Blutgefäße übernehmen eine bisher unbekannte Rolle bei der Entwicklung neuronaler Netze im Gehirn. Neurowissenschaftler fanden nun heraus, wie die beiden Bereiche miteinander kommunizieren. Damit lassen sich neue Ansätze für die Therapie von Demenz oder psychischen Erkrankungen finden.
Die Funktion und Homöostase des Gehirns hängt von der Kommunikation innerhalb des komplexen Zellnetzwerks ab, das dieses Organ ausmacht. Dementsprechend muss die Entwicklung der verschiedenen Zellengruppen im Gehirn räumlich und zeitlich koordiniert werden.
Die Gruppe um Prof. Amparo Acker-Palmer vom Buchmann Institut für Molekulare Lebenswissenschaften und dem Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaften der Goethe-Universität berichtet in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift Science über eine bisher unbekannte Funktion von Blutgefäßen bei der Orchestrierung der korrekten Entwicklung von neuronalen Zellnetzwerken im Gehirn.
Reelin sorgt für Überraschung
Dass das Blutgefäßsystem im Gehirn notwendig ist, um Neuronen und Gliazellen mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen, um den Stoffwechsel der neuronalen Netzwerke zu unterstützen, ist bekannt. „Wir wissen seit einigen Jahren, dass das Gefäß- und Nervensystem einen sehr ähnlichen Bausatz verwenden, um sich zu entwickeln und zu funktionieren. Daher sind wir davon ausgegangen, dass solch ein gemeinsamer Bausatz auch dafür verwendet werden könnte, dass sich beide Systeme synchron entwickeln und miteinander kommunizieren, um so eine korrekte Hirnfunktion zu gewährleisteten“, erklärt Acker-Palmer.
Um die Kommunikation zwischen Blutgefäßen und neuronalen Zellen zu untersuchen, haben die Neurowissenschaftler und Biologen verschiedene Aspekte der neurovaskulären Entwicklung genauer betrachtet. Als bewährtes Modell für die Gefäßentwicklung, nutzten sie Mäusenetzhäute, um für das Gefäßwachstum wichtige Moleküle zu untersuchen.
Dabei haben sie entdeckt, dass ein Molekül, Reelin, das die neuronale Migration beeinflusst, unabhängig davon auch in der Lage ist, mit einem sehr ähnlichen Signalmechanismus das Wachstum von Gefäßen zu beeinflussen, indem es den ApoER2-Rezeptor und das Dab1-Protein in Endothelzellen aktiviert.
Endothelzellen leiten Neuronen an
Eine sehr wichtige Struktur im Gehirn ist der Cortex cerebri, der eine Schlüsselrolle bei sämtlichen Grundfunktionen wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Sprache und Bewusstsein spielt. Neuronale Zellen in der Großhirnrinde sind in Schichten organisiert, die sich während der embryonalen Entwicklung bilden. „Wir haben uns dafür entschieden, ausschließlich die Signalkaskade von Reelin aus den Endothelzellen zu eliminieren und dann zu schauen, wie das die Organisation von Neuronen und Gliazellen in der Großhirnrinde beeinflusst“, erklärt Acker-Palmer.
Auf diese Weise kamen die Wissenschaftler auf die erstaunliche Erkenntnis, dass Endothelzellen die Neuronen zu ihrer korrekten Position in der Großhirnrinde anleiten. Als Wirkmechanismus konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Endothelzellen Laminin sekretieren, das in der Extrazellulären Matrix um die Gefäße angesammelt wird, um die Fasern der Gliazellen richtig zu verankern, die für die korrekte neuronale Migration und korrekte Entwicklung der Großhirnrinde notwendig sind.
Signalwege und Mechanismen verstehen lernen
Im reifen Gehirn umwickeln Gliazellen auch die Blutkapillare und verhindern, dass schädliche Substanzen aus dem Blutfluss in das Gehirn eindringen können. Diese Blut-Hirn-Schranke ist eine wesentliche Struktur, die im Gehirn entwickelt wird, um die Homöostase aufrechtzuhalten.
Bedeutsam ist, dass Acker-Palmer und ihr Team darüber hinaus gezeigt haben, dass die gleichen Signalkaskaden, die Endothelzellen in der Großhirnrinde benutzen, um neuronale Migration zu orchestrieren, auch dafür benutzt werden, die Kommunikation an der Blut-Hirn-Schranke herzustellen.
„Einige neuropsychiatrische und neurodegenerative Störungen sind mit einer abnormalen neurovaskulären Kommunikation in Verbindung gebracht worden. Von daher ist es wesentlich, die Signalwege und Mechanismen in dieser Kommunikation zu verstehen, um neue Ansätze für die Behandlung von Demenz und psychische Erkrankungen zu finden“, so die Frankfurter Professorin.
Der Text basiert auf einer Pressemitteilung der Goethe-Universität Frankfurt.