Etwa jeder zehnte Vater leidet an Wochenbettdepressionen, wie eine Meta-Analyse zeigt. Die Erkrankung wurde jahrelang kaum beachtet. Die Geschlechter leiden unterschiedlich: Frauen sind oft traurig, während Männer eher wütend oder gewalttätig sind.
Schätzungsweise bis zu 15 Prozent aller Mütter leiden an einer Wochenbettdepression. Die Gründe sind nach wie vor unbekannt. Als Risikofaktoren kommen psychische Vorerkrankungen, Traumata, aber auch belastende Lebenssituationen infrage. Das Thema hat seit Jahrzehnten Einzug in Lehrbücher gefunden. Ab 2004 begann die American Academy of Pediatrics (AAP) zaghaft, Ärzte zu ermutigen, auch Väter zu untersuchen. Mittlerweile wissen Forscher, dass auch Männer von postpartalen Depressionen betroffen sein können. Erika R. Cheng vom Department of Pediatrics, Indiana University School of Medicine, Indianapolis, veröffentlicht jetzt neue Zahlen zur Häufigkeit.
Sie stattete die Wartezimmer von fünf Gesundheitszentren mit Tablets aus. Auf den mobilen Computern wurde ein in Amerika geläufiges Tool, das Child Health Improvement through Computer Automation (CHICA) System, installiert. Es umfasst 20 Fragen, die gesundheitliche Probleme aufspüren sollen. Dazu gehören Elemente der Edinburgh Postnatal Depression Scale. Insgesamt wurden 9.572 Antworten von Eltern erfasst. Väter waren zwar bei jedem dritten Termin in der Gesundheitseinrichtung dabei, füllten aber nur in 806 Fällen (8,4 Prozent) digitale Fragebögen aus. Bei 36 Männern (4,4 Prozent) und bei 273 Frauen (5,0 Prozent) gab es Hinweise auf Depressionen.
Die Zahlen wirken relativ niedrig, was am Design der Studie liegen könnte: Cheng hat nur versicherte Eltern eingeschlossen. In den USA ist eine Krankenversicherung allerdings immer noch keine Selbstverständlichkeit. Nach wie vor sind vor allem Familien mit geringem Einkommen nicht versichert. Entsprechend könnten Geldsorgen, ein möglicher Auslöser postpartaler Depressionen, bei den Befragten seltener auftreten.
Sheena V. Kumar von der School of Nursing, University of British Columbia, erstellte vor wenigen Monaten eine Literaturübersicht. Demnach hätten 10,4 Prozent (4 bis 25 Prozent) aller frisch gebackenen Väter Depressionen. In der männlichen Bevölkerung sind es ansonsten 4,8 Prozent. „Sowohl Männer als auch Frauen, leibliche Eltern und Adoptiveltern erleben postpartale Depressionen etwa gleich häufig“, vermutet die klinische Gesundheitspsychologin Sara Rosenquist, die postpartale Depressionen untersucht, in einem Übersichtsbeitrag.
„Depressionen bei Vätern sehen anders aus als Depressionen bei Müttern, und das wissen wir schon seit einiger Zeit“, sagt Rosenquist. Frauen seien oft traurig, während sich Männer eher wütend, gewalttätig oder sozial isoliert fühlen. Auf diese Symptome sollten Ärzte und Hebammen achten. Das ist zumindest in den USA leichter gesagt als getan: 81 Prozent aller niedergelassenen Kinderärzte haben keine Ausbildung, um psychische Erkrankungen auch bei Erwachsenen zu erkennen. Hinzu kommt, dass Männer häufiger Arztbesuche meiden und somit eine geringere Wahrscheinlichkeit aufweisen, überhaupt mit einem Arzt in Kontakt zu kommen. Zudem setzen Beschwerden bei Männern deutlich später ein, oft erst Monate nach der Geburt. Der „Baby Blues“ von Frauen beginnt meist ein bis zwei Wochen postpartal.