Als die 43-jährige Frau vom Pferd fällt, ist es 15 Uhr. Für kurze Zeit bleibt ihr die Luft weg. Sie kann nicht mehr richtig einatmen. Aber sie schafft es, alleine aufzustehen, das Pferd einzufangen und in den Stall zu bringen. Die Zeit läuft.
Sie ist schon oft gestürzt, allerdings ist das letzte Mal eine ganze Weile her. Seit sie ein kleines Kind ist, reitet sie. Als sie zu Hause ankommt, setzt sie sich erst einmal auf ihre Couch, wirft eine Ibuprofen ein und macht sich einen Tee. Die Schmerzen werden sicherlich bald besser werden.
Tropf.
15 Uhr 30. Die Notaufnahme ist zum Bersten voll. Die Notaufnahmeschwestern springen durch die Gegend, es bleibt keine Zeit zum Atmen. In der Abteilung für Inneren Medizin sind 16 Patienten. In meinem Fachbereich warten 14 Patienten auf ihre Behandlung. Wir sind alle unterbesetzt und arbeiten entsprechend der Triage – Prioritätenliste einen nach dem anderen ab.
Die Schmerzen werden trotz der Tablette schlimmer. Das Atmen fällt ihr schwer. Sie ruft ihre Schwester an. So langsam wandern die Schmerzen auch in den unteren Rücken und die Flanke. Vielleicht sollte sie doch zum Arzt gehen.
Zusätzlich sind die Gefäß- und Viszeralchirurgen in unserer kleinen Kammer, die PCs werden von mehreren Ärzten gleichzeitig benutzt. Ein organisatorisches Wunderwerk.
Zwei Schockräume, dicht aufeinander gefolgt, bringen den ganzen Kreislauf für einige Zeit zum Stehen. Als ich wieder dazu komme, die wartenden Patienten zu behandeln, ist die Zahl auf 22 gestiegen.
Als sie beim ärztlichen Notdienst eintreffen, ist es 18 Uhr 30. Die Schmerzen im Rücken werden nach der Schmerzinfusion deutlich besser. Aber ihr ist schlecht und sie muss sich übergeben.
Als die Infusion um 19 Uhr 30 durchgelaufen ist, entscheidet der ärztliche Notdienst, sie in das naheliegende Krankenhaus fahren zu lassen. Ihre Schwester bietet sich als Fahrerin an, sodass sie den Krankenwagen ablehnt.
Glücklicherweise sind die ersten 10 Patienten schnell behandelt. Prellungen, Distorsionen, eine Radiusfraktur, ein Patient mit pertrochantärer Femurfraktur, der noch für die OP morgen vorbereitet wird.
Es ist Freitag Abend, mittlerweile 20 Uhr 30. Ich muss rasch arbeiten. Bald werden die betrunkenen Gestürzten einlaufen, die ersten Polizisten stehen schon mit den Blutentnahmen in der Warteschlange.
Im Vorbeigehen erhasche ich den schmerzerfüllten Blick einer Patientin, die kreidebleich im Gesicht ist. Sie ist grün triagiert. Normal. Als Anmerkung steht dabei: schon vor 6 Stunden vom Pferd gestürzt. Bereits Schmerzinfusion vom ÄND erhalten. VAS 2/10. Noch keine Vitalparameter.
Ich drehe auf meinem Weg in ein Patientenzimmer um. Das Gesicht der Patientin entspricht 8/10 und die Gesichtsfarbe einer roten Kategorie.
„Holt sie sofort rein.“
Das Atemgeräusch ist auf der linken Seite abgeschwächt, der Blutdruck systolisch bei 100 und die Herzfrequenz bei 120 Schlägen/Minute. Ich schnappe mir das Ultraschallgerät und mache einen FAST. Freie Flüssigkeit. Ich finde die Milz nicht. Ich erkläre sie zur Schockraumpatientin und wir verlagern sie in den Schockraum.
Um 22 Uhr beginnt die Allgemeinchirurgin mit der Splenektomie. Kurz nachdem ich die Thoraxdrainage gelegt habe, um den Hämatopneumothorax zu entlasten. Im Anschluss daran wird ihre instabile LWK-2-Fraktur mit einem dorsalen Fixateur stabilisiert.
Schwerverletzte Patienten kommen oft zu Fuß.
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