Dr. Brigitte Szaszi ist Landärztin in Baden-Württemberg. Sie kümmert sich nicht nur um ihre Patienten, sondern auch um ihre beiden schulpflichtigen Kinder. Alles nicht so einfach als Hausärztin auf dem Land. Dabei könnte es doch ganz anders sein. Ein Gastbeitrag.
Dass wir sehenden Auges in eine Versorgungskrise auf dem Land hineinsteuern, ist mittlerweile auch vielen Politikern bewusst. Mobile Versorgungskonzepte wie Patientenbusse helfen hier nur bedingt. Mehrere Bundesländer haben Förderprogramme und Landarztstipendien eingerichtet, die Landarzt-Nachwuchs anlocken sollen.
Aber damit ist es nicht getan. Das hat der BVMD ganz klar und richtig kritisiert.
Junge Kollegen schreckt nicht nur das finanzielle Risiko einer Niederlassung am Land ab. Sie suchen auch gute Lebens- und Arbeitsbedingungen, oder in anderen Worten: eine optimale Work-Life-Balance.
Gute Work-Life-Balance und wenig Risiko finden viele junge Ärzte in MVZ. Aber MVZ werden meist nur in den großen Städten, nahe Krankenhäusern, eröffnet. Das Land braucht also ein Gegenmodell zum MVZ: zum Beispiel eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft (BAG).
Mehr Flexibilität dank überörtlicher BAG
In einer überörtlichen BAG könnten erfahrene Ärzte beispielsweise die Koordination, Supervision und Weiterbildung übernehmen. Dafür ließen sich sicher sogar einige Kollegen aus dem Ruhestand zurückholen. Die Niederlassungsneulinge hätten damit eine Art Mentor an der Seite, der sie durch die anstrengenden ersten Jahre begleitet.
Ein solches Modell schafft die notwendige Flexibilität gerade für Ärztinnen mit kleinen Kindern. Wird ein Arzt, oder dessen Nachwuchs, krank, könnte ein Kollege aus einer Partnerpraxis einspringen.
Ziel sollte es aber sein, immer die gleichen Kollegen in der jeweiligen Praxis vor Ort zu halten. Die Landbevölkerung will schließlich eine Bindung zu „ihrem“ Arzt aufbauen – da wird man als Arzt schon mal beim Metzger zwischen Rinderbraten und Lyoner auf die aktuellen Blutwerte angesprochen, oder soll am Kindergartentor den Ausschlag des Geschwisterkindes betrachten. Das sind andere Ansprüche als in der Stadt. Das ist übrigens noch ein Grund mehr, warum die politisch gewollte Erhöhung der Sprechstundenzeiten kompletter Unfug ist.
Auch Wochenenddienste und Nachtdienste sind für Ärztinnen mit Kindern ein großes Thema und sicherlich ein wichtiger Hinderungsgrund für eine Niederlassung. Was tun, wenn man abends oder am Wochenende zu einem Notfall gerufen wird, wenn Kindergärten und Tagesstätten geschlossen sind? Nicht jeder hat wie ich eine Familie im Hintergrund, die einspringt und auch noch so viel Verständnis für den Beruf aufbringt. Je nach Höhe des Dienstaufkommens kann der Notdienst für Ärztinnen mit Kindern sehr schwierig bis unmöglich werden; vor allem in dünn besiedelten Gebieten, wo sich weniger Ärzte die Dienste teilen.
Zentralen Notfallpraxen können eine große Hilfe sein, um Dienste zu reduzieren oder sogar ganz „wegzutauschen“. Im Idealfall gibt es in der Notfallpraxis einen Sitzdienst und einen Fahrdienst, und die Ärztin im Fahrdienst wird von einem Fahrer begleitet. Als Frau geht man ungern alleine in der Nacht zu einer unbekannten Person. Nur eine von drei Ärztinnen im Bereitschaftsdienst fühlt sich sicher. Eine Begleitung wäre eine enorme Verbesserung und dringend notwendig.
Für eine attraktive Work-Life-Balance am Land braucht es aber auch abseits der Praxis die entsprechende Infrastruktur: Kindertagesstätten, Schulen, Kinderbetreuung, aber auch Apotheken, Lebensmittelgeschäfte und Banken. Das sind Faktoren, die nicht nur den Ärzten selbst zugutekommen, sondern auch deren Familien – schließlich müssen die Partner und Kinder auch mit dem Leben am Land einverstanden sein.
