Rinder, die domestizierte Form des eurasischen Auerochsen, sind fester Bestandteil der mitteleuropäischen Geschichte. Zuerst ausschließlich zur Fleischgewinnung, anschließend auch zur Milcherzeugung und als Zugtier genutzt, sind sie einem jeden von uns bekannt. Demzufolge sollte jeder Tierarzt ein grundlegendes Wissen über Haltung und Anforderungen des Rindes besitzen.
Tiere benötigen eine sichere, orientierte, bestimmende und v.a. der Tierart entsprechende Behandlung. Darunter versteht man einerseits das Handling (Handhabung) des einzelnen Tieres, andererseits auch die notwendigen Zwangsmaßnahmen, um sowohl Mensch als auch Tier vor Verletzungen zu schützen.
Im zweiten Beitrag dieser Blogreihe "Handhabung und Zwangsmaßnahmen bei Haustieren" wird das Rind in den Fokus genommen.
Herantreten
Rinder reagieren auf plötzliche (und v.a. für die Tiere unerwartete) Bewegungen vor ihren Augen mit Abwehrbewegungen des Kopfes. Aus diesem Grund sollte man sich als behandelnder Arzt, aber auch als Laie, möglichst wenig mit den Händen im Bereich der Augen aufhalten. Um an das Tier heranzutreten, sollte sich der Untersucher an das Rind stets von links oder rechts hinten annähern, wobei er das Tier anspricht, abklopft und sich kopfwärts beweggt.
Tritt man als behandelnder Arzt von links an das Tier heran, so klopft man diesem mit der rechten Hand leicht auf die rechte Gesichtshälfte. Im selben Moment weicht das Rind mit dem Kopf auf die linke Seite aus, worauf die linke Hand des Untersuchers über den Nasenrücken auf die rechte Gesichtshälfte fährt, um den Kopf des Tieres noch weiter nach links zu biegen. Dabei gelangt man mit den Fingern in die Nasenöffnung und greift gleichzeitig - insofern vorhanden - mit der rechten Hand das linke Horn. Ein andersseitiges Herantreten an das Tier (von rechts) führt zu gegensinnigen Griffbewegungen, wobei das Endresultat stets ein Nasengriff ist. Nach dem Fixieren des Kopfes lehnt sich der Untersucher im Schulter- oder Halsbereich an das Tier an, wobei die Fußspitzen vom Tier abgekehrt sind. So ist es dem behandelnden Arzt möglich, dem Tier zu folgen, ohne dabei Schaden zu erleiden (Stoßverletzungen, Trittverletzungen, Zehenverletzungen, usw.).
Widerspenstige, scheue oder gar agressive Tiere können sich sehr gut und schnell mit einem Keilriemen abfangen lassen. Dieser wird über das Flotzmaul bis auf halbe Distanz zwischen Flotzmaul und Augen über den Kopf geschoben, wobei der Keilriemen genügend steif ist, nicht rutscht und dem Tier keine Schmerzen bereitet. Eine weiterführende Fixierung erfolgt mittels Leder- oder Kettenhalfter.
Freilaufende Rinder (z.B. Weidehaltung) können durch eine Fangschleuse sicher eingefangen werden. Dabei werden die Rinder in einen konisch zulaufenden Gang getrieben, sodass am Ende die Tiere einzeln aussortiert werden können.
Zwangsmaßnahmen
Eingangs muss erwähnt werden, dass die verschiedenen Zangsmaßnahmen nur bei ungebärdigen Tieren verwendet werden sollen. Dazu zählen z.B. folgende Maßnahmen:
Fixieren von Stieren
Beim Untersuchen von Stieren gilt die Faustregel, dass diese zuvor mit einer Führstange am Nasenring abgefangen werden müssen. Dabei sollten Stiere grundsätzlich von zwei Männern mit je einer Führungsstange und Blende geführt werden.
Damit ein Stier an der Stange geführt werden kann, muss zuvor ein Nasenring eingezogen werden. Diese erfolgt mithilfe der Nasenringzange nach Hauptner. Bei dieser sind die Ringeinziehvorrichtung und die Fixierungsvorrichtung für das Tier in einem Gerät zusammengebaut.
Zu beachten ist, dass das erste Führen mit dem Stab am Ring frühestens 14 Tage nach dem Einziehen erfolgen darf. Grund hierfür ist, dass ein frisch eingezogener Ring erhebliche Schmerzen verursacht, wobei ein grundsätzliches Anhängen von Stieren am Nasenring verboten ist.
Abwerfen von Rindern
Damit Rinder abgelegt oder abgeworfen werden können, stehen dem Untersucher mehrere Möglichkeiten zur Verfügung:
Sedierung
Um die Motorik großteils auszuschalten, eignen sich Muskelrelaxanzien, Narkotika und Sedativa:
Auftreiben bzw. Aufheben
Folgende zwei Maßnahmen dürfen nur bei ungebärdigen Tieren und in Ausnahmefällen angewendet werden:
Für all diese Auftreibversuche gilt die Voraussetzung, dass im Vorhinein Frakturen sowie schwere Muskelverletzungen ausgeschlossen worden sind.
Konnte trotz aller Bemühungen das Tier nicht zum Aufstehen gebracht werden, kann man mit Sicherheit annehmen, dass das Tier infolge hochgradiger Schwäche nicht in der Lage ist, sich aufzurichten.
Hier besteht noch die Möglichkeit, insofern vier bis fünf Hilfskräfte zur Verfügung stehen, mit dem Johne'schen Seil das Tier zum Aufstehen zu bewegen. Dabei stehen je zwei Männer an jeder Seite und zusätzlich ein Mann am Kopf. Tiere, die Adduktorenrisse aufweisen, wie sie nach Geburten, Gebärparesen oder auf zu glatten Böden oftmals vorkommen, sind die Hinterextremitäten vor dem Aufstehversuch über den Fesselgelenk mit einem zugfesten Ledergurt zusammenzubinden. Diese Schlaufe wird auch als Vergrittungsgeschirr bezeichnet, die das Auseinandergleiten der Extremitäten verhindert.
Die Bagshawe-Klammer stellt ein Gerät dar, das mittels Flaschenzug das Tier an der Muskulatur unter den Hüfthöckern angreift und somit die Hinterextremität anhebt. Schwere Tiere dürfen sich jedoch nur kurz in hängender Position befinden, da es ansonsten ventral vom Hüfthöcker zu Muskelrissen kommen kann. Zusätzlich besteht noch die Möglichkeit, mithilfe dem Hebegerät nach Dr. Kaltenböck bzw. Hebegerät nach Ropsensteiner Rinder jeder Gewichtsklasse zum Stehen zu bringen. Geräte dieser Art lassen sich zerlegen und können so in jedem Praxisauto mitgeführt werden.
Festliegende Rinder dürfen nur auf einer Schleppmatte transportiert werden.
(Literatur: Baumgartner, Walter, ed. Klinische Propädeutik der Haus- und Heimtiere. Georg Thieme Verlag, 2009.)