Aus aktuellem Anlass möchte ich aus meiner Sicht als Intensivmediziner in einem Krankenhaus der Maximalversorgung den Fokus auf ein paar wichtige, dringlich zu regelnde Dinge legen. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Organspendeausweis, Bankenvollmacht …
Ein Fall der letzten Wochen: Eine 32-jährige bisher komplett gesunde Frau war am Montag noch arbeiten. Dienstags krank geschrieben, in der Apotheke was „gegen Grippe“ geholt. Mittwoch zunehmend schlecht Luft bekommen, ab ins Krankenhaus, nachmittags auf der Intensiv, abends beatmet, Donnerstags zur Extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) zu uns auf die Intensivstation. Glaubt ihr, die Frau hat noch Zeit gehabt, irgendwas zu regeln?
Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Organspendeausweis, Bankenvollmacht … Man muss sich um solche Dinge kümmern, wenn man die Kraft, die Zeit und die Gesundheit dafür hat. Also jetzt! Denn wenn man all diese Unterlagen wirklich benötigt, ist es zu spät etwas zu regeln.
Was du jetzt geregelt haben solltest:
Wenn man intensivpflichtig krank wird, passiert das in aller Regel plötzlich und ist nicht vorher absehbar und dann befindet man sich in einem Zustand, in dem man sich selbst zu eigenen Wünschen nicht mehr äußeren kann. Das muss dann ein Stellvertreter übernehmen. Es ist mitnichten so, dass automatisch jemand aus der Familie als gesetzlicher Stellvertreter eingesetzt wird. Wenn der Richter auch nur andeutungsweise Zweifel daran hat, dass es Diskrepanzen in der Vertretung des Patientenwillens gibt (die so gar nicht existent sein müssen), wird in der Regel ein Berufsbetreuer eingesetzt. Der hat meist noch 150 andere Fälle und ihr tut gut daran, genau dieses Szenario zu verhindern.
Es reicht ein einfacher Schrieb (dafür gibt es Vordrucke, zum Beispiel hier). Anders als eine Vollmacht ist eine Vorsorgevollmacht nur gültig, wenn die betroffene Person selber nicht mehr geschäftsfähig ist. Solange ihr also wach und geschäftsfähig seid, ist dieses Papier wertlos.
Die Eintragung in irgendein Register ist meiner Meinung nach Quatsch, auf keiner der Intensivstation, auf denen ich in den letzten zehn Jahren gearbeitet habe, ist jemals bei einem solchen Register angerufen worden. Hinterlegt die Kopie oder das Original bei der Person, die ihr als Vorsorgebevollmächtigte eingetragen habt, das reicht vollkommen aus.
Es gibt leider auch immer wieder Fälle von Missbrauch der Vorsorgevollmachten, deshalb gibt es für diejenigen, die sich nicht sicher sein können, noch die Möglichkeit der …
Kennen die wenigsten, ist aber ein tolles Instrument, um sich vor einem Missbrauch der Vorsorgevollmacht zu schützen und trotzdem für den Fall der Fälle vorgesorgt zu haben. In der Betreuungsverfügung kann man Wünsche für den Fall einer notwendigen Betreuung äußern. Wie man wohnen möchte, welche medizinischen Maßnahmen durchgeführt werden sollen, welche nicht und vor allem, wer im Falle des Falles als Betreuer eingesetzt werden soll und wer nicht. Es geht aber noch weiter: Man kann dem potenziellen Betreuer ganz genaue Vorgaben für die Betreuung machen, zum Beispiel darüber, wer zu Weihnachten ein Geschenk bekommen soll oder wer Auskunft über beispielsweise den eigenen Gesundheitszustand erhalten darf.
