Nachdem sie von einer Schlange gebissen wurde, stellt sich eine 29-jährige Frau in Sierra Leone in einer Notaufnahme vor. Der Biss im linken Bein ist inzwischen zwei Stunden her und schmerzt stark. Kurze Zeit später hört sie auf zu atmen.
Bei Aufnahme kann sie die Schlangenart nicht genauer bestimmen, sie leidet zunehmend unter Verwirrtheit, Übelkeit, Erbrechen und Unruhe. Die Ärzte versorgen die Patientin zunächst mit Antiemetika, Analgesie, präventiven Antibiotika und Antiallergika. Den venösen Rückstrom aus dem linken Bein unterbinden sie zudem mithilfe eines Tourniquets unter Erhaltung der Fußpulse.
Das weitere Vorgehen gestaltet sich jedoch schwierig. Das Krankenhaus liegt sehr abgelegen und verfügt weder über Antiseren gegen Schlangengifte noch über intensivmedizinische Versorgungsmöglichkeiten. Die nächste Klinik mit Vorräten liegt mehr als drei Stunden entfernt, die medizinische Überwachung örtlicher Krankentransporte ist mangelhaft.
Fehlendes Equipment
Die Option einer Verlegung entfällt, als die Frau kurze Zeit später einen Atemstillstand erleidet. Das anschließende Airway-Management beschreibt das Ärzteteam als diffizil. Die Patientin lässt sich nur mäßig mit einer Beatmungsmaske ventilieren – bei jedem Hub entweicht am Maskenrand Luft. Eine Intubation kommt aufgrund fehlenden Equipments und Narkose-Medikamenten nicht in Frage, ein Beatmungsgerät ist auch nicht vorhanden. Die Sauerstoffsättigung der Patientin fällt auf 73 Prozent ab, ihr Glasgow-Coma-Score (GCS) beträgt zu dem Zeitpunkt 3/15.
Das Team greift schließlich auf die ihm zur Verfügung stehenden Basismaßnahmen zurück. Sie legen einen Guedel-Tubus, um das Zurückfallen der Zunge und damit die Verlegung der Atemwege zu verhindern. Darüber schieben sie eine Magensonde, um das Risiko einer Aspiration zu minimieren. Aufgeteilt auf zwei Personen ist auch die Beutel-Masken-Beatmung effizienter und die Sättigung steigt auf 90 Prozent. Kardiovaskulär bleibt die Patientin stabil.
Gut Ding will Weile haben
Fast drei Stunden lang halten die Ärzte diesen Zustand aufrecht, bis die junge Frau Anzeichen von Spontanatmung zeigt. 20 Minuten später ist ihre Atmung so suffizient, dass sie selbstständig eine Sättigung von 89 Prozent aufrechterhält. Weitere 30 Minuten später ist lediglich die Gesichtsmuskulatur noch gelähmt, ihr GCS erreicht daher 12/15 Punkten (Augenöffnung 4, Sprache 2, Motorik 6). Zwei Tage später wird die Frau entlassen und zeigt seither weder muskuläre noch neurologische Symptome.
Die spontane Verbesserung ihres Zustands lässt die Ärzte vermuten, dass die Frau von einer grünen Mamba gebissen wurde. Von ähnlichen Fällen wurde bereits berichtet. Die Ärzte spekulieren, dass das Neurotoxin im Schlangengift dabei als kompetetiver Inhibitor die Azetylcholinrezeptoren an der postsynaptischen Membran besetzte, mit der Zeit jedoch von körpereigenen Neurotranmittern ersetzt wurde.
In ihrem Bericht benennen die Ärzte einige Punkte, die für den Krankheitsverlauf der Patientin entscheidend waren. Einerseits habe die schlechte Infrastruktur das Leben der Patientin massiv gefährdet – das Krankenhaus war für die Patientin zu schlecht erreichbar und sei zudem auf Schlangenbisse schlichtweg nicht vorbereitet gewesen. Andererseits zeige der Fall, was Basismedizin bewerkstelligen kann, wenn die Kommunikation im Team funktioniert und die grundlegenden Handgriffe sicher beherrscht werden.
Quelle:
Achieving Full Neurological Recovery in Snakebite using Best Supportive Care; Dr Sally Wright, BMJ Case Reports, doi: 10.1136/bcr-2017-222326
Artikel von Maren Böcker