Finanzielles Risiko minimieren
Was die wirtschaftliche Seite der Niederlassung betrifft: Länder, KVen, Krankenkassen und Kommunen müssen stärker zusammenarbeiten und Praxisgründung finanziell unterstützen, Honorarzuschüsse für unterversorgte Regionen leisten, Hausbesuche und andere Leistungen adäquat bezahlen, und Schutz vor Regressen bieten. Hausärzte auf dem Land, wo der Weg zum Facharzt weit ist, sollten mehr und breiter verordnen dürfen. Es muss an vielen kleinen Rädchen gedreht werden, um das finanzielle Risiko einer Niederlassung auf dem Land zu senken.
Ich spreche aus hausärztlicher Brille, aber ich bin mir sicher: Die grundlegenden Probleme und die notwendigen Maßnahmen betreffen alle Niedergelassenen gemeinsam. Von den Lösungen profitieren letztendlich nicht nur BAG, sondern auch Einzel- oder kleinere Gemeinschaftspraxen und Arztnetze; nicht nur Hausärzte, sondern auch Fachärzte. Darum ist es sinnvoll, als fachübergreifender Verband der niedergelassenen Ärzte genau dafür Berufspolitik zu machen.
Früh ansetzen für mehr Landärzte
Natürlich brauchen wir insgesamt auch mehr Medizinstudenten, und hierunter mehr, die Allgemeinmedizin machen möchten. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende letzten Jahres müssen die Universitäten gerade ihre Zulassungskriterien überarbeiten. Auswahlgespräche sind sinnvoller – besonders im Zusammenhang mit Landarztstipendien. Niederlassungswillige sollten bevorzugt zum Studium zugelassen werden und mit Fördergeldern oder Stipendien unterstützt werden, wenn sie sich verpflichten, als Landarzt tätig zu sein. In Bayern passiert das bereits.
Während des Studiums muss die Allgemeinmedizin stärker beworben werden. Je früher im Studium die Studierenden mit niedergelassenen Kollegen in Kontakt kommen desto besser. In Praktika können sie den Praxisalltag kennenlernen. Die persönliche Erfahrung nimmt Ängste und Vorurteile und schürt die Begeisterung. Als Landarzt tätig zu sein muss Freude bereiten. Es ist schließlich kein Beruf. Es ist eine Berufung.
Ich pflichte meiner Kollegin Dr. Christiane Wessel, Vorsitzende der Landesgruppe Berlin/Brandenburg beim NAV-Virchow-Bund, bei: Wir brauchen mehr Weiterbildung im ambulanten Bereich und mehr Ärzte, die weiterbilden möchten. Warum nicht auch Kollegen im Ruhestand miteinbeziehen, die sowohl ihr medizinisches als auch ihr betriebswirtschaftliches Knowhow weitergeben möchten?
Gezielt fördern und unterstützen
Bei guter Vorbereitung und gezielter Hinführung, sowohl medizinisch als auch betriebswirtschaftlich, verliert die Selbständigkeit ihren Schrecken. Wieso übernehmen gerade Kinder von Hausärzten die Praxis? Wohl kaum, weil es so schrecklich war, was der Vater oder die Mutter berichteten. Im Gegenteil: Die Ärzte zweiter Generation haben sich schon früh mit der Thematik auseinandergesetzt und sich trotzdem, oder gerade deswegen, für die Nachfolge entschieden.
Ein starker Ärzteverband kann hier noch mehr Sicherheit geben. Junge Ärzte auf dem Land sind mit den Themen Niederlassung, Praxisgründung, Praxisführung, aber auch Kooperation und Vernetzung hervorragend beim NAV-Virchow-Bund aufgehoben. Hier bekommt man geballtes Expertenwissen in Form von Rechtsberatung, Musterverträgen, Tipps zum Praxismanagement und zur Personalführung. Das ist eine absolut hilfreiche Ergänzung zum eigenen Fachverband. Junge Ärzte müssen wissen, wo sie Hilfe und Antworten bekommen.
Dr. Brigitte Szaszi ist Vorsitzende der Landesgruppe Baden-Württemberg des NAV-Virchow-Bundes.
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