Politiker und Krankenkassen unterstellen uns Ärzten, dass wir zu wenig arbeiten. So können sie die wahren Ursachen für Wartezeiten und andere Probleme im Gesundheitswesen bequem verdrängen.
Ärzte sind faul, zumindest wenn man nach den Äußerungen von Politikern und Krankenkassenvertretern aus der letzten Zeit geht. Das zeigt sich am deutlichsten im Plan, die Mindestsprechstunden von 20 auf 25 Stunden zu erhöhen.
Die Idee stammt vom GKV-Spitzenverband. Er erklärt die Wartezeitenproblematik damit, dass Ärztinnen und Ärzte zu wenig arbeiten würden. Dabei belegen seriöse Statistiken, dass niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte rund 52 bis 55 Stunden pro Woche arbeiten. Die wahren Gründe werden geflissentlich ausgeblendet: allgemeiner Ärztemangel, fehlende Ärzte in bestimmten Fachgruppen, Überinanspruchnahme und Budgetierung.
Ähnliches erleben wir beim Notfalldienst. Krankenkassenvertreter behaupten unentwegt die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) würden ihren Aufgaben nicht nachkommen. Sie schweigen aber, warum der organsierte Notfalldienst der KVen die letzten 50 Jahre hervorragend funktioniert hat und nun seit zwei Jahren angeblich nicht mehr. Sie verschweigen, dass sich das Patientenverhalten verändert hat, und dass Krankenhäuser intensiv für ihre Notaufnahmen werben.
Bei uns niedergelassenen Ärzten ist die Nachfrage ganz ohne Werbung in den letzten Jahren enorm gestiegen. Viele Praxen können den Patientenansturm gar nicht mehr bewältigen. Patienten kommen wegen Kleinigkeiten und Befindlichkeitsstörungen zu uns, die man früher einfach zu Hause behandelt oder abgewartet hat. Immer mehr Patienten wollen sofort behandelt werden und diskutieren aggressiv um Termine. Ich nenne das „Zalando-Mentalität“. Kein Wunder, dass wir Ärzte immer öfter Opfer von verbaler Gewalt werden.
Zwischen Realitätsverweigerung und Schizophrenie
Kassen und Politiker dagegen zeigen lieber bequem mit dem Finger auf „die Ärzte“. Anstatt gemeinsam mit uns echte Lösungen zu erarbeiten, erfinden sie Pseudolösungen wie die Terminservicestellen.
Immerhin wird vermutlich die Einführung von fünf offenen Sprechstunden bei bestimmten Arztgruppen zusätzlich finanziert. Gesundheitsminister Spahn sagte gegenüber dem Ärzteblatt, dass „Ärzte, die uns dabei helfen die Versorgung zu verbessern, höher und besser vergütet werden sollen“. Der GKV-Spitzenverband sah das gar nicht gern und kommentierte: „mehr Geld in Form von Zuschlägen oder dergleichen alleine dafür, dass die niedergelassenen Ärzte in ihrer Gesamtheit die Aufgaben im Bereich der Sprechzeiten und der Terminvergabe nicht länger vernachlässigen, lehnen wir ab.“
Da sind sie wieder, diese faulen Ärzte! Zusätzliche Vergütung für zusätzliche Arbeit ist in einer Leistungsgesellschaft eigentlich eine Selbstverständlichkeit – nur nicht in der Medizin und nicht für deutsche Krankenkassenvertreter, die selbst tarifvertragsgeschützt 38,5 Stunden pro Woche arbeiten.
Wenn Spahn hart bleibt und tatsächlich die Vergütung erhöht, wird führt das zu einer paradoxen Situation: Für Patienten mit Termin werde ich in Hamburg dann um 20 Prozent schlechter vergütet als für Patienten in offenen Sprechstunden.
Besser wäre es die Budgetierung, beginnend bei den Grundleistungen, zu beenden. Nur dann machen freiwillige, offene, zusätzlich vergütete Sprechstunden überhaupt Sinn.
Kooperieren Sie – oder wir zwingen Sie!
Vor 20 Jahren hat man uns bekniet, doch bitte endlich Terminsprechstunden einzuführen. Das Warten in Wartezimmern sei den Patienten nicht zuzumuten. Das wäre doch von vorgestern. Die Wartezimmer sind seither in gut organisierten Praxen, weil fast überflüssig, sehr klein geworden – jetzt sollen sie wieder aus allen Nähten platzen.
Damit nicht genug: Das künftige Pflegestärkungsgesetz will Pflegeheime verpflichten, Kooperationsverträge für Heimbesuche mit niedergelassenen Ärzten zu schließen. Diese Regelung soll angeblich den Pflegeheimen Druck machen. Dumm nur, dass falls Heime keine Ärzte finden, die KVen einspringen und einen Arzt finden müssen (!) und das binnen drei Monaten. Das wird, da super bequem für die Heime, sicher bald die Standardlösung.
Was aber, wenn die KVen keinen Arzt finden? Werden wir Ärzte dann zwangsverpflichtet? Es gibt gute Gründe mit manchen Pflegeheimen nicht zusammenzuarbeiten. Die Qualität stimmt nicht in jedem Heim.
Ich persönlich halte Kooperationsverträge für eine Erfolgsgeschichte. Allerdings eben nur bei Freiwilligkeit. Jede Zwangsverpflichtung, außer im Notdienst, stellt einen schweren Eingriff in die Freiheit, die Freiberuflichkeit und die Selbstverwaltung dar. Das dürfen wir nicht einfach hinnehmen.
Der Patient darf es ausbaden
Am Ende werden Pseudolösungen wie die Terminservicestellen, Zwang bei Heimbesuchen, offene Sprechstunden ohne zusätzliche Finanzierung und die weiterbestehende Budgetierung zu nichts führen außer zu zusätzlicher Bürokratie, Streit und Frust. Leidtragende sind die echten Kranken.
Wenn Ärzte, die jetzt schon über 52 Stunden pro Woche arbeiten, gezwungen werden, noch mehr zu arbeiten, bedeutet das: Für den einzelnen Patienten bleibt noch weniger Zeit. Wir Ärzte wollen aber mehr Zeit für unsere Patienten!
Das funktioniert erst, wenn die Budgetierung fällt. Gleichzeitig muss eine gute Patientensteuerung kommen, die die Überinanspruchnahme des Systems beendet und damit die gewonnene Zeit nicht wieder vernichtet.
Wenn unsere Gesundheitspolitiker und Krankenkassenvertreter endlich ihre Vorurteile überwinden, können wir miteinander ehrlich die Probleme analysieren und konkrete nachhaltige Lösungen finden. Noch besteht diese Chance, aber die Zeit läuft uns davon.
Gastautor Dr. Dirk Heinrich ist seit über 20 Jahren als HNO-Arzt in Hamburg-Horn niedergelassen. Als Bundesvorsitzender des NAV-Virchow-Bundes kämpft er dafür, die Budgetierung zu beenden, die ärztliche Selbstverwaltung zu stärken und die Freiberuflichkeit zu erhalten. Erfahren Sie hier, was berufspolitische Arbeit für Praxis-Ärzte verändert und warum es sich für Sie lohnt.
Das könnte Sie auch interessieren: