Glioblastome sind trotz intensiver Behandlung durch Operation, Strahlen- und Chemotherapie nicht heilbar. Doch ein kürzlich entdeckter Mechanismus könnte ein neues Drug Target darstellen. Denn das Tumorwachstum wird durch zwei sich gegenseitig verstärkende Gene beschleunigt.
Das Glioblastom gehört zu den bösartigsten Krebsarten und wird aufgrund seiner schlechten Prognose von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Grad IV eingestuft. Es entsteht, wenn sich Astrozyten und deren Vorläuferzellen, die neuralen Stammzellen, krankhaft vermehren. Glioblastome gehören zur Gruppe der Astrozytome, die wiederum zu den Gliomen zählen. Die Therapie der Glioblastome ist bislang unbefriedigend. Denn Bestrahlung und Chemotherapie sind häufig wirkungslos und chirurgisch lässt sich der Tumor nur schwer entfernen, da er schnell sowie invasiv in angrenzendes gesundes Gewebe wächst. Verbleibt nur eine einzige Hirn-Tumorstammzelle nach einer Operation im Gehirn, kann diese erneut ein Glioblastom bilden. Daher beträgt die durchschnittliche Überlebenszeit nach der Diagnose gerade mal 15 Monate. Nur 16 Prozent der Betroffenen überleben die ersten drei Jahre nach der Diagnosestellung, bei ihnen sprechen Mediziner von Langzeitüberlebenden.
Bereits bekannt ist, dass viele Tumore eine Mutation im Rezeptor für den epidermalen Wachstumsfaktor aufweisen, der als EGFRvIII bezeichnet wird. Dies sind aktive Rezeptoren, die in Abwesenheit des epidermalen Wachstumsfaktors (EGF) die Phosphorylierung und damit Aktivierung des Transkriptionsfaktors STAT3 (Abkürzung für Signal Transducers and Activators of Transcription) veranlasst. Dieses Protein hemmt in Abwesenheit von EGFRvIII das Tumorwachstum. Wird EGFRvIII jedoch gebildet, ändert STAT3 seine Wirkung und wird potenziell krebserregend. Der Mechanismus allerdings, wie STAT3 Gliazellen in Krebszellen umwandelt und warum sich Hirn-Tumorstammzellen durch die Aktivierung von EGFR bösartig verhalten, ist unklar. Nun konnte eine Gruppe um Arezu Jahani-Asl [Paywall] von der McGill Universität in Montreal in Kanada zeigen, dass EGFRvIII nicht allein für das Glioblastom-Wachstum verantwortlich ist. Mitverantwortlich ist vielmehr ein weiterer Defekt im Gen für den sogenannten Oncostatin M-Rezeptor (OSMR). Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler etwa 340 Tumorproben, die aus Glioblastom-Patienten entnommen und im Cancer Genome Atlas (TCGA) und der REMBRANDT Datenbank hinterlegt worden waren. Wie sich zeigte, starben die Patienten umso früher, je höher die Konzentration an STAT3 und OSMR war. Ein ähnliches Ergebnis erhielten die Wissenschaftler auch, wenn sie Faktoren wie Patientenalter, Tumorgrad oder ob eine Mutation des IDH1 vorlag, berücksichtigten. Mit der Abkürzung „IDH1“ ist das Enzym Isocitrat-Dehydrogenase 1 gemeint. Bei Gliomen befindet sich häufig ein Schreibfehler im Erbgut, sodass ein Eiweißbaustein an Position 132 des IDH1 ausgetauscht wird.
