Im südhessischen Lindenfels ist unlängst ein Kind an einer Meningokokken-B-Sepsis verstorben. Wie ist das eigentlich mit der generellen Impfempfehlung gegen dieses Bakterium? Was sagt die STIKO?
Davor haben wir Kinderärzte alle, alle, alle Angst: Im hessischen Lindenfels ist in dieser Woche ein Kindergartenkind an einer Meningokokken-B-Infektion gestorben.Dies soll der traurige Anlass sein, nochmal etwas über die mögliche Impfung gegen diese Bakterien zu schreiben:
Meningokokken B werden von Mensch zu Mensch übertragen, als typische Tröpfcheninfektion, sie können ohne großartige Symptome abgewehrt werden, verlaufen aber auch nicht selten fulminant. Im Gegensatz zu anderen Meningokokkenstämme (z.B. MenC, die in Deutschland häufiger vorkommt und wogegen ja auch seit Jahren im Alter von einem Lebensjahr geimpft wird), können sie zu schwersten Hautblutungen führen und leider oft auch zum Tode.
Bei Infektionsverdacht kommt es auf jede Minute an
Kommt es zu einem bekannten Fall in einer Einrichtung, werden alle Kontaktpersonen vom Gesundheitsamt identifiziert und in aller Regel prophylaktisch mit einem Antibiotikum behandelt (Rifampicin, macht schönen roten Urin), damit lassen sich Ausbrüche recht schnell eindämmen. Ich selbst habe einen Fall als junger Assistenzarzt erlebt, auch als behandelnder Arzt muss man diese Prozedur über sich ergehen lassen. Und beim Erkrankten gilt: Alleine die frühzeitige Behandlung mit einem Antibiotikum kann den letalen Verlauf verhindern.
Kinderklinikambulanzen, auch wir Kinderärzte, bevorraten das empfohlene Notfallantibiotikum Cefotaxim iv. Sobald der Verdacht besteht, könnte ich es also sofort verabreichen. Mitunter ist sonst sogar die Zeit, die bis zur Sicherung der Diagnose vergeht (Fahrt in die Klinik, Aufnahme, Lumbalpunktion), zu lang.
Einen Impfstoff gibt es, aber keine Empfehlung
Seit 2013 gibt es Impfstoffe gegen die Meningokokken B. Warum gibt es aber bisher keine generelle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO), allen Kinder diese Impfung zu geben?
Man versucht Krankheiten ja bekanntlich aus verschiedenen Gründen durch Impfungen einzudämmen:
Diese Gründe treffen auf viele Erkrankungen und deren Impfungen zu, bei manchen überschneiden sich die Gründe, bei manchen sind es solitäre Gründe.
Bei Meningokokken B wäre der häufig fulminant-letale Verlauf („invasive Meningokokken-Erkrankung“ = IME) ein guter Grund, die Impfung zu empfehlen. Viele Ärzte können eine Geschichte dazu erzählen, viele Ärzte empfehlen aufgrund des aktuellen Ereignisses die Impfung, niemand sollte das erleben. Vielleicht ist es auch ein Prinzip ärztlichen Handels, grundsätzlich eine Impfung zu empfehlen, die eine Erkrankung verhindern kann, um ein Leiden so vorbeugend zu verhindern.
Wie argumentiert die STIKO?
Die STIKO ist sich des tragischen Verlaufes vieler Meningokokken-B-Erkrankungen klar bewusst, dennoch gibt sie weiter keine generelle Impfempfehlung. Sie argumentiert, dass die Krankheitshäufigkeit in Deutschland auch ohne Impfung abgenommen habe. Seit Einführung der Meldepflicht 2001 erlebt Deutschland derzeit das niedrigste Niveau an IME. Dies ist als Argument insofern interessant, weil viele Impfgegner eben jenes Argument anbringen, wenn es um andere Erkrankunegn geht: Viele Erkrankungen seien bereits vor der Einführung einer generellen Impfung rückläufig gewesen.
Ein zweiter Aspekt, der laut STIKO gegen eine grundsätzliche Impfempfehlung spricht, ist die Tatsache, dass in Deutschland die Meningokokken-B-Infektion im Vergleich zu anderen Ländern eher selten vorkommt. Im Jahr 2015 gab es beispielsweise in England 21,8 Erkrankte pro 100.000 Einwohner, während es in Deutschland 6,0/100.000 Einwohner waren.
Die STIKO bleibt bei ihrer Empfehlung
Außerdem legt die STIKO in ihrem neuesten Bulletin sehr ausführlich die Impfergebnisse aus anderen Ländern dar, diskutiert die Verträglichkeit des Impfstoffes (nicht so gut), die mögliche Implementierung in den aktuellen Impfkalender (kompliziert) und die Immunogenität der auf dem Markt befindlichen Impfstoffe (geht so). Sehr ausführlich, sehr detailliert. Dennoch bleibt die STIKO nach der erstmaligen Empfehlung der Impfung für Risikopatienten (z.B. mit Immundefekten oder Asplenikern) von 2014 auch dieses Jahr bei der Haltung gegen eine grundsätzliche Impfung.
Die Impfkommission zeigt im Fall der Meningokokken-B-Impfung Zurückhaltung und begründet diese gut, so schwer der Einzelfall einer IME auch sein mag, so selten kommt die Erkrankung letztendlich vor. Ob eine Senkung der Erregerlast in der Gesamtbevölkerung durch eine generelle Impfung erreicht werden kann, müssen Studien aus England zeigen, wo die Empfehlung für eine generelle Impfung existiert.
Wie machen wir das in der Praxis?
Wenn Eltern in meiner Praxis nach der Impfung fragen, versuche ich, genau diese Haltung zu vermitteln: Die Erkrankung an Meningokokken B kann sehr schlimm verlaufen, aber sie ist eher selten im Vergleich zu anderen Infektionen. Das Nebenwirkungsprofil der Impfstoffe ist bei der Entscheidung für oder gegen eine Impfung nicht zu vernachlässigen. Ob die Impfung letztendlich vor dem gerade zirkulierenden MenB-Stamm schützt, ist zudem nicht sicher, die STIKO spricht von einer Abdeckung von 82 %. Wer die Impfung für sein Kind wünscht, der bekommt sie aber; Kosten ca. 300 Euro, wird nicht von allen Kassen übernommen und ist immer erst einmal eine Privatleistung.
Ich versuche, meine eigene Erfahrung im Kopf zu behalten und hätte auch Angst vor einer Infektion unter meinen Patienten, vertraue aber der Weitsicht und dem epidemiologischen Sachverstand der STIKO. Als einzelner Arzt wäre es vermessen, die Wirkung oder Nichtwirkung der MenB-Impfung abzuschätzen. Einzelerlebnisse waren noch nie gute Entscheidungshilfen und sind in der Regel eher ein Instrument der Impfgegner. Nur die genaue Betrachtung der Epidemiologie in unserem Land kann eine generelle Empfehlung bringen oder eben nicht. Diese werde ich dann auch entsprechend in der Praxis umsetzen.
STIKO-Bulletin vom 18.1.2018 zu diesem Thema
Ursprünglich hier.