Stärker und gefährlicher als natürliche Cannabinoide sind ihre synthetischen Verwandten: In den USA treten immer häufiger schwere Nebenwirkungen beim Konsum von „Spice“ oder „K2“ auf. Experten sprechen von einem bedenklichen Trend. Wie ist die Situation hierzulande?
Mehr als 255 Menschen stellten sich in diesem Frühjahr in Illinois mit ungewöhnlich starken Blutungen in Notfallambulanzen vor. Acht von ihnen starben aufgrund einer Koagulopathie. Es stellte sich heraus, dass alle Betroffenen eine mit Rattengift kontaminierte Räuchermischung „Spice“ oder „K2“ geraucht hatten. Die Hämatologin Jean M. Connors spricht aufgrund zunehmender Vorfälle mit schweren Nebenwirkungen beim Konsum von synthetischen Cannabinoiden inzwischen von einer neuen Epidemie. Die Food and Drug Administration (FDA) hat angesichts dieses Vorfalls eine Warnung vor dem Konsum herausgegeben.
Für Aufsehen sorgte bereits im Jahr 2016 eine Massenvergiftung in einem New Yorker Vorort. Augenzeugen und Medien berichteten von einer „Zombie“-Epidemie: Über 30 Menschen taumelten orientierungslos, mit leerem Blick und stöhnend durch die Straßen. Die Symptome deuteten auf Drogen hin, doch keine bekannte Substanz konnte den Effekt erklären. Erst einige Monate später wurde die Substanz als AMB-FUBINACA identifiziert, die für das merkwürdige Verhalten der Personen verantwortlich war. Die Betroffenen hatten „AK-47 24 Karat Gold“ geraucht. Eine Kräutermischung, die das synthetische Cannabinoid AMB-FUBINACA enthielt. Dieser Fall ging für alle Patienten glimpflich aus. Trotzdem macht sich hier ein gefährlicher Trend bemerkbar, wie Hämatologin Jean M. Connors in ihrer Arbeit warnt.
Ursprünglich wurden synthetische Cannabinoide oder auch neue psychoaktive Substanzen (NPS) für die pharmazeutische Forschung entwickelt, um das Endocannabinoid-System des Menschen zu erforschen. Wie das bekannte Cannabinoid Tetrahydrocannabinol (THC) aus der Hanfpflanze binden die künstlich hergestellten Substanzen an Cannabinoidrezeptoren im Körper. Sie sollen daher ähnlich wie Cannabis, Ecstasy und Amphetamine wirken. Oft haben die synthetischen Cannabinoide aber eine höhere Affinität zum Rezeptor und zeigen dadurch verglichen mit Cannabis eine gesteigerte Wirkung. Durch winzige Änderungen der chemischen Struktur lassen sich relativ einfach neue synthetische Cannabinoide herstellen. Weil entsprechende Methoden fehlen, lassen sie sich in Blut, Serum oder Urin von Konsumenten oft nur schwer nachweisen.
Die am häufigsten kurzfristigen negativen Effekte beim Konsum von NPS sind Herzrasen, Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen, Übelkeit und Panikattacken. Mittel- und langfristige negative Folgen sind starkes Substanzverlangen und Entzugssymptome. Auch Psychosen sind beim Konsum dieser Drogen keine Seltenheit. Einen besonders tragischen Fall beschreiben Toxikologen in einem Fallbericht: Ein junger Mann stirbt, weil er sich selbst eine stark blutende Schnittverletzung am Hals zufügt. Psychische Vorerkrankungen hatte er nicht. Im Blut finden die Ärzte Spuren des synthetischen Cannabinoids AM-2201.
In repräsentativen Umfragen von 2011 und 2014 gaben jeweils vier Prozent der Befragten in Deutschland an, schon einmal NPS pobiert zu haben. Wie hoch der Konsum von NPS in Deutschland aber tatsächlich ist, lässt sich nur schwer sagen. Das liegt vor allem daran, dass es so viele unterschiedliche NPS gibt und immer wieder neue auftreten. Alleine im Jahr 2015 meldete das EU-Frühwarnsystem 100 neue NPS, womit die Gesamtzahl der von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) überwachten Substanzen auf über 560 anstieg.
Weil diese Substanzen laut Einschätzung des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs nicht unter den Arzneimittelbegriff fallen, kann man auch nicht mit dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) gegen sie vorgehen. Um die weitere Vebreitung dieser „Legal Highs“ in Deutschland zu unterbinden, hat die Bundesregierung 2016 ein neues Gesetz erlassen: das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG). Es verbietet, mit einem neuen psychoaktiven Stoff Handel zu treiben, ihn in den Verkehr zu bringen, ihn herzustellen, ihn zu verlagern, ihn zu erwerben, ihn zu besitzen oder ihn einem anderen zu verabreichen (§ 3 Abs. 1 NpSG). Zu den Stoffgruppen gehören neben Cannabinoidmimetika und synthetischen Cannabinoiden auch Derivate des 2-Phenylethylamins.
Ob das Gesetz zwei Jahre nach seiner Einführung schon zur Eindämmung der Verbreitung von NPS geführt hat, wurde bislang nicht untersucht. Laut einer Studie konnten ähnliche Repressionen in anderen europäischen Ländern bislang nicht zu einer Eindämmung führen.
Artikel von Anke Hörster