Haben Arbeitnehmer, die von Mobbing oder Gewalt am Arbeitsplatz betroffen sind, ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko? Skandinavische Forscher gingen dieser Frage im Rahmen einer Metaanalyse nach.
Menschen, die im Job gemobbt werden oder Gewalt erleben, haben ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (CVD) verglichen mit nicht betroffenen Kollegen. Dazu gehören Herzinfarkte und Schlaganfälle. So lautet die These einer skandinavischen Studie, die heute veröffentlicht wurde.
Zunächst muss erwähnt werden, dass es sich um eine Observationsstudie handelt. Zwar können die Autoren nicht beweisen, dass Mobbing am Arbeitsplatz kardiovaskuläre Probleme verursacht, trotzdem betonen die Autoren die Relevanz ihrer Ergebnisse, die ihrer Ansicht nach Auswirkungen auf das Berufsleben haben.
In ihrer Studie orientierten sich die Forscher an zwei in der Vergangenheit veröffentlichten Arbeiten von Kivimäki et al und Jacob und Kostev, in denen bereits ein erhöhtes Risiko für CVD in Verbindung mit Mobbing und Gewalt im Job gebracht wurde. „Ginge man davon aus, dass es einen kausalen Zusammenhang gäbe zwischen Mobbing oder Gewalt in der Arbeit und kardiovaskulären Erkrankungen, dann könnte man durch das Beseitigen von Mobbing fünf Prozent aller kardiovaskulären Fälle verhindern. Durch das Auslöschen von Gewalt am Arbeitsplatz ließen sich mehr als drei Prozent aller Fälle verhindern“, wird Studienleiterin Tianwei Xu in einer aktuellen Pressemitteilung der European Society of Cardiology zitiert.
Für die Metaanalyse wurden drei Studien herangezogen, die zwischen 1995 und 2011 begannen, seitdem werden die Teilnehmer nach dem Follow-up-Prinzip beobachtet. Insgesamt wurden die Daten von 79.201 weiblichen und männlichen Arbeitnehmern im Alter von 18 bis 65 Jahren untersucht. Sie alle wiesen keine Krankengeschichte in Hinsicht auf kardiovaskuläre Erkrankungen auf. Das durchschnittliche Alter betrug 43 Jahre, 53 Prozent der Teilnehmer waren weiblich, 47 Prozent männlich.
Die Studienteilnehmer wurden zu Beginn der Untersuchungen anhand eines Fragebogens dazu interviewt, wie häufig sie Mobbing oder Gewalt am Arbeitsplatz in den letzten 12 Monaten erlebt hatten. Die Antwortmöglichkeiten:
Informationen zu den Zahlen bezüglich kardiovaskulärer Erkrankungen sowie daraus resultierender Todesfälle entnahmen die Wissenschaftler landesweiten Registern. Weitere Faktoren, die eine Erkrankung an CVD beeinflussen können, bezogen die Forscher ebenfalls in ihre Studie ein. Dazu gehörten unter anderem Body Mass Index, Alkoholkonsum, Rauchen, mental-psychische Störungen und bereits bestehende Krankheiten sowie Schichtarbeit.
Im vergangenen Jahr hatten neun Prozent der Teilnehmer Mobbing am Arbeitsplatz erlebt, 13 Prozent berichteten über Gewalt oder das Androhen von Gewalt. Die Prävalenz bewegte sich zwischen 7 und 17 Prozent, am häufigsten Gewalt ausgesetzt waren Sozialarbeiter (>46 Prozent), Schutzdienstpersonal (>29 Prozent), Healthcare Professionals (>25 Prozent) und Lehrer (>16 Prozent). Nachdem Faktoren wie Alter, Geschlecht, Familienstatus oder Bildungsgrad angepasst worden waren, kam die Forschergruppe zu folgender Annahme: Jene Arbeitnehmer, die Mobbing am Arbeitsplatz erlebt hatten, wiesen ein um 59 Prozent höheres Risiko für CVD auf (HR 1.59, 95% CI 1.28–1.98) als jene Kollegen, die auf diesem Gebiet keine Erfahrungen gemacht hatten. Bei Betroffenen von Gewalt im Job war das Risiko um 25 Prozent erhöht (HR of 1.25, 95% CI 1.12–1.40).
