Mark-Anton schreit bereits die gesamte Praxis zusammen. Im Zimmer zum Vermessen reden die „Tante“ (die fMFA) und Mutter mit Engelszungen auf den Kerle ein, damit er sich wenigstens für eine Sechzehntelsekunde vor den Körpermessstab stellt.
Das Wiegen auf der Waage gelingt auf dem Arm der Mutter, die dafür aber das eigene Körpergewicht preisgeben muss.
„Viel Spaß“, grinst meine fMFA*, „ich war schon die doofe Tante, jetzt gehört er ganz Ihnen, Chef.“
„Heute gehts schnell“, denke ich trotzdem und betrete das Untersuchungszimmer. Die U7 ist bei allen Beteiligten die unbeliebteste Vorsorgeuntersuchung. Die Mutter ist angespannt, weil sie möchte, dass das Bobele ausreichend und korrekt performt. Der Doktor versucht, all seine Motivationskünste aufzubieten und Mark-Anton selbst bewegt sich irgendwo im kindlichen Bermudadreieck der Trotzphase, der Selbstbestimmung und dem Der-Mutter-gefallen-wollen. Vor allem aber hat er keinen Bock. Angst hat er nicht.
Auf die U7 hat niemand Lust
„Komm, Marki, hab keine Angst, der Mann tut Dir nichts“, versucht die Mutter des Sohnes Gebrülle zu durchdringen. „Wissense, seit der Impfungen hat er immer sooo eine Angst vor den Ärzten. Und dann war er ja letztens bei dem Vertretungsdoktor, das fand er gar nicht gut und beim Zahnarzt hat er den Mund auch nicht aufgemacht.“
Ja. Aber das kenne ich eigentlich von allen Kinder, obwohl alle Kinder sonst sehr unterschiedlich sind. Ich kenne meine Pappenheimer bei der U7 und die haben erstmal einfach keine Lust. Gut, wenn sie wenigstens zu Hause auf das Geschehen beim Kinderarzt vorbereitet werden.
„Ich habe schon extra nicht gesagt, dass wir heute zu Ihnen kommen“, sagt die Mutter, „sonst wäre er gar nicht erst ins Auto eingestiegen“.
Was mache ich bei dieser Untersuchung?
Was versuche ich also bei der U7? Nach dem erfolgreichen Bestimmen der Körpermaße – Gewicht, Größe, Kopfumfang, bei guter Stimmung gibts einen Blutdruck als Bonusgabe – wird improvisiert. Hochgestimmte Kinder wie Mark-Anton bleiben erstmal bei Mutter (oder Vater) auf dem Schoß sitzen und wir machen Smalltalk.
Seit wann läuft das Bobele? Bis 18 Monate? Alles gut.
Was plappert er schon? Zweiwortsätze und viele viele Einzelworte? Prima.
Isst er schon alleine am Tisch mit, bestenfalls mit Messer und Gabel und wird vor allem nicht gefüttert?
Geht das Spielen inzwischen ins Miteinanderspielen über, weg vom Parallelspiel oder Bespieltwerden? Ja, alles prima.
Treppensteigen? Check.
Bobbycar oder Dreirad? Ja.
Noch Windel tags und nachts? Normal.
Mehr Ich-Sagen als Mark-Anton? Okay.
Das klingt doch alles bestens.
Wir nähern uns ein wenig an
Inzwischen hat sich der Held ein wenig runtergefahren, hat es sich auf dem Schoß der Mutter gemütlich gemacht, wirft mir ab und zu einen Blick zu, erwidert mein Grinsen oder Augenzwinkern.
Dann zünden wir mal die nächste Stufe. Ich rutsche mit dem Rollhocker näher an den Mann heran, reiche ihm mein Stethoskop (oder die Spatel oder Klötzchen oder die Bilderkarte). Nimmt er es, prima. Kriecht er wieder in die Mutter hinein, Geduld.
So nähern wir uns langsam einander an. Die körperliche Untersuchung ist dabei echt zweitrangig. In diesem Alter sehe ich die Kinder meiner Praxis sowieso fünf- bis zehnmal pro Jahr, wegen der Infekthochzeit und dank der Kita ab einem Jahr sogar noch häufiger.
Auch wichtig: Interaktion zwischen Mutter,Vater, Kind
Aber ein kurzes Auskultieren muss sein, allein schon für die Eltern. Ein Blick auf den Zahnstatus, ein Blick auf das Laufbild und natürlich ein Blick zu den private parts. Die Hoden müssen jetzt am allerallerallerendgültigsten „unten“ tastbar sein. Nebenblicke gelten dem Pflege- und Ernährungszustand des Kindes, Hauptblicke der Interaktion zwischen Mutter/Vater und Kind.
Die Sprache wird – wenn Mark-Anton nicht redet – per Fragebogen abgeprüft, da gibt es ganz gute Vorgaben, die die Sprachentwicklung prognostisch erschließen. Plappert der Proband, ist es am einfachsten: Da braucht es keine Statistiken oder Wortmengen, sondern einfach nur das erfahrene Pädiater-Ohr.
Der Anteil der so genannten Late Talker, also von Kindern, die erst später mit der spontanen Sprache starten, ist relativ hoch, vor allem bei den Jungs. Sie gilt es zu erkennen und eventuell noch vor der nächsten Vorsorgeuntersuchungen, der U7a, zu überprüfen. Bei einer relevante Sprachverzögerung ist bereits jetzt eine weitere pädaudiologische Abklärung und eine Sprachförderung im Kindergarten, manchmal sogar eine logopädische Förderung von Kind und Eltern (z.B. das Heidelberger Elterntraining), notwenig.
Wir finden schon noch zueinander
Überflüssig zu sagen, dass ich den Impfstatus überprüfe. In aller Regel lief die letzte Impfung mit fünfzehn Monaten. In seltenen Fällen, wenn das Kind dauerkrank war oder aus anderen Praxen oder Städten zu uns gewechselt ist, ist die eine oder andere Impfung nachzuholen. Das machen wir an einem neuen Termin. Da Mark-Anton von der heutigen Untersuchung nichts wusste, kann ich davon ausgehen, dass auch eine Impfung nicht angekündigt wurde.
Marki und ich sind heute keine Freunde mehr geworden. Das Ablehnen ging zum Ende in einen stillen Schmollmund über, was solls? Die Mutter ist selbst mit seiner Entwicklung zufrieden, warum sollte ich es also nicht sein? Und eines ist sicher: Die größten Trotzer sind später die witzigsten U8- und U9-Patienten. Also, meistens.
*freundliche Medizinische Fachangestellte
Ursprünglich hier