Der Rettungsdienst findet einen Mann bewusstlos auf der Toilette sitzend. Sie bringen den 68-Jährigen in einem lebensbedrohlichen Zustand in die Notaufnahme. Was die Ursache für seinen Schock ist, können sich die Ärzte zunächst nicht erklären.
Der Mann hat bei einem Blutdruck von 60/28 mmHg eine Herzfrequenz von 90 Schlägen pro Minute und befindet sich im Schock. Seine Atemfrequenz beträgt 30 Atemzügen pro Minute. Die Blutgasanalyse ergibt eine metabolische Azidose mit respiratorischer Kompensation, außerdem eine Hyperglykämie und Hyperlaktatämie. Eine Anamneseerhebung ist nicht möglich. Was die Ursache für seinen Kreislaufschock ist, können die Ärzte zunächst nicht klären.
Ein Röntgenbild vom Thorax und CT-Aufnahmen vom Gehirn bleiben ohne Befund. In der Sonografie zeigt das Herz eine normale Pumpfunktion, doch die Vena cava inferior ist kollabiert. Im Labor finden sich keine Hinweise auf eine Infektion oder Sepsis. Die schnelle Infusion von zwei Litern Ringer-Laktat-Lösung hebt den systolischen Blutdruck nur kurzfristig auf 100 mmHg.
Von frühen und späten Dumpern
Dann schließlich bringen Informationen über die medizinische Vorgeschichte des Patienten Licht ins Dunkel. Infolge eines Magenkarzinoms war bei ihm vor einiger Zeit eine totale Gastrektomie vorgenommen worden. Nach dieser Operation erlitt der Mann wiederholt nach Mahlzeiten Hypoglykämien, was zur Diagnose eines späten Dumping-Syndroms führte. Dabei kommt es durch den fehlenden Magen zur sogenannten Sturzentleerung flüssiger und fester Nahrung in den Dünndarm. Das Spätdumping tritt etwa 2-3 Stunden nach der Mahlzeit auf. Die unverzügliche Resorption von Glukose führt zunächst zur Hyperglykämie, der hohe Blutzuckerwert durch eine massenhafte Insulinausschüttung reaktiv zur Hypoglykämie.
Bei den Ärzten weckte diese Information einen Verdacht. Das Dumping-Syndrom umfasst auch eine frühe Form, bei der es kurz nach der Nahrungsaufnahme zu Kreislaufdysregulationen kommen kann. Die Nahrungsmasse führt dabei einerseits zu einer unphysiologischen Dehnung der Darmwand. Andererseits hat die Hyperosmolarität auch einen massiven Einstrom von Flüssigkeit in den Dünndarm zur Folge. Symptome hierfür sind im Anschluss an die Nahrungsaufnahme krampfartige Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Brechreiz, starke Müdigkeit sowie Kreislaufsymptome. Laut der Autoren wurde in der Literatur bisher nicht beschrieben, dass die Kreislaufsymptome das Ausmaß eines distributiven Schockgeschehens, also eines Schocks aufgrund einer ungünstigen Blutvolumenverteilung, annehmen können. Bei diesem Patienten scheint es jedoch der Fall zu sein.
Von 0 auf 100 in vier Stunden
Auf der Intensivstation erhält der Mann weiter Ringer-Laktat, sowie 0,13 µg/kg/min Noradrenalin. Nach vier Stunden mit insgesamt 3,5 Litern Infusion stabilisiert sich sein Zustand und die Katecholamingabe wird gestoppt. Kurze Zeit später kann der Mann bereits ein Abendessen zu sich nehmen und wird am darauffolgenden Tag entlassen. Ihren Bericht schließen die Ärzte mit der Aufforderung, das Dumping-Syndrom bei Patienten nach Gastrektomie stets in Betracht zu ziehen – auch in extremen Fällen wie einem akuten Kreislaufschock.
Quelle:
Transient severe distributive shock due to early dumping syndrome: a case report; Jun Takeshita, Journal of Medical Case Reports, doi: 10.1186/s13256-018-1800-2
Artikel von Maren Böcker