Eine Sendung über Hochstapler in der Medizin hat mich einmal wieder sprachlos gemacht, dass es so einfach ist, eine Karriere als Fake-Arzt zu starten. Überprüfungen finden kaum oder ungewissenhaft statt. Wer weiß, wie viele Möchtegernärzte täglich auf Patienten losgelassen werden.
Ich habe ferngesehen. Meinen Senf werde ich zu folgendem, hervorragend guten Film geben: 37 Grad – Betrug im weißen Kittel, die vielen Lügen der Alexandra B.
Lügner von Beruf
Es geht um eine Hochstaplerin, die sich aus vielfältigen Gründen dafür entschied, auf kriminelle Art und Weise das Vertrauen anderer Menschen zu erschleichen und in einem Beruf zu arbeiten, für den sie nicht qualifiziert war. Der Beruf des Arztes lockt viele eben immer noch aufgrund des vermeintlich hohen sozialen Ansehens und es gibt nicht wenige Beispiele von Möchtegernärzten. Sascha S., Denny H., Christian E., die Liste ließe sich beliebig verlängern – jetzt zum Beispiel um die portraitierte Alexandra B. Die Reportagereihe 37° ist ganz grundsätzlich ein hervorragendes Format und auch diese Folge reiht sich ein in die unendliche Liste aufmerksam recherchierter, dramaturgisch gut geführter, unaufgeregter Portraits außergewöhnlicher Lebenslinien.
Habt ihr die Reportage auch gesehen? Mich würde eure Meinung dazu interessieren. Wenn man sich dieses Portrait anschaut, blickt man auf die Trümmer einer gescheiterten Existenz. Ich war mir am Ende nicht ganz sicher, ob die Protagonistin wirklich überschaut, was sie da angerichtet hat. Ähnlich wie die Darsteller bei gescripteten Reality-Shows (Bauer sucht dies, Schwiegertochter etc.), die nach der Ausstrahlung ihrer ausgeschlachteten Lebensgeschichte vor einem Scherbenhaufen stehen, habe ich hier den Eindruck, dass man diese offensichtlich kranke Frau vor sich selbst schützen müsste.
Einsicht? Fehlanzeige
Es besteht ihrerseits überhaupt keine Einsicht darüber, etwas kriminelles getan zu haben. Das Highlight dann: Als ein Postzusteller und Möchtegernarzt die Möchtegernärztin interviewt und etwas von Psychodynamik faselt und daraufhin ihr Verhalten als pathologisch einstuft.
Eigentlich kann man relativ wenig von dem, was die Protagonistin erzählt, so stehen lassen. Ich saß die längste Zeit mit offenem Mund vor dem Fernseher und musste über so viel Realitätsverkennung staunen. Sie bemitleidet sich in einer Tour und sieht überhaupt nicht, welcher Schaden durch sie angerichtet wurde. Mitnichten ist es so, dass keine Patienten zu Schaden gekommen wären. Das lässt sich so pauschal gar nicht behaupten. Es ist vielleicht kein Behandlungsfehler offensichtlich geworden, zumindest wurden aber adäquate und etablierte Therapien verzögert. Das wäre noch die mildeste Variante der Patientenschädigung.
Jeder kann Fake-Arzt werden
Ein weiterer Aspekt hat mich nachdenklich gemacht: Ich bin seit einer ganzen Weile bei einem namhaften deutschen Ärzteportal registriert und werde hierüber von Zeit zu Zeit als Honorararzt eingesetzt. In der Regel geht es hierbei um Notarztdienste. Diese Dienste werden manchmal sehr kurzfristig und per SMS vergeben. Eine Nachricht kommt dann zum Beispiel um 14:30 Uhr mit der Bitte um eine krankheitsbedingte Übernahme eines Notarztdienstes am Standort XY ab 16 Uhr. Dem Auftraggeber blieben also noch genau 90 Minuten, um zu überprüfen ob ich auch wirklich für diese Tätigkeit geeignet bin (Approbation und Fachkunde Rettungsdienst). Laut geltenden Verträgen zwischen den Krankenhäusern und der Agentur verpflichtet sich die Agentur dazu, die Dokumente zu überprüfen.
Ich habe bis heute nicht ein einziges Dokument an diese Agentur geschickt! Ich zahle einmal jährlich einen Mitgliedsbeitrag und dafür werde ich vermittelt. Da hat nie eine Überprüfung stattgefunden. Und wie effektiv diese Überprüfung läuft, wenn es denn eine gibt, kann man ebenfalls in obiger Reportage sehen. Der Ärztemangel und die Notwendigkeit, den Dienstplan zu besetzen, spielt diesen Betrügern in die Hände.
Bei meinen drei letzten Arbeitgebern wurde die Approbation einmal von der Sekretärin unserer Abteilung kopiert. Darauf der Vermerk „im Original gesehen“ und fertig. Ich befürchte, dass da draußen noch etliche wenn nicht hunderte falsche Ärzte unterwegs sind. Die Hürden sind nicht hoch genug, der Einstieg wird ihnen sehr einfach gemacht. Schließlich finden kaum bis keine Überprüfungen statt und die gemachten Überprüfungen sind zu unsicher. Das Zertifikat meines an der Decke installierten Feuermelders hat ein Wasserzeichen und ein Hologramm (!), meine Approbationsurkunde ist auf Standardpapier ausgedruckt. Ein Register zum Abgleich gibt es nicht. Daran sollte man vielleicht dringend mal was ändern.