Sagt man einem Sterbenden, dass er gerade stirbt? Wie geht man mit Suizidversuchen um? Und wie lassen sich die Bilder verarbeiten, die man nach einem Notfalleinsatz im Kopf hat? Diese Fragen hat ein Notarzt beantwortet.
Ich habe euch via Twitter gefragt: Was wolltet ihr immer schon vom Notarzt wissen? Es sind viele interessante Fragen bei mir eingegangen. Hier kommt eine Auswahl von zehn Fragen mit meinen Antworten dazu:
Es sind tatsächlich Autofahrer, die mal eben schnell noch hier durch müssen. Da erlebt man alles. Auch, wenn wir mit Blaulicht und Martinshorn unterwegs sind, erleben wir Linksabbieger, die uns die Vorfahrt klauen oder viel zu spät an die Seite fahren. Überhaupt wird zwar gerne für uns gebremst, aber sonst passiert nichts. Also, ich sag mal so – mitten auf der Spur stehen bleiben, sorgt jetzt nicht direkt dafür, dass wir schneller vorankommen. Und dafür machen wir ja den ganzen Zirkus mit Licht und Horn. Ich glaube, dass die Autofahrer manchmal aber auch einfach überfordert sind, deshalb bin ich da erstmal keinem böse.
Ja, das ist unangenehm. Vor allem, wenn auf der Anfahrt dann weitere Infos von der Leitstelle an uns weitergereicht werden. Ein Kind mit Schädel-Hirn-Trauma auf dem Melder und dann „Patient trübt jetzt ein“ zu hören, sorgt für zusätzliche Anspannung. Davon muss man sich aber ein wenig freimachen. Es bringt nichts, wenn wir auf der Anfahrt verunfallen. Ich bin heilfroh, dass ich eine/n FahrerIn habe. Bei Kindernotfällen nutze ich die Zeit und rechne anhand der bekannten Daten zum Patienten (Alter, manchmal Größe und Gewicht) benötigte Medikamentendosierungen aus. Was soll ich auch sonst machen?
Ohweiaohjemine hilft ja auch keinem weiter. Ein Mindset für die Narkose zu machen, hilft hingegen schon. Manchmal sprechen wir uns auch ab, welche Zielkliniken geeignet sind, ob wir noch den Hubschrauber dazu nehmen und ähnliche Sachen.
Nein. Aber die Antwort hättest du dir ja auch selbst geben können, also hier nochmal in ausführlich. Appelative Suizide („Hilfeschreie“) sind meist sehr offensichtlich. Diese Patienten wollen meist gar nicht sterben, sondern senden einen Hilferuf. Ritzen am Unterarm und sowas. Muss man total ernst nehmen und das tun wir auch.
Echte Suizidversuche können auch soweit fortgeschritten sein, dass der Patient selber nicht mehr befragt werden kann. Bei bewusstlosen Personen checken wir immer erst die eigene Sicherheit (CO? Andere Gase? Stromunfall?) und dann die Umgebung z.B. auf leere Tablettenblister.
Meist gibt es irgendein kleines Detail, das jemanden aus dem Team stutzig werden lässt und dann kommt man drauf, was passiert ist. Auch deshalb arbeiten wir im Team und sind nur gemeinsam so richtig gut.
Der Tweet erinnert mich an ein sehr unschönes Erlebnis. Ein eingeklemmter LKW-Fahrer, dessen Kopf unverletzt geblieben ist, der aber unterhalb der Brust von seinem Lenkrad eingeklemmt war. Der Unterkörper war nicht mehr durchblutet. Wir befürchteten, dass der Patient sofort innerlich verblutet, sobald wir das Lenkrad wegnehmen. Der konnte noch mit uns sprechen und war sich dennoch bewusst, dass hier sein Leben zu Ende geht. Wir haben noch mit ihm gesprochen, die Personalien aufgenommen und ich gebe zu, dass ich ihm ein bißchen mehr Hoffnung gemacht habe, als angemessen gewesen wäre. Er erzählte nichts von einer Familie, sondern nur, dass wir seinen Spediteur informieren sollen, dass er einen Unfall hat. Ich habe versucht, ihn verbal abzulenken und ihn medikamentös abgeschirmt, also schmerzfrei gemacht. Als wir das Lenkrad ganz leicht nach vorne gezogen haben, wurde er schlagartig weiß und bewusstlos. Man hat hinterher einen Abriss der Hauptschlagader festgestellt, das wäre mit dem Leben nicht vereinbar gewesen. Wir können eben leider nicht allen helfen. Das muss man akzeptieren können. Einfach ist das trotzdem nicht.