Das höchste Risiko hatten Probanden, die am meisten Mobbing erlebt haben. Teilnehmer, die angegeben hatten, innerhalb der letzten 12 Monate beinahe jeden Tag gemobbt zu werden, hatten ein um 120 Prozent (HR 2.22, 95% CI 1.23–4.01) erhöhtes CVD-Risiko. Jene, die am häufigsten Gewalt im Job ausgesetzt waren, hatten ein um 36 Prozent erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläre Erkrankungen wie Schlaganfälle, aber keinen Anstieg bei Herzerkrankungen.
Über ein Follow-up von durchschnittlich 3,8 Jahren hinweg wurden 760 CVD-Ereignisse erfasst, inklusive 484 Fälle koronarer Herzkrankheiten (KHK) und 301 Fälle von zerebrovaskulären Erkrankungen (CD), davon hatten 25 Teilnehmer sowohl KHK- als auch CD-Ereignisse als Diagnose während des Follow-ups.
„Mobbing am Arbeitsplatz und Gewalt im Job sind zwei unterschiedliche Stressoren für Arbeitnehmer. Nur 10 bis 14 Prozent jener, die zumindest einem der zwei Typen ausgesetzt war, leidete auch gleichzeitig auch am anderen Typen“, macht Xu deutlich.
Weitere Studienaussagen, die in diesem Zusammenhang interessant sind: Mobbing fand in 79 Prozent der Fälle unter Kollegen und nicht in Kontakt mit Menschen außerhalb des Unternehmens (21 Prozent) statt. Gewalt oder Gewaltdrohungen hingegen ging in 91 Prozent der Fälle von externen Personen aus. Daraus ziehen die Forscher folgenden Schluss: Menschen, die Gewalt am Arbeitsplatz erleben leiden vermutlich deshalb seltener an Herzerkrankungen, weil sie Trainings erhalten, die es ihnen erleichtern, mit Gewalt besser umzugehen.
Eine Schwäche der Studie ist, dass die Ergebnisse sich auf eine einmalige Messung stützen. In einem Editorial zur Studie gibt Christoph Herrmann-Lingen, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Göttingen zu bedenken: „Diese Ergebnisse müssen mit Vorsicht interpretiert werden und unabhängig repliziert werden. […] Wir müssen herausfinden, zu welchem Grad eine erhöhte CVD-Inzidenz durch objektive Ereignisse ausgelöst wurde oder durch subjektive Wahrnehmungen von Ereignissen und psychobiologische Reaktionen auf sie oder durch bereits bestehende psychologische Zustände.“
Die Wissenschaftler sind sich der Schwierigkeit in Hinsicht auf die Aussagekraft bewusst: „Aus dieser Studie lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen Mobbing und Gewalt am Arbeitsplatz und kardiovaskulären Erkrankungen gibt. Aber wir liefern empirische Evidenz, die einen solchen Zusammenhang unterstützt, besonders, wenn man den plausiblen biologischen Weg zwischen Stressoren am Arbeitsplatz und kardiovaskulären Erkrankungen berücksichtigt. Diese Annahme wird weiter unterstützt durch den Dosis-Response-Trend und der Robustheit der Ergebnisse in unterschiedlichen Sensitivitäts-Analysen. Experimentelle Studien zu Gewalt oder Mobbing wären unethisch, unsere Studie bietet die bestmögliche Evidenz.“
Im Moment untersucht das Forscherteam, welche Mechanismen bei einem Anstieg des CVD-Risikos bei Menschen, die Mobbing oder Gewalt im Job ausgesetzt sind, noch eine Rolle spielen. Involviert ist ihrer Ansicht nach ein durch schweren Stress bedingt erhöhter Blutdruck. Zudem kann Mobbing und Gewalt laut Studienautoren auch zu Angststörungen und Depressionen führen und daraus können wiederum Überernährung, stressbedingte Stoffwechselstörungen und exzessiver Alkoholkonsum resultieren.
Ganz abgesehen von einem möglichen Zusammenhang mit kardiovaskulären Erkrankungen, sind Mobbing und Gewalt sowohl am Arbeitsplatz als auch überall sonst eine psychische Belastung für die Betroffenen, die es zu beseitigen gilt. „Die Auswirkungen von Mobbing und Gewalt auf die Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen in der allgemeinen Bevölkerung ist vergleichbar mit anderen Risikofaktoren wie etwa Diabetes oder Alkoholkonsum. […] Es ist wichtig, Richtlinien zu haben, um einzugreifen, sobald Mobbing oder Gewalt stattfindet“, fordert Xu.
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