Im Englischen unterscheidet man zwischen "job" und "profession". Ärzte gehören zu den klassischen Professions. Sie handeln, indem sie Wissen anwenden und selbstständig entscheiden. Diese Autonomie wird weltweit immer mehr bedroht, das Gesundheitswesen wird Teil der Marktwirtschaft. Das hat Folgen für die Ärzteschaft. Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Paul Unschuld.
Als Carr-Saunders und Wilson 1933 ihre Studie The Professions veröffentlichten, lenkten sie erstmals in der Soziologie die Aufmerksamkeit auf diejenigen Berufsgruppen, die in Deutschland unter der mittlerweile kaum noch verwendeten Bezeichnung „Standesberufe“ bekannt waren. Dazu zählten die Theologen, die Juristen und die Ärzte.
Carr-Saunders und Wilson waren die ersten, die sich fragten, was die professions von anderen Berufsgruppen unterscheidet. Viele weitere Studien sind seitdem erschienen und die Begriffe professionalisation und deprofessionalisation sind heute weit verbreitet. Im Deutschen werden sie meist unübersetzt übernommen.
Dabei zeigt erst die sinngemäße Übertragung, welche Bedeutung sie haben: Die „Professionalisierung“ ist die Verselbstständigung, also die zunehmende Freiheit einer Berufsgruppe, sich ihr Wissen selbst zu schaffen, selbst zu bestimmen, wann dieses Wissen anzuwenden ist, und schließlich auch selbst zu entscheiden, wie die Anwendung dieses Wissens zu entlohnen ist.
Das Gegenteil ist die „Deprofessionalisierung.“ Damit ist die zunehmende Unterordnung dieser Freiheiten unter die Weisung und Interessen anderer Gruppen gemeint.
Ärzte werden immer mehr entmündigt
Genau hier lohnt es sich, auf den Wandel im Gesundheitswesen zu schauen. Keine Berufsgruppe kann von sich behaupten, zu 100 Prozent die genannten Freiheiten als höchste Stufe der „Verselbstständigung“ zu genießen. Aber im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Ärzte allmählich einem imaginären Höhepunkt genähert – bis die Entwicklung wieder rückgängig gemacht wurde.
Man kann die heute erkennbare „Deprofessionalisierung“ der Ärzteschaft auch als Entmündigung bezeichnen. Das ist nicht allein das Werk einzelner Gesundheitspolitiker und es liegt auch nicht nur am Versagen der Standesvertreter. Die zunehmende Einengung der ärztlichen Berufsfreiheit ist in allen Industrienationen zu beobachten – je nach historischen Bedingungen verläuft sie unterschiedlich.
Vom Gesundheitswesen zur Gesundheitswirtschaft
Das Gesundheitswesen wird bewusst in eine „industrielle Gesundheitswirtschaft“ umgewandelt. Da gelten die Gesetze der industriellen Marktwirtschaft. Ärztliche Kompetenz und Ethik werden dieser Entwicklung untergeordnet.
Tatsache ist, dass die Ärzteschaft in der Presse, unter den Versicherungen, unter den Investoren, in der Industrie und unter den politisch Verantwortlichen kaum Mitstreiter begrüßen kann, die ihr behilflich sind, ein „Standesberuf“ zu bleiben.
Gibt es einen Ausweg? Vielleicht. Wenn die Patienten aufbegehren. Sie müssen wir als Mitstreiter für die Wahrung und stückweise Wiedergewinnung unserer ärztlichen Berufsfreiheit gewinnen.
Gastbeitrag von Prof. Dr. Paul Unschuld. Der Medizinhistoriker erhielt im November 2017 die Kaspar-Roos-Medaille des NAV-Virchow-Bundes für Verdienste um das Ansehen der Ärzteschaft. Seine Definition der ärztlichen Freiberuflichkeit prägt das Selbstverständnis der Ärzteschaft.
Unschuld war Professor an der Johns-Hopkins-University in Baltimore und Vorstand des Instituts für Geschichte der Medizin an der Universität München. Seit 2006 ist er Professor und Direktor des Instituts für Chinesische Lebenswissenschaften der Charité-Universitätsmedizin Berlin.
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