In einem Wort – Hui! Ich bin sehr positiv überrascht von der regen Beteiligung aber auch von der Qualität der Beiträge. Da wurde von SAPV-Teams gesprochen (spezialisierte, ambulante Palliativ-Versorgung), es wurden Handlungsstränge aufgezeichnet, Therapiemöglichkeiten evaluiert. Das hat mir sehr, sehr gut gefallen!
Die Fragen, die ich im letzten Blog-Beitrag gestellt habe, wurden äußerst zahlreich und vielschichtig beantwortet, das hat mir sehr gut gefallen.
Was die Beiträge angeht, komme ich nicht umhin, den Begriff Schwarmintelligenz an dieser Stelle einfließen zu lassen. Ich denke, es ist aber schon beim Lesen klar geworden: Einen einfachen und 100-prozentig richtigen Algorithmus gibt es für ein solches Szenario nicht. Es gibt verschiedene Lösungsmöglichkeiten, es gibt aber auch Situationen im Rettungsdienst, bei denen man trotz sorgfältiger Überlegung und größtmöglicher fachlicher Expertise manchmal nur das kleinere Übel wählen kann.
Genau so war es dann auch mit Aydin. Wenn wir uns was wünschen können, dann wäre es wohl die Heilung dieses kleinen Mädchens. Eine Heilung war in diesem Fall aber ausgeschlossen, ein baldiges Ableben absehbar. Entsprechende Gespräche hatten im Vorfeld stattgefunden. Dass Aydin sterben würde, war allen klar, es ging nur um das Wann und Wie.
Die somatische Situation optimieren
Das Wann wurde jetzt plötzlich konkret, über das Wie habt ihr euch ausführlich Gedanken gemacht. Ich finde es sehr beeindruckend, wie differenziert die Stellungnahmen hierzu ausfielen. Chapeau!
Ich hätte vielleicht deutlicher dazu schreiben sollen, dass wir natürlich umgehend versucht haben, die somatische Situation zu optimieren. Nach dem A (Freihalten des Atemwegs, Inspektion der Trachealkanüle, absaugen) kommt das B (Sauerstoff auf 100 %, Beatmung intensivieren …). Was den Fall besonders kompliziert macht, ist die Tatsache, dass wir es hier nicht nur mit einem medizinisch herausfordernden Fall zu tun haben, wir bewegen uns auch noch in einem anderen Kulturkreis mit einem teilweise völlig anderen Krankheitserleben und einer anderen Trauerkultur.
Da die intensivmedizinischen Maßnahmen keinen Erfolg zeigten, wurden wir zu einer Entscheidung vor Ort gezwungen. Die Ausgangslage war für mich nicht eindeutig genug, um hier dem mutmaßlichen Sinne der Patientin oder der Eltern entsprechend einen Verzicht auf Therapie auszusprechen. Diese Thematik ist fachjuristisch sehr komplex und wird in der Rechtsprechung auch lange nicht so eindeutig gehandhabt, wie man sich das so denken und wünschen würde.
Der Entlassungsbrief ist keine Patientenverfügung
Der Entlassungsbrief der Klinik und die Gesamtsituation gibt ein relativ eindeutiges Bild, es ist aber eben nur relativ und nicht absolut eindeutig. Auch aufgrund meiner Erfahrung mit ähnlichen Situationen und der teils sehr emotional überladenen Akutsituation einer Trauerbewältigung – teilweise mit Androhung strafrechtlicher Verfolgung – haben wir uns für eine Maximaltherapie entschieden.
Dies tue ich nie alleine, sondern immer in einer kurzen Rücksprache mit dem Team, das vor Ort ist. Sollte ein einzelnes Mitglied des Teams ein Problem mit der Behandlung haben, kann er oder sie für administrative Aufgaben (Rückmeldung an die Leitstelle, Telefonat mit der Klinik, Betreuung der Angehörigen etc.) aus der Akutversorgung rausgezogen werden. Sollten mehrere Mitglieder des Teams signalisieren, dass sie mit der vorgeschlagenen Behandlung ein Problem haben, ist es immer ratsam, das eigene Handeln zu überdenken.
Letztlich bleibt die Entscheidung für oder gegen eine Therapie eine grundsätzlich ärztliche Entscheidung.
Zu Hause bleiben konnte sie nicht
Wir haben zunächst unser eigenes Beatmungsgerät im kontrollierten Modus angeschlossen, auch um einen Gerätedefekt des Heimbeatmungsgeräts auszuschließen. Diese Heimbeatmungsgeräte sind so ziemlich für jede Überraschung gut – eine Fehlerquelle weniger.
Aydin hat über einen MAD von mir großzügig, aber altersentsprechend Midazolam erhalten, dann haben wir einen intraossären Zugang gelegt. Mit dieser Maßnahme hatten wir nicht nur unserer kleinen Patientin etwas Gutes getan, sondern auch allen anderen gezeigt, dass wir alles versuchen, um Aydin zu helfen.
Die umfangreichen invasiven Maßnahmen machten es auch für den mittlerweile eingetroffenen Vater besser begreifbar, dass Aydin trotz aller Bemühungen sterben werden würde. Ich hätte mir sehr gewünscht, die Patientin im Rahmen einer optimalen ambulanten Weiterversorgung – z.B. mit PSU-Team, religiösem Beistand, Familie etc. – in ihrem Zuhause zu lassen.
Wir fuhren Aydin in die Kinderklinik
Das klingt in der Theorie aber viel einfacher, als es konkret umsetzbar ist. In unserem Fall hätte das PSU-Team eine Stunde Vorlauf gehabt, ob und wann der Imam dazukommen konnte, war unklar und man sollte sehr, sehr vorsichtig sein, wenn man versucht, abzuschätzen, wie lange ein Sterbeprozess dauert.
Da wir als NEF-RTW-Team nicht stundenlang vor Ort verbleiben können, entschieden wir uns nach sorgfältiger Abwägung für einen Transport in die nahegelegene Kinderklinik. Im Verlauf zeigte sich dort, dass die invasive Beatmung nicht zurückgefahren werden konnte. Im Sinne der Patientin wurde auf das ursprüngliche Unterstützungsmuster der Beatmung deeskaliert, die folgende respiratorische Insuffizienz wurde nicht mehr behandelt und Aydin verstarb am dritten Tag.
Ich freue mich auf eure Rückmeldungen und bitte: immer freundlich bleiben, ich bin es auch.