Wie viel Prozent der Krebsfälle in Deutschland ließen sich vermeiden? Eine neue Studie liefert dazu erstmals Zahlen. Demnach gehen mindestens 37 Prozent aller Krebserkrankungen auf das Konto vermeidbarer Risikofaktoren wie Rauchen und Bewegungsmangel.
Ein gesundheitsbewusster Lebensstil kann helfen, die wichtigsten Krebsrisikofaktoren zu vermeiden. Übergewicht, Rauchen und Bewegungsmangel wurden Anfang dieses Jahres bereits in einer US-amerikanischen Studie als abwendbare Faktoren ermittelt, wie DocCheck berichtete. Doch wie ist die Lage hierzulande? Wie viele Krebsfälle in Deutschland tatsächlich auf die einzelnen Risikofaktoren zurückzuführen sind, war bisher nicht bekannt. Ein Team von Wissenschaftlern um Ute Mons und Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat dies nun erstmals für die im Jahr 2018 zu erwartenden Krebsneuerkrankungen berechnet.
Dabei berücksichtigten sie alle 440.000 Krebsfälle bei Personen im Alter von 35 bis 84 Jahren sowie diejenigen Risikofaktoren, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Krebsentstehung als gesichert gilt. Konkret beziffern die Autoren, welchen Anteil das Rauchen, ein hoher Alkoholkonsum, Übergewicht, ein Mangel an körperlicher Aktivität, ungesunde Ernährung, Infektionen und ausgewählte Umweltfaktoren (Radon, Feinstaub, Solarien, Passivrauchen) an der Gesamtzahl aller Krebsneuerkrankungen haben.
Vermeidbare Krebsrisikofaktoren © U. Mons/Dt. Ärzteblatt
Brenner und Mons halten den nun errechneten Anteil von 37 Prozent an vermeidbaren Krebsfällen noch für niedrig geschätzt: Bei vielen Krebsarten sind die Zusammenhänge mit einzelnen Risikofaktoren noch nicht belegt und daher noch nicht in die Risikoberechnung eingeflossen. Andere Risikofaktoren, beispielsweise die natürliche UV-Strahlung, konnten aus Mangel an Daten nicht berücksichtigt werden. Tatsächlich könnte das Ergebnis noch deutlich höher liegen. „Berücksichtigen wir zusätzlich noch das Potenzial von Früherkennungsmaßnahmen, etwa der Darmspiegelung, so liegt der Anteil vermeidbarer Krebserkrankungen noch weitaus höher, schätzungsweise bei mindestens 50 Prozent“, ergänzt Brenner.
Darüber hinaus fördern viele der Krebsrisikofaktoren auch andere chronische Krankheiten, insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Krebsprävention ist daher breite Gesundheitsprävention. Zwar ist die altersstandardisierte Krebssterblichkeitsrate in den letzten zwei Jahrzehnten um fast ein Viertel gesunken – dank der Einführung einzelner wirksamer Präventions- und Früherkennungsuntersuchungen und dank einer deutlich verbesserten Behandlung vieler Krebsarten. Doch die absolute Zahl an Krebstodesfällen steigt weiterhin an, da aufgrund der weiterhin steigenden Lebenserwartung und der wachsenden Zahl älterer Menschen immer mehr Menschen in Deutschland an Krebs erkranken.
„Mit diesen Schätzungen wollen wir der Gesundheitspolitik, aber auch Ärzten und anderen Mitarbeitern des Gesundheitswesens Anhaltspunkte dafür liefern, wie das große ungenutzte Potenzial der Krebsprävention effizienter genutzt werden könnte“, erklärt Brenner.
Die Art der eingesetzten Berechnung ist in der Epidemiologie weit verbreitet. Wissenschaftler ermitteln damit die Anzahl der Fälle, um die das Auftreten einer Krankheit reduziert werden könnte, wenn in der Bevölkerung ein bestimmter Krankheitsrisikofaktor eliminiert oder reduziert würde. Was Krebsrisikofaktoren betrifft, wurde bislang in Deutschland immer auf Ergebnisse aus Großbritannien zurückgegriffen.
„Erwartungsgemäß sind die Ergebnisse für Deutschland und Großbritannien recht ähnlich. Einen deutlichen Unterschied sehen wir jedoch beim Risikofaktor Tabakrauchen“, sagt Mons. „Tabakkonsum bedingt in Deutschland 19 Prozent aller Krebsfälle, bei den Briten dagegen nur rund 15 Prozent. Hier wird sichtbar, dass Deutschland bei der Umsetzung einer wirksamen Tabakpräventionspolitik europaweit zu den Schlusslichtern zählt. In Ländern, die eine konsequente Tabakprävention betreiben, neben Großbritannien beispielsweise Australien, fordert das Rauchen inzwischen weit weniger Krebsopfer als bei uns.“
In Anbetracht der jüngsten WHO-Studie, nach der sich über 40 Prozent der Deutschen zu wenig bewegen, ist die Analyse besonders interessant. Im Hinblick auf die sich weltweit epidemisch ausbreitenden Risikofaktoren Übergewicht und Bewegungsmangel sieht Brenner Handlungsbedarf für die Politik. Und zwar so früh wie möglich: „Besonders besorgniserregend ist, dass diese beiden Risikofaktoren ihren Ursprung bereits im frühen Kindesalter haben.“ In Großbritannien laufen Schüler täglich eine Viertelstunde im Freien – das Projekt The Daily Mile wurde vor einigen Jahren ins Leben gerufen, DocCheck berichtete. Landesweite Initiativen wie diese fehlen hierzulande.
Familien und Schulen müssen besser unterstützt werden, betont Brenner: „Hier sollte präventiven Maßnahmen höchste Priorität eingeräumt werden. So könnte eine gesundheitsförderliche Preispolitik, etwa durch gestaffelte Mehrwertsteuersätze, wichtige finanzielle Anreize für eine gesunde Ernährung in der Familie liefern. Das schulische Umfeld sollte dringend ausreichend Bewegung fördern.“
Der Text basiert auf einer Pressemitteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums