Jede fünfte Frau und jeder zehnte Mann in Europa haben einen Eisenmangel. Was man gegen ihn tut, darüber streiten Ärzte sich gerne. Eine eisenreiche Ernährung ist in bestimmten Fällen wirkungslos. Wer profitiert von einer Substitution? Und wie sieht diese im Idealfall aus?
Beim Thema Eisen scheiden sich die Geister. Eisenmangel sei vollkommen überschätzt, so die einen, Eisen müsse bei vielen Menschen supplementiert werden, sagen die anderen. Mindestens 20 Prozent aller Patienten mit Herzinsuffizienz seien betroffen, so die Deutsche Herzstiftung. Bei welchen Patienten ist eine zusätzliche Gabe von Eisen sinnvoll und in welcher Form wirkt Eisen am effektivsten?
Jede fünfte Frau und jeder zehnte Mann in Europa haben einen Eisenmangel, der nicht generell behandelt werden muss. Bei ihnen liegt die Hämoglobinkonzentration unter 12 g/dl für Frauen und 13 g/dl für Männer. Sinkt der Eisenspiegel weiter, kommt es zur Eisenmangelanämie. Patienten zeigen Veränderungen an der Haut, den Mundwinkeln, den Nägeln und Haaren. Sie sind oft blass, schnell erschöpft und können sich nur schlecht konzentrieren. Dann ist es an der Zeit, Blutwerte zu bestimmen. Dazu gehören neben Hämoglobin die Parameter MCH (die absolute Menge an Hämoglobin in einem Erythrozyten) und MCV (das durchschnittliche Volumen der einzelnen Erythrozyten). Eisen im Serum bringt kaum große Erkenntnisse. Zum einen schwankt die Konzentration im Tagesrhythmus. Zum anderen führen Infektionen, Tumoren oder inflammatorische Vorgänge zur Anämie bei chronischer Erkrankung. Ab wann ein Eisenmangel herrscht, sagt der Ferritin-Wert aus. Ferritin ist ein Proteinkomplex, in dem Eisen gespeichert wird. Es kommt überwiegend in den Makrophagen, in der Leber und den roten Blutkörperchen vor. Mehr Eisen führt zur verstärkten Expression des zugehörigen Gens und damit zu mehr Ferritin. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) gelten Werte von weniger als 15 Nanogramm pro Milliliter Serum-Ferritin als zu wenig, bis zu 30 Nanogramm als knapp und mehr als 50 Nanogramm als normal. Entzündliche Prozesse, maligne Erkranklungen oder Lebererkrankungen lassen den Ferritinwert ansteigen und verschleiern einen möglichen Eisenmangel. Deshalb sollte das C-reaktive Protein (CRP) oder die Blutsenkungsrate als Indizien inflammatorischer Prozesse ebenfalls bestimmt werden.
Hat der Arzt alle Parameter auf dem Bildschirm, vergleicht er mit Normalwerten. Das war bei Senioren bislang problematisch. In den letzten Jahren haben Experten kontrovers diskutiert, ob für sie die Hämoglobin-Werte von 12 g/dl bei Frauen oder unter 13 g/dl bei Männern ebenfalls gelten. Die Kontroverse hat historische Wurzeln: Untergrenzen gehen vor allem auf WHO-Studien aus dem Jahr 1969 zurück. Damals wurden junge Männer und schwangere Frauen, aber keine älteren Menschen untersucht. Diese Lücke wurde von der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) jetzt geschlossen. Gemeinsam haben Experten Blutwerte von insgesamt 30.611 Patienten im Alter über 60 Jahren untersucht. „Basierend auf diesen Daten kann jetzt der Diskussion um die Etablierung altersspezifischer Referenzwerte für Hämoglobin und erythrozytäre Parameter bei deutschen Patienten über 60 Jahren endlich ein Ende gesetzt werden“, so Dr. Gabriele Röhrig von der DGG. Dabei wurden die bekannten Hb-Untergrenzen bestätigt. Röhrig: „Wir dürfen nicht denken, dass niedrigere Hämoglobinwerte und damit weniger rote Blutkörperchen im Blut geriatrischer Patienten normal sind, nur weil die Menschen alt sind. Das ist nicht der Fall.“ Sie rät zur umgehenden Behandlung: Anämie kann als Risikofaktor für multifunktionelle Einschränkungen im Alter angesehen werden und damit die klinische Entwicklung eines multimorbiden geriatrischen Patienten entscheidend beeinflussen." Auch Hörstörungen werden mit Eisenmangel in Verbindung gebracht.
Finden Ärzte eine Eisenmangelanämie, geht es an die diagnostische Detektivarbeit. Starke Regelblutungen bei Frauen oder schlechte Ernährungsgewohnheiten generell lassen sich schnell nachweisen. Schwieriger wird es schon bei Tumoren mit Blutung oder bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Aufgrund entzündlicher Prozesse tritt die sogenannte Anämie bei chronischer Erkrankung (ACD) häufig auf: ein Leiden, das Patienten genauso stark einschränken kann wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa selbst. Seit vielen Jahren Experte in Sachen Eisen: Der Hamburger Biochemiker Peter Nielsen. „Eisen ist ein essenzielles Spurenelement und hat physiologische Aufnahmemechanismen, die wir gut kennen“, sagt Nielsen. „Die Möglichkeiten der Aufnahme von Eisen durch die Nahrung ist allerdings sehr begrenzt.“ Die beste sei, rotes Fleisch zu essen: „Für Nahrungseisen im Fleisch gibt es den eigenen Aufnahmekanal HCP1, darüber wird das Eisen effizient aufgenommen. Er ist nicht hemmbar durch Nahrungsbestandteile.“ Anders sei die Lage bei pflanzlichem Eisen, so Nielsen: „Wir wissen aus vielen epidemiologischen Studien, dass es schwer aufzunehmen ist. Es wird durch einen Kanal transportiert namens DMT1, dem Dimetalltransporter 1. Er nimmt zweiwertige Kationen auf. Pflanzliches Eisen ist aber von Haus aus dreiwertig, es muss erst reduziert werden, damit es verwertet werden kann. Dafür gibt es ein besonderes Enzym an der Bürstensaum-Membran, das Cythochrom DMT1. Es kann das dreiwertige Eisen reduzieren, aber nur in begrenztem Maße. Bei einem pH-Wert von 7,5 im Dünndarm ist außerdem das dreiwertige Eisen aus pflanzlicher Nahrung extrem schlecht lösbar.“ Zudem sei pflanzliches Eisen hemmbar durch Nahrungsbestandteile, sagt Nielsen: „Solche Hemmstoffe in Pflanzen sind zum Beispiel Phytinsäure oder Polyphenole in schwarzem Tee. Das bedeutet, dass pflanzliches Eisen schwer aufgenommen wird und die Aufnahme zusätzlich gehemmt wird. Das ist ein grundsätzliches Problem.“
Die Substitution von Eisen ist nicht einfach: die meisten oralen Präparate werden nur begrenzt absorbiert, interagieren mit Lebensmitteln und anderen Medikamenten und werden zudem von einigen Patienten schlecht vertragen. Viele nennen als Nebenwirkungen Übelkeit, Erbrechen, Sodbrennen, Durchfall oder Verstopfung. Orales Eisen wird während einer aktiven Erkrankungsphase bei CED kaum resorbiert. Gastrointestinale Beschwerden verschlechtern außerdem die Therapietreue. Auch Mittel zur intravenösen Anwendung sind problematisch, da sie zu Überempfindlichkeitsreaktionen mit tödlichem Ausgang führen können, wie ein Rote-Hand-Brief 2013 informierte. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat daraufhin die Vorsichtsmaßnahmen erhöht; intravenöse Applikationen sind erst empfohlen, wenn mindestens zwei orale Präparate nicht vertragen wurden oder wenn die orale Substitution erfolglos bleibt. Komplexe mit Zuckern, etwa Eisenpolymaltose, können das Risiko verringern. „Es gibt einen Zusammenhang zwischen Herzinsuffizienz und Eisenmangel", sagt Kardiologe Thomas Meinertz.“ Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sollte Eisen laut ECCO Guidelines aber direkt intravenös verabreicht werden. Diese Form wird bei Patienten mit einer renalen Anämie und gewissen Tumoren ebenfalls empfohlen. Auch bei Herzschwäche sollten intravenöse Eisenpräparate gegeben werden, schrieb kürzlich die Deutsche Herzstiftung in einer Pressemeldung: Mindestens 20 Prozent der Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz hätten zu wenig Eisen, und auch das Fortschreiten der Herzschwäche und der Herztod würden durch Eisenmangel mitbedingt. Eisen werde bei Patienten mit Herzschwäche vermindert aus dem Darm aufgenommen und vermehrt im Organismus benötigt, so die Stiftung weiter.
„Die Gründe für die Relevanz des Eisenmangels für Herzpatienten lassen sich nur vermuten“, sagt Thomas Meinertz, Kardiologe und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung: „Es gibt experimentelle Untersuchungen, die zeigen, dass der Herzmuskel selbst auf das Eisen angewiesen ist und dass im Zustand des Eisenmangels die Herzmuskelzellen weniger gut funktionieren und weniger gut ihre Kraft aufbringen können.“ Entsprechende klinische Studien dazu gebe es nur dahingehend, dass man Patienten mit Herzinsuffizienz und Eisenmangel diesen durch intravenöse Zufuhr von Eisen beseitigen könne, so der Kardiologe: „Dann wurde die körperliche Leistungsfähigkeit gesteigert, das Herz funktionierte besser und auch die Lebenserwartung konnte gesteigert werden.“ Es scheine so zu sein, dass Patienten mit Herzschwäche das Eisen nicht über den Darm aufnehmen könnten, sagt Meinertz. Ein Eisenmangel könne zu einer Anämie führen, müsse es aber nicht: „Sicher ist inzwischen, dass Menschen mit einer Herzschwäche offensichtlich das Eisen aus dem Magen-Darm-Trakt nicht richtig resorbieren, selbst wenn ihnen genug davon mit der Nahrung angeboten wird. Das erklärt, warum man durch eine orale Eisensubstitution mit Tabletten leere Eisenspeicher nicht auffüllen kann.“ Bei Herzpatienten gebe es nur die Möglichkeit, die Eisenspeicher durch die intravenöse Gabe als Infusion aufzufüllen, so der Kardiologe. Auch er verweist auf Eisenkomplexe. Natürlich müssten die Werte gut überwacht werden, sagt Meinertz: „Es ist wichtig, dass man Eisen in der richtigen Menge gibt und den Organismus nicht mit Eisen überfüllt. Das ist auch ein Problem.“ Generell gelte es, bei Patienten mit Herzschwäche regelmäßig den Eisenwert zu kontrollieren, so der Kardiologe: „Wie viele Herzpatienten betroffen sind, ist umstritten, denn es gibt keine großen Studien. Doch es scheint so, dass es mindestens 20 Prozent der Patienten sind. Es ist also keine Rarität.“