Emma und Tina hätten beste Freunde sein können. Sie hätten sich auf der Krabbeldecke als fast gleichaltrige Babys anfreunden können, sind jetzt aber Mutter und Tochter. Die Eizelle von Emma wurde über 24 Jahre kryokonserviert, Tina selbst ist gerade mal 25 Jahre alt und hat Emma jetzt ausgetragen. Die ganze Story, mit Foto von Emma und Tina und Benjamin, findet sich hier.
Man kommt nicht umhin, über solche Nachrichten zu staunen und – der Mensch ist so, da kommt er nicht raus – er bewertet, er wägt ab und urteilt. Dabei ist es eigentlich sehr kompliziert. Mal wieder.
Wissenschaftlich gesehen: Hui!
Mir geht es aber hier gar nicht um eine ethisch-moralische Bewertung. Rein wissenschaftlich finde ich: hui! Ich meine – 24 Jahre wurde die Eizelle eingefroren! Man überlege mal, was vor 24 Jahren noch so passiert ist. Da wurden die fünfstelligen Postleitzahlen eingeführt und es wurden schlimme Dinge mit Text und Tönen gemacht, die Älteren unter uns erinnern sich noch. Aber das nur am Rande.
Also mal frei von Ethik, Moral, Anstand und „Darf-man-das?“: Ist es nicht sensationell, was da geschehen ist? So banal ist eine Kryokonservierung nämlich nicht, der ganze Prozess ist hochkomplex.
Es gibt viele (noch) ungelöste medizinische Probleme und auch an anderer Stelle könnte Kälte den Durchbruch bringen, zwar nicht durch einfrieren, wohl aber durch kühlen. Aber beginnen wir von vorn: Für Menschen mit einem Herzstillstand können wir schon ganz viel tun. Wir können sie auch retten, wenn wir schnell genug sind. Gerade beim Herzstillstand rennt aber die Zeit rasend schnell davon. In den ersten Minuten setzt bereits ein Zelltod im Gehirn ein, bereits nach wenigen Minuten ist ein irreparabler Hirnschaden entstanden.
Herzinfarkt im Büro und was schief läuft
Wenn also zum Beispiel jemand im Büro einen Herzinfarkt erleidet, kann das Herz in einen Herzrhythmus verfallen, der so ungleichmäßig wird, dass es schließlich stehen bleibt. Meistens wird dann der Notruf abgesetzt – danach passiert erstmal lange nichts. Manchmal werden die Rettungskräfte eingewiesen, gelegentlich wird der Tote (!) in die stabile Seitenlage gelegt. Viel zu selten wird die einzig richtige und zwingend notwendige Hilfe in Form einer Herzdruckmassage durchgeführt.
Wird das Gehirn nicht mehr mit frischem Blut und Sauerstoff versorgt, können die Zellen keine Energie mehr produzieren, sie stellen die Arbeit ein. Der Mensch wird innerhalb von Sekunden bewusstlos. Mindestens ein genauso großes Problem wie die fehlende Zufuhr von frischen Nährstoffen ist der fehlende Abtransport anfallender Stoffwechselendprodukte. Jede Zelle (meines Körpes …) ist darauf angewiesen, dass die anfallenden Stoffwechselendprodukte – also das, was am Ende der Hormonproduktion, der Energiesynthese und anderer Zellaufgaben übrig bleibt – abtransportiert und fachgerecht entsorgt wird.
Wie den Zellenselbstmord stoppen?
Werden diese Abfallprodukte nicht entsorgt, steigt ihre Konzentration innerhalb der Zelle, dies kann einen Zelltod induzieren. Vereinfacht gesagt erkennt die Zelle, dass hier etwas nicht stimmt. Sie kann dann selbständig entscheiden, sich selbst zu töten um somit weitere Zellen vor Problemen zu bewahren. Was die Zelle nicht weiß: Dass die Nachbarzelle gerade dasselbe Problem hat und dass nebenan dieselbe Lösungsstrategie gewählt wurde. Genauso wie tausende und womöglich Millionen andere Zellen. Das ist ein riesiges Problem, denn der eingeleitete Zelltod bedeutet letztlich eine Öffnung der Zellporen und ein Aufquellen der Zelle bis sie platzt.
Was bei einer einzelnen Zelle eine pfiffige Lösung zur Entsorgung ist, kommt bei einem gleichzeitig einsetzenden Zelltod von Millionen von Zellen einer Katastrophe gleich. Es kommt zum Hirnödem und zum Tod weiterer, bisher gesunder, Zellen, die regelrecht zerquetscht werden. Wie schön wäre es also, wenn man diesen Prozess aufhalten oder zumindest bremsen könnte?
Es muss unbedingt gekühlt werden
Und genau das hat man versucht. Seit Jahrzehnten laufen dazu Versuche. Eine der größten Untersuchungen hat im Rahmen einer Auswertung der INTCAR-Datenbank (international cardiac arrest registry) 2012 gezeigt, dass die verzögerte Einleitung einer milden Kühlung des Patienten das neurologische Ergebnis dramatisch verschlechtert. Je langsamer die Kühlung eingeleitet wird, desto schlechter sind die Chancen, wieder ein selbständiges Leben führen zu können, beispielsweise selbst essen und trinken zu können.
Also kühlen wir Menschen nach einer Reanimation mit Kühlpacks, manche nehmen kühle Infusionen und manchmal müssen auch Tiefkühlpommes herhalten. Konsequenter wäre es, Patienten zu kanülieren, also mit großen Gefäßzugängen zu versorgen, und das warme Blut rasch durch eine kühle Spülflüssigkeit zu ersetzen. Zukunftsmusik? Irgendwie ja, aber was wäre die Medizin ohne die Pioniertaten unerschrockener Mediziner. Mit Dashamwaimmerschonsogemacht würden wir heute noch schröpfen.
Pommes können Leben retten
Es gibt erste vielversprechende Ergebnisse in dem Bereich, aber noch ist alles sehr experimentell. Bereits 2005 wurde populärwissenschaftlich über den „Todesschlaf“ berichtet. Im Grunde genommen geht darum, den Körper für einen bestimmten Zeitraum auf Standby zu stellen und wieder zu aktivieren. So beeindruckend die ersten Versuche anliefen, so frustrierend klein sind die Fortschritte seitdem – aber es gibt sie.
Ich glaube, dass die Kühlung das nächste große medizinische Thema wird. Offensichtlich haben wir die richtigen Mechanismen dazu noch nicht komplett verstanden, aber wir sind auf dem Weg. Wenn ihr also das nächste Mal die letzte Packung Pommes aus der Tiefkühltruhe holt, überlegt es euch gut – ihr könntet damit nicht nur Leben, sondern Hirnmasse retten!