Damit die Betreuungsverfügung in Kraft tritt, muss ein Richter angerufen werden, dieser muss sich vor Ort oder nach ärztlichem Gutachten ein Bild von der temporären oder dauerhaften Geschäftsunfähigkeit machen und eine Betreuung nach euren geäußerten Wünschen anordnen. Das Gericht ist auch verpflichtet, die Einhaltung der Vorschriften zu überprüfen. Recht gut erklärt wird der Sachverhalt hier, auch Vorlagen können hier abgerufen werden.
Ich empfehle aber wie bei allen Vorlagen, die das Thema betreffen, besonders den Part mit den persönlichen Wünschen ausführlich zu gestalten. Nur dadurch bekommen die behandelnden Ärzte und Pflegekräfte und auch der Richter einen Eindruck von euren persönlichen Vorstellungen.
Eine Sache fehlt noch. Wenn es nämlich Kinder gibt, braucht man die …
Für den unwahrscheinlichen aber möglichen Fall, dass beide Elternteile versterben oder in Folge eines Unfalls oder einer Erkrankung dauerhaft geschäftsunfähig bleiben und nicht mehr für die eigenen Kinder sorgen können, sollte eine Sorgerechtsverfügung verfasst werden. Eltern können darin anweisen, wer sich um die Kinder kümmern soll, wenn sie selber nicht mehr dazu in der Lage sein sollten. Recht gut erklärt ist das hier, kein schönes Thema, ich habe diese Situation aber bereits zweimal erlebt. Ein Verkehrsunfall, bei dem der PKW vorne unter den LKW geschoben wurde, die Eltern waren noch an der Unfallstelle tot, zwei der drei Kinder überlebten den Unfall schwerverletzt.
Der naheliegende Gedanke, die Kinder bei den Großeltern unterzubringen, ist erstmal nicht gänzlich verkehrt. Je nachdem, wie es um den Gesundheitszustand der Großeltern steht und je nachdem, wie groß der Altersabstand ist, kann es sinnvoll sein, die Kinder bei Familien im Freundeskreis oder bei den eigenen Geschwistern großwerden zu lassen. Ein komplexes und unangenehmes Thema, aber eine Sorgerechtsverfügung hilft den Gerichten, die richtige Entscheidung zu treffen.
Und dann wäre da noch die …
Ja, die kann man gerne schreiben. Aber bitte nicht in einem der Formulare, die unter anderem diesen unsinnigen Satz enthalten:
„ … wenn zwei Ärzte (gerne auch zwei Fachärzte!) unabhängig voneinander festgestellt haben, dass ich mich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befinde …“
Das ist totaler Schwachsinn, denn in diesem Zustand wird keine Patientenverfügung benötigt. Wenn ein Arzt feststellt, dass sich ein Patient in einem unabwendbaren (!) unmittelbaren Sterbeprozess befindet, sind alle anderen Maßnahmen – pardon – Leichenfledderei.
Patientenverfügungen werden aus dem einfachen Grund geschrieben, dass Menschen verhindern wollen, angeschlossen an Maschinen vor sich hin zu vegetieren und irgendwann auf der Intensivstation zu sterben.
Die Ärzteschaft hat es versäumt, hier rechtzeitig Beratungsangebote auf die Beine zu stellen. Auch im hausärztlichen Bereich wird eine entsprechende Beratung überhaupt nicht vergütet. Diese Lücke haben die Juristen ausgefüllt und sich gut aufgestellt mit teilweise sehr teuren Beratungsangeboten, bei denen man für viel Geld immerhin ein echtes Wachssiegel vom Notar erhält und das macht doch wirklich was her. Sieht schick aus, ändert aber nichts daran, dass das Geschwafel in den meisten Patientenverfügungen nichts wert ist, weil die Situation, in der die Patientenverfügung anzuwenden wäre, so niemals eintreffen kann. Die Patientenverfügungen bleiben also in Folge dessen meist unbeachtet.
