Ein 75-jähriger Rentner stellt sich in einer Schweizer Klinik vor. Seit fünf Tagen habe er leichtes Fieber und Myalgie. Familienangehörige berichten zudem über zunehmende Verwirrtheit in den letzten 24 Stunden. Die behandelnden Ärzte finden bei der körperlichen Untersuchung eine kleine, schmerzlose, teilweise verkrustete Läsion am linken Unterschenkel vor. Die Angehörigen klären sie darüber auf, dass der Mann gerne im Wald wandern geht. Daher vermuten die Ärzte, dass sich ihr Patient bei einer seiner Wanderungen einen Zeckenbiss zugezogen hat. Womöglich wurde er dabei mit Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) oder Borreliose infiziert.
Keine Erreger nachweisbar
Über serologische und molekularbiologische Untersuchungen testen die Ärzte ihren Patienten zunächst auf verschiedene Infektionserreger, u.a. Borrelia burgdorferi, Bartonella henselae, Herpes-Simplex-Virus, Varicella-Zoster-Virus, Listeria monocytogenes, aber auch HIV. Alle Untersuchungen sind negativ. Weder auf CT- noch auf MRT-Aufnahmen des Gehirns können sie pathologische Veränderungen feststellen. Sie entscheiden sich für eine medikamentöse Therapie mit Ceftriaxon und Aciclovir. Der Zustand des Mannes verbessert sich innerhalb von fünf Tagen und er wird entlassen.
Einige Tage später kehrt der Patient jedoch zurück. Er ist stark verwirrt, leidet an Rückfallfieber und extremer Fatigue. Bei der radiologischen Untersuchungen des Abdomens stellen die Ärzte vergrößerte linke Leistenlymphknoten fest. Der Verdacht auf ein Lymphom kommt auf. Die Ärzte veranlassen daher eine Biopsie des linken Lymphknotens. Die histologische Untersuchung zeigt eine Lymphadenitis mit Hyperplasie. Es sind einige nekrotische Stellen mit zahlreichen Granulozyten, umgeben von Epitheloidzellen, erkennbar. Immunhistochemisch werden in der Probe unreife B-Lymphozyten nachgewiesen. Onkologische oder infektiöse Prozesse schließen die Ärzte aber aus. Aufgrund dieser Befunde haben die Ärzte dennoch einen Verdacht.
Womit hat sich der Mann infiziert?
Sie finden bei erneuten serologischen Untersuchungen zwar Hinweise auf eine zurückliegende Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus, jedoch keine Erreger einer akuten Infektion. Es muss sich also um einen sehr viel selteneren Erreger handeln. Mithilfe des immunologischen Verfahrens ELISA (Enzyme-Linked Immunosorbent Assay) werden die Ärzte schließlich fündig: Sie können eine Infektion mit dem Bakterium Francisella tularensis nachweisen (IgG 300 U/mL, N < 10; IgM 122.4 U/mL, N < 10). Ihre Diagnose wird durch den DNA-Nachweis von F. tularensis in der Biopsie (600 Kopien/ml) bekräftigt. Ihr Patient leidet an Tularämie. Hierbei tritt nach der Infektion eine lokalisierte Entzündung auf, gefolgt von einer Verschleppung der Erreger durch Granulozyten in die Lymphknoten.
In Europa tritt diese Erkrankung eher selten auf, während sie in Russland und in Amerika endemisch ist. Die vor allem bei Nagetieren vorhandenen Erreger können auf zwei verschiedene Wege übertragen werden: zum einen über direkten Tierkontakt, zum anderen indirekt über kontaminierte Nahrungsmittel oder über Ektoparasiten. Letztere scheinen auch diesen Patienten infiziert zu haben.
Die Autoren des Fallberichts verweisen darauf, dass Tularämie bei einem Zeckenbiss oder Insektenstich als Differentialdiagnose herangezogen werden sollte, da die Fälle seit 2008 in Europa zunähmen. Die Erkrankung ist in Deutschland meldepflichtig. Unbehandelt beträgt die Letalität 10 bis 15 Prozent. In diesem Fall erholt sich der Patient jedoch nach dreiwöchiger Behandlung mit Ciprofloxacin vollständig und wird aus dem Krankenhaus entlassen.
Quelle:
Long-Lasting Fever and Lymphadenitis: Think about F. tularensis.
Maria Vittoria Longo et al., Case Rep Med, doi: 10.1155/2015/191406; 2017