Indem man darüber redet. Ich rede darüber lieber mit meiner Frau als mit meinen Arbeitskollegen, aber das muss jeder für sich selbst rausfinden.
Viele flüchten sich auch in den Sport.
Was auch hilft, ist ein routiniertes Abschiedsritual. Melder abgeben, Klamotten ausziehen, Duschen (und die Sorgen „abwaschen“), bequeme Alltagskleidung an, laute Mucke für den Nachhauseweg und dann in Ruhe ankommen.
Es gab auch schon Tage, an denen ich gesagt habe, heute gehen wir gemeinsam richtig lecker essen. Einfach um das Leben zu feiern. Bewusst einen Kontrapunkt setzen zu den manchmal sehr traurigen (oft aber auch sehr lustigen) Eindrücken.
Aber ja, leider. Viel zu oft.
Ich versuche das immer ein wenig zu bremsen, ehrlich. Ich finde es dem Leitstellendisponenten gegenüber unfair. Die müssen am Telefon entscheiden, ob es ein echter Notfall ist oder nicht. Und wenn sie weniger als den Löschzug+RTW+NEF rausschicken, müssen sie am Ende noch dafür haften. Nee, ich sage immer – lieber ein einfacher Notfall und schnell wieder ins Bett als irgendwas superschlimmes, kompliziertes. Freuen wir uns doch einfach, dass es glimpflich ausgegangen ist und tschüss, ruhige Nacht noch. Hilft ja sowieso nicht, sich aufzuregen, passiert ist passiert.
Das entscheidet die Leitstelle je nach Notruf. Es gibt bestimmte Stichwörter, bei denen der Disponent einen Notarzt mit rausschicken muss. Luftnot, Sturz aus großer Höhe und solche Dinge. Manchmal ist es auch Ermessenssache.
Ich habe das als Notarzt noch nicht erlebt. Aber auf einer Intensivstation. Ich musste einen Patienten notfallmäßig intubieren, er war auf dem Weg in den OP. Keine Zeit für ein Telefonat, keine Angehörigen vor Ort. Ich habe ihn gefragt, ob er mir noch was sagen möchte, weil seine Karten ziemlich schlecht standen. Ich habe das, was er mir gesagt hat, dann genauso seiner Frau gesagt. Noch nie hatte ich so einen dicken Kloß im Hals.
Es war sehr schön und es war sehr traurig. Am Ende waren es tatsächlich seine letzten Worte. Das klingt total kitschig und es riecht sehr danach, als wenn ich mir das ausdenken würde, aber wer in der Notfall- und Intensivmedizin arbeitet, weiß – so absurd und so brutal wie die Realität manchmal ist, können wir uns das gar nicht ausdenken.
Falls es wirklich um „Kochsalzlösung“ geht, also NaCl-Infusion, kann ich nur sagen: Damit kann man Nudeln kochen, mehr nicht. Der Erfolg dieser Infusion ist wohl dem Erfinder zu verdanken, der die Plörre als physiologische Kochsalzlösung vermarktet. Physiologisch klingt natürlich und ist besser als pathologisch. Kochsalz kennt man aus der Küche, das kann so schlimm nicht sein. Und eine Lösung suchen wir ja meistens im Leben.
Soll man nicht geben, niemals. Auch nicht bei Dialysepatienten. Hier gut nachzulesen.
Ja, Mann.
Bildquelle: Christian Kadluba, flickr