohlhabendere selbst ihre Meinung. Das Ergebnis entspricht deutlich seltener medizinischen Empfehlungen. Angesichts dieser Besonderheiten fordert Goffrier in seiner Studie von Politikern, regionale Aktionen für impfkritische Ärzte und Eltern zu entwickeln. Als Beispiel nennt er „Impfen: Eine wirkungsvolle Vorsorgemaßnahme“ aus Bayern. Sie richtet sich an Health Professionals und an Laien, etwa mit der "bayerischen Impfwoche". Im Fokus standen zuletzt junge Familien als Zielgruppe, die Ärzte kaum in ihrer Sprechstunde sehen. Sie werden medienwirksam über den Mehrwert von Impfungen informiert. Mediziner bekommen auch ihr Fett ab. Viele Kollegen schlampen bei sich selbst, wenn es um Vakzine geht. Auf die Notwendigkeit, sich als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter im Gesundheitsbereich zu impfen, macht die Impfwoche ebenfalls aufmerksam.