75 Mal täglich werden in Deutschland niedergelassene Ärzte oder ihre Mitarbeiter körperlich angegriffen. Beleidigungen und Beschimpfungen kommen sogar noch häufiger vor.
In der jüngsten Zeit häuften sich Berichte von Übergriffen auf Rettungskräfte und Helfer. Jetzt liegen erstmals belastbare Zahlen vor, die beweisen, dass Gewalt durch Patienten nicht nur ein Problem für Einsatzkräfte ist. Auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sind betroffen.
(Infografik: Gewalt gegen Ärzte | NAV-Virchow-Bund 2018)
Diese Zahlen stammen aus dem Ärztemonitor 2018, der deutschlandweit größten, repräsentativen Umfrage unter Ärzten und Psychotherapeuten. Die Umfrage wird alle zwei Jahre vom Verband der niedergelassenen Ärzte (NAV-Virchow-Bund) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Auftrag gegeben.
Seit 2017 sind Gewalthandlungen gegenüber Polizisten und Rettungskräften ein eigener Straftatbestand mit verschärftem Strafrahmen (StGB §§ 113—115). Der ärztlichen Selbstverwaltung, allen voran dem NAV-Virchow-Bund, geht das Gesetz aber nicht weit genug. Denn die niedergelassenen Ärzte, die bei Hausbesuchen oder in ihren Praxen bedroht oder angegriffen werden, bleiben außen vor.
Das BMG sah bislang keinen Grund, § 115 StGB nachzubessern – zumindest bevor der NAV-Virchow-Bund und die KBV kurz vor dem Ärztetag konkrete Zahlen veröffentlichten und damit klar machten: Gewalt ist auch im ambulanten Bereich ein echtes Problem.
Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Verbands der niedergelassenen Ärzte, beobachtet in seiner eigenen Praxis, dass die Gewaltbereitschaft gegenüber ihm und seinen Mitarbeiterinnen steigt. „Unabhängig von Herkunft und sozialer Schicht nehmen die verbalen und körperlichen Übergriffe zu. Ich persönlich zeige jeden dieser Angriffe konsequent an, und ich rate allen meinen Kolleginnen und Kollegen das Gleiche zu tun.“ Schon wenn ein Patient das Wartezimmer nicht verlassen will, sei das Nötigung und damit strafbar.
Bereits 2015 berichtete das Deutsche Ärzteblatt, dass unglaubliche 91 Prozent der Hausärztinnen und -ärzte im Laufe ihrer ärztlichen Tätigkeit mit aggressivem Verhalten konfrontiert werden. Während die Befragten das allgemeine Sicherheitsgefühl in der Praxis als hoch bewerteten, fühlte sich nur eine von drei Ärztinnen bei Hausbesuchen während des Bereitschaftsdienstes sicher. Helfen könnten zum Beispiel eine Sicherheitsstruktur mit Rückmeldesystemen nach erfolgtem Besuch oder Diensttelefonen mit Alarmfunktion.
Einige KVen erproben derzeit, ob die Begleitung der Bereitschaftsärzte durch Fahrer zu mehr Sicherheit führt. Andere bieten Fortbildungsveranstaltungen zur Sicherheit im Bereitschaftsdienst und bei Hausbesuchen an. Andere Länder sind da schon weiter. Australien hat bereits 2009 das Sicherheitsprogramm „General Practice – a safe place“ für Allgemeinärzte eingeführt.
Der NAV-Virchow-Bund möchte ein Meldesystem bei den KVen einführen, um Gewalt gegen Ärzte noch besser quantifizieren zu können. Der Verband fordert ergänzend, § 115 StGB auf alle Ärzte und alle Berufe mit unmittelbarem Patientenkontakt auszudehnen. Der 121. Deutsche Ärztetag unterstützte diese Forderung und sandte ein starkes Signal Richtung Regierung. Der Verband der niedergelassenen Ärzte sieht aber auch die Kassen in der Pflicht. „Es geht nicht an, dass Ärzte allein gelassen werden, wenn sie den Patienten unpopuläre Kürzungen im Gesundheitswesen mitteilen müssen“, erklärte Dr. Dirk Heinrich in einem ZDF-Interview. „Da wünsche ich mir von den Politikern und den Krankenkassen wesentlich mehr Unterstützung.“
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