Seit Wochen ist ein 61-Jähriger überaus euphorisch und strotzt nur so vor Energie. Er wohnt in teuren Hotels und lädt Fremde zum Essen ein. Als der Mann zunehmend die Kontrolle über sein Leben verliert, bringt sein Sohn ihn in die Notaufnahme.
Neuerdings schläft der 61-Jährige Verkaufsleiter nur noch drei Stunden pro Nacht. Nicht, weil er Schlafstörungen hat, sondern weil er nur so vor Energie strotzt. Seine Verwandten beschreiben ihn als zunehmend rücksichtslos und impulsiv. Zwar ist seine Stimmung überaus euphorisch, seinen Familienmitgliedern gegenüber wird er aber immer öfter ausfallend. Nach über dreijähriger Abstinenz, trinkt er nun wieder häufig und viel. Bald eskaliert die Situation: Der Mann checkt an einem Wochenende in mehrere Hotels ein, lädt Fremde zu teuren Abendessen ein und verzockt sein Geld beim Glücksspiel. Schließlich bedroht er seinen eigenen Sohn, als dieser ihm kein Geld leihen will.
Der Sohn fasst daraufhin den Entschluss, seinen Vater in die Notaufnahme zu fahren. Dort fällt der Mann durch sein aggressives Verhalten auf. Außerdem scheint er Probleme mit seinem Kurzzeitgedächntis zu haben. Bis auf einen erhöhten Blutdruck (175/90 mmHg) und einen leichten Aktionstremor, bleibt die körperliche und neurologische Untersuchung unauffällig. Auch bei Blut- und Urinanalysen können die Ärzte keine Auffälligkeiten entdecken. Schnell wird klar, dass der Patient eine manische Phase erlebt. Die Suche nach der Ursache beginnt.
Selbst in den schlimmen Phasen seiner Alkoholsucht, so seine Verwandten, zeigte sich sich kein solches manisches Verhalten. Da der Hausarzt des Patienten vor mehreren Jahren eine Depression diagnostizierte, tippen die Ärzte zunächst auf eine bipolare Störung. Diese Vermutung verwerfen die Ärzte aber schnell wieder, denn die Symptome traten bei ihrem Patienten in einem hohen und eher untypischen Alter erstmalig auf.
Als nächstes spekulieren die Ärzte, dass sein Verhalten möglicherweise durch Medikamente ausgelöst wurde. Das ist bei bestimmten Psychopharmaka wie dem selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) Duloxetin nicht ungewöhnlich. Dieses Mittel hatte der Hausarzt ihm damals gegen die Depression verschrieben. Die Behandlung blieb aber ohne Erfolg. Eine weitere psychiatrische Therapie lehnte der Patient ebenfