„Aus empirischer Sicht ist die Wirkung homöopathischer Höchstpotenzen unbestritten“. Diese Aussage war bis vor kurzem auf der Webseite der Kinderonkologie der Berliner Charité zu finden. Wie reagiert das wissenschaftliche Umfeld auf derart fragwürdige Behauptungen?
Der Internetauftritt der Kinderonkologie der Berliner Uniklinik Charité sorgte kürzlich für viel Aufregung – nachdem bekannt wurde, dass sich dort seit Jahren ein unwissenschaftlicher Text zum Thema Homöopathie befand. Die homöopathische Medizin könne „auch bei schwersten Krankheitszuständen Heilung oder eine Verbesserung der Beschwerden bieten“, hieß es dort. Oder: „Aus empirischer Sicht ist die Wirkung homöopathischer Höchstpotenzen unbestritten“. Obwohl Experten vielmehr die Unwirksamkeit als erwiesen ansehen. Nach Protesten in den sozialen Medien sowie einer Anfrage von des Recherche-Blogs MedWatch nahm die Charité die Webseite zunächst offline.
„Der besagte Online-Beitrag auf der Internetseite der Charité wurde entfernt, um die Verbreitung von Fehlinformationen zu stoppen“, erklärt ein Sprecher der zuständigen Aufsichtsbehörde, der Berliner Senatskanzlei für Wissenschaft und Forschung, auf Nachfrage. Der dort geschaffene Bezug zur Kinderonkologie stehe in keinem Zusammenhang mit den Behandlungsmethoden der Klinik, die ein weltweit hohes Renommee habe. Die Senatskanzlei möchte die Forschungsprojekte an der Charité im Sine der Wissenschaftsfreiheit nicht inhaltlich bewerten. Sie mache „keine Vorgaben hinsichtlich ihrer Forschungsmethoden, -schwerpunkte und -ziele“, erklärt der Sprecher, „dasselbe gilt für die Therapiemethoden“.
Die Kinderonkolgie distanziert sich etwas
Die Kinderonkologie distanziert sich nun auf ihrer Webseite „von der Meinung, dass Homöopathie in der kinderonkologischen Primärtherapie einen Platz hat“. Auch wenn die Charité Anfragen von verzweifelten Eltern angesichts des nahenden Todes ihres Kindes zu Alternativmethoden bekommt, „werden diese Behandlungsmethoden von ihr nicht propagiert“, erklärt der Sprecher der Senatskanzlei hierzu.
Den früheren Text auf der Webseite der Charité-Kinderonkologie hält Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, für „unverantwortlich“. „Gerade bei Erkrankungen wie Krebs darf man nicht für so ein unwissenschaftliches Verfahren werben“, sagt er gegenüber MedWatch und verweist auf das Schadenspotenzial durch Unterlassen wirksamer Therapien. „Es ist für mich unverständlich, wie eine derartige Falschmeldung auf eine Homepage einer so renommierten Universitätsklinik kommt.“
Homöopathie soll nicht beworben werden
Ludwig kritisiert die Aussage, dass Globuli und Co keinen Platz in der Primärtherapie hätten. „Ich sehe auch in der Sekundär- und Tertiärtherapie keinen Platz der Homöopathie“, sagt er. „Ich persönlich glaube, dass die Homöopathie an universitären Einrichtungen keinen Platz hat. Sie sollte auch nicht beworben werden, auch nicht als Alternative.“ Wenn man glaube, dass man mit speziellen Maßnahmen keine Möglichkeiten mehr habe, gäbe es normalerweise viele andere Möglichkeiten den betroffenen Patienten zu helfen – beispielsweise durch palliativ wirksame Arzneimittel, sinnvolle Maßnahmen wie Schmerztherapie und natürlich auch Gesprächen zwischen Patient und Arzt. „Der Homöopathie einen Stellenwert zuzuordnen, halte ich für verkehrt.“
Auch die Ludwig-Maximilians-Universität München stand wiederholt wegen ihrer uneindeutigen Positionierung in Sachen Homöopathie in der Kritik.
Was tun gegen „Fake News“?
Angesichts der vielen Berichte über Veröffentlichungen deutscher Wissenschaftler in fragwürdigen Fachzeitschriften hat das Deutsche Krebsforschungszentrum die Behandlung in spezialisierten Krebszentren als besten Schutz vor „Fake News“ in der Krebsmedizin bezeichnet. „Für Betroffene und Patienten ist es oft nicht möglich zu beurteilen, wie belastbar die Beweise zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Verfahrens tatsächlich sind“, erklärte Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes des Deutschen Krebsforschungszentrums, in einer Pressemitteilung vom vergangenen Dienstag. Kann dies hinsichtlich der Informationen auf der Charité-Webseite noch gelten?
„Offensichtlich ist dort schon erkannt worden, dass sich zwischen der Arbeitsweise einer Uniklinik und der Homöopathie gewisse Gräben auftun und man es besser vom Netz nimmt“, sagt Weg-Remers auf Nachfrage von MedWatch. Die Wirkungsweise, die die Homöopathie-Befürworter postulieren, ignoriere mehrere Jahrzehnte naturwissenschaftlichen und medizinischen Fortschritts und sei nicht plausibel. „Bei der Homöopathie müssen wir nach heutigem Wissensstand annehmen, dass sie keine Wirksamkeit hat“, erklärt sie. „Das sollten die homöopathischen Ärzte natürlich fairerweise sagen – egal in welchem Bereich sie arbeiten. Letztendlich muss die Charité sich entscheiden, wie sie sich dazu positionieren möchte.“
Homöopathie-Text auf Charité-Seite „versehentlich aktiviert“?
Ihrer Einschätzung nach öffnen sich viele Kliniken der Komplementärmedizin, weil sie sehen, dass sie die Patienten oder ihre Eltern beschäftigt. Problematisch sei dies besonders, wenn Patienten nur noch auf die sogenannte Alternativmedizin setzen und eine wirksame Behandlung ausschlagen, weil sie die Hoffnung haben, mit alternativer Medizin sei eine sanftere Heilung möglich. „Da ist noch viel Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung zu leisten“, sagt Weg-Remers.
Die Berliner Senatskanzlei für Wissenschaft und Forschung hatte vor zwei Wochen erklärt, dass die Charité die Verantwortung für die Verbreitung des Homöopathie-Textes prüft. Dieser sei schon mehrere Jahre alt gewesen „und bedauerlicherweise versehentlich aktiviert“ worden, erklärt ein Pressesprecher nun auf Nachfrage. „Wer die technische Deaktivierung unterlassen hat, ließe sich aus heutiger Sicht leider nicht mehr nachvollziehen, wie uns seitens der Charité mitgeteilt wurde.“ Dabei war die Seite laut Eintrag im Internet-Archive über Jahre kontinuierlich erreichbar.
Und auch weiterhin ist auf der Homepage der Charité-Hochschulambulanz für Naturheilkunde zu lesen, dass die Homöopathie-Forschung ein großer Schwerpunkt des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie sei. Außerdem habe sich gezeigt, dass Patienten von der homöopathischen Therapie profitieren. Belege für diese Aussage liefert die Pressestelle der Charité auf Nachfrage nicht.
Text: Hinnerk Feldwisch-Drentrup
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