Ich empfehle an dieser Stelle eher handgeschriebene Patientenverfügungen, wie ich sie bei einem Patienten fand. Der Patient selber war ehemaliger Oberarzt einer chirurgischen Klinik in der Nähe. Er hatte in häuslicher Umgebung bei Luftnot den Rettungsdienst gerufen, ist notfallmedizinisch versorgt worden. Bei Ankunft auf unserer Intensivstation wurde der Patient bereits künstlich beatmet. In seinen Unterlagen fand sich anschließend die folgende Patientenverfügung:
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Hiermit verfüge ich, Dr. med. H.M., geb. am **.**.1939 für den Fall, dass ich meinen Willen nicht selbständig äußern kann, dass ich jegliche intensivmedizinische Maßnahmen ablehne. Sollten versehentlich lebensverlängernde Maßnahmen wie die Anlage einer Magensonde, die Anlage eines zentralvenösen Katheters, eine Dialysetherapie, eine Antibiotikatherapie, eine Katecholamintherapie oder auch eine Beatmungstherapie mit oder ohne Anlage eines Endotrachealtubus begonnen worden sein, so sind diese Maßnahmen sämtlich und unverzüglich abzubrechen. Ich dulde solcherlei Maßnahmen unter keinen Umständen, auch nicht kurzfristig.
Ich wünsche in jedem Fall eine bestmögliche palliative Unterstützung mit Linderung von Durst, Unruhe, Hunger und Schmerz. Insbesondere die Schmerzlinderung soll im Fokus stehen und sehr großzügig durch Opioide wie z.B. Morphin, Sufentanil oder ähnliche Präparate sichergestellt werden. Eine mögliche atemdepressive Wirkung nehme ich ausdrücklich billigend in Kauf.
Undeutliche Äußerungen meinerseits sind im Zweifel zu ignorieren. Wenn möglich möchte ich in meiner häuslichen Umgebung sterben.
Gezeichnet. Dr. H.M. im Oktober 20**.
Eine solche Patientenverfügung lässt keinen Spielraum offen. Ganz ohne Wachssiegel. Auf einer einzigen DIN-A4-Seite steht hier mehr als auf den meisten zehnseitigen Patientenverfügungen, die wir so reingereicht bekommen – und die meist ignoriert werden, weil sie so schwammig formuliert sind.
Über Sinn und Unsinn einer Therapie wird bei Patienten auf der Intensivstation oft erst dann nachgedacht, wenn alle Maßnahmen ausgeschöpft worden sind und die Patienten mit Beatmung, und am besten auch noch mit Dialyse, in die nächste Codierungs-Stufe gerutscht sind.
Dieser Patient war der einzige, bei dem selbst der leitende Oberarzt der Intensivstation keine Option sah, entgegen dem klar geäußerten Willen des Patienten die begonnene Intensivtherapie fortzuführen. Es ist der einzige Patient, den ich in fünf Jahren kennengelernt habe, der es geschafft hat, vor Durchführung aller Maßnahmen der Mühle Intensivstation zu entkommen und in Würde gehen zu dürfen.
Der Patient erhielt sehr großzügig Morphin, wurde extubiert und verstarb in der Nacht. Ursächlich war wahrscheinlich eine exazerbierte COPD, eine Lungenentzündung bei einer vorbestehenden Lungengerüsterkrankung. Das ist nichts Bösartiges und prinzipiell sogar gut behandelbar, aber eben nur mit Intensivtherapie, die dieser Patient klar und unmissverständlich für sich ausgeschlossen hatte.
Anhang
Darüber hinaus sollte man natürlich noch andere Vorkehrungen für das eigene Ableben treffen. Die großartige Patricia Cammarata, die unter dem Pseudonym „das Nuf“ einen sehr lesenswerten Blog betreibt, hat einen tollen Beitrag dazu geschrieben, den man hier [Werbung] findet. Ist zwar Werbung für eine Risikolebensversicherung, aber die sollte sowieso jeder haben. Anbieter gibt es ja genug. Ich denke, dann solltet ihr schon mal einen großen Schritt weiter sein.
Herrje, ein richtiger Serviceblog hier heute.