Ein Mann hat starke Schulter- und Nackenschmerzen. Sein Hausarzt behandelt ihn zunächst symptomatisch. Doch auch nach zwei Wochen lassen seine Beschwerden nicht nach. Als sich der 56-Jährige in der Notaufnahme vorstellt, machen die Ärzte eine ungewöhnliche Entdeckung.
Mit Schmerzen im Nacken und in den Schultern stellt sich ein Mann bei seinem Hausarzt vor. Die Schmerzen setzten vor etwa einer Woche ein, einen Unfall habe er aber nicht gehabt, so der 56-Jährige. Zur Behandlung der muskuloskeletalen Symptome verordnet der Hausarzt ihm Ruhe und Schmerzmittel.
Über die nächsten zwei Wochen verbessern sich seine Beschwerden nicht. Als sein rechter Arm zu kribbeln und schmerzen beginnt, stellt er sich in der Notaufnahme vor. Dort befragen ihn die Ärzte nach seiner medizinsichen Vorgeschichte. Relevante Vorerkankungen hat er keine. Aktuell zeigt er auch keine anderen körperlichen Beschwerden, er hat keine Probleme beim Sprechen oder Schlucken. Bei der körperlichen Untersuchung können die Ärzte keine Schwellungen oder Vergrößerungen der Lymphknoten am Hals ertasten. Es fällt jedoch auf, dass die Nackenmuskulatur stark verspannt ist.
Um der Ursache auf den Grund zu gehen, ordnen die Ärzte zunächst eine Röntgenaufnahme an. Darauf ist zu erkennen, dass seine Luftröhre verschoben ist. Sofort wird der Mann mittels CT und MRT untersucht. Was sie auf den Aufnahmen sehen, überrascht: Der Mann hat offenbar eine Fraktur im ersten Brustwirbel. Doch wie konnte das ohne äußere Einwirkungen passieren?
Es muss sich um eine pathologische Fraktur handeln, also um einen Knochenbruch, der bei normaler Belastung ohne erkennbare traumatische Ursache entstanden ist. Die Luftröhrenverschiebung gibt einen Hinweis darauf, dass möglicherweise ein Tumor hinter den Symptomen steckt. Und genauso ist es: Die Schilddrüse ist stark vergrößert, die Struma reicht bis in das Mediastinum hinein. Das erklärt, warum sich keine Veränderungen an der Schilddrüse ertasten ließen und der Patient nicht an Schluck- oder Sprechstörungen litt.
Der Patient muss sich zur Behandlung der Wirbelkörperfraktur einer Spondylodese unterziehen. Dabei führen die Ärzte Biopsien der Schilddrüse und des Wirbelkörpers durch. Diese ergeben endlich eine eindeutige Diagnose: Der Mann leidet an metastasierendem Schilddrüsenkrebs. Die pathologische Fraktur des Wirbelkörpers ist auf eine osteolytische Metastase zurückzuführen. Osteolytische Metastasen setzen die Belastbarkeit des Knochens herab und können so spontan oder durch Bagatelltraumen Brüche auslösen.
Vier Wochen nach der ersten Operation erfolgt die totale Thyroidektomie, Lymphknotendissektion und eine Radiojodtherapie. Der Patient erholt sich zwar gut, die Ärzte finden jedoch zusätzlich Metastasen in der Lunge. Die Ärzte verweisen in ihrem Bericht darauf, dass die 10-Jahres-Überlebenschance bei Patienten mit Schilddrüsenkrebs und Lungenmetastasen bei 50 Prozent liegt. Knochenmetastasen sind beim Schilddrüsenkarzinom recht selten und Patienten überleben meist keine 10 Jahre.
Quelle:
A Visit to the Emergency Department With Neck and Shoulder Pain. Kaushik M et al., JAMA Surgery Clinical Challenge, doi: 10.1001/jamasurg.2018.2729; 2018
Artikel von Anke Hörster