Als nächstes versuchten die Wissenschaftler den zugrunde liegenden Mechanismus aufzuklären. Verschiedene Tests ergaben, dass OSMR und EGFRvIII zusammen als Korezeptor vorlagen. Der Ligand des OSM-Rezeptors, das Oncostatin-M, startet die Phosphorylierung des EGFR, das wiederum zu einer EGFRvIII-OSMR-Wechselwirkung führt. Blockierten die Wissenschaftler die Phosphorylierung des EGFRvIII, wurde auch die Interaktion der beiden Rezeptoren sowie die Aktivierung des Transkriptionsfaktors STAT3 beeinträchtigt. In einem weiteren Versuch schaltete die Gruppe die OSMR-Expression in den Zellen aus, wodurch auch die Konzentration des krebserregenden EGFRvIII zurück ging. All dies deutet darauf hin, dass OSMR und EGFRvIII einen gemeinsamen Rezeptor bilden und auch ein gemeinsames Repertoire an Zielgenen aufweisen. Hirn-Tumorstammzellen © Dr. Takrima Haque in the laboratory of Dr. Arezu Jahani-Asl
Um die Auswirkung von OSMR auf das Tumorwachstum zu bestimmen, injizierten die Forscher sechs Wochen alten Mäusen mit Immundefekt „Mäuse-Astrozyten“ unter die Haut, die nur wenig OSMR exprimierten. Zwei bis drei Wochen später litten alle Mäuse der Kontrollgruppe unter ulzerierten Tumoren. Zudem hatten die Tiere mehr als 20 Prozent des Körpergewichts verloren. In einem weiteren Versuch wurde Mäusen humane Hirn-Tumorstammzellen mit geringer OSMR-Expression verabreicht. Verglichen mit der Kontrollgruppe reduzierte sich das Tumorwachstum der OSMR-Knockdown-Mäuse um 80 Prozent. Im nächsten Versuch verabreichten die Forscher die Zellen den Tieren direkt in den Schädel. Dabei erhielt die Kontrollgruppe „Mäuse-Astrozyten“, die EGFRvIII exprimierten, und die Versuchsgruppe „Mäuse-Astrozyten“, die EGFRvIII exprimierten und bei denen OSMR ausgeschaltet worden war. Während sich bei den Kontrolltieren hochmaligne Hirntumore bildeten, fanden die Wissenschaftler bei den OSMR-Knockdown-Mäusen keinen Tumor.
Ein mögliches neues Drug Target will auch die Gruppe um Frank Winkler [Paywall] von der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg und vom Deutschen Krebsforschungszentrum gefunden haben. Laut den Wissenschaftlern bilden Astrozytomzellen nämlich lange, dünne Membranschläuche. „Unser erster Gedanke war: Das sieht ja aus wie die Neubildung eines Gehirns im bestehenden Gehirn", berichtet Frank Winkler. „Die Tumorzellen waren stark untereinander vernetzt, so wie wir das von Nervenzellen im Gehirn kennen.“ Mit diesen Fortsätzen durchdringen die Krebszellen das gesunde Gehirn, tasten es ab und kolonisieren. Wächst der Tumor, verbinden sich die Zellen mit den Membranschläuchen zu einem großen Netzwerk, mit dem sie intensiv über lange Distanzen kommunizieren können. Zudem entdeckten die Wissenschaftler, dass der Tumor umso bösartiger war, je vernetzter die Astrozytomzelle waren. Für ihr Netzwerk missbrauchten die Krebszellen bestimmte molekulare Signalwege, die normalerweise an der frühen Entwicklung des Nervensystems beteiligt sind. Wurden diese Signalwege in Tierversuchen blockiert, verringerte sich das Netzwerk und die Tiere sprachen stark auf eine Strahlentherapie an. „Die Resistenz der Astrozytome, insbesondere der Glioblastome, gegen alle Therapieformen ist ein enormes Problem. Unsere Ergebnisse zeigen uns erstmals einen lang gesuchten neuen Ansatz auf, diese Resistenz zu brechen, um die Tumoren zukünftig möglicherweise besser behandeln zu können.“, sagt Wolfgang Wick, Leiter der Klinischen Kooperationseinheit und der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg.
„In der Lage zu sein, die Tumorbildung vollständig zu stoppen, war ein überraschendes und beeindruckendes Ergebnis“, so Dr. Rudnicki, einer der Autoren der Studie. „Es bedeutet, dass dieses Protein das entscheidende Puzzlestück ist und ein mögliches Target für die zukünftige Behandlung sein könnte“. Neben Glioblastom-Patienten könnten aber auch Menschen mit anderen EGFR-bildenden Krebsarten wie Brust-, Lungen- und Gebärmutterhalskrebs von der Erkenntnis, dass EGFRvIII zuerst an OSMR binden muss, bevor es Signale zur Tumorbildung aussenden kann, profitieren. Als nächstes planen die Wissenschaftler nach kleinen Molekülen oder Antikörpern zu suchen, die das Protein OSMR blockieren oder es von der Wechselwirkung mit EGFR abhalten können. Bis zur Entwicklung eines Medikaments und bis dieses auch am Menschen eingesetzt werden kann, werden jedoch noch einige Jahre vergehen. Originalpublikation: Control of glioblastoma tumorigenesis by feed-forward cytokine signaling Arezu Jahani-Asl et al.; Nature Neuroscience, doi: 10.1038/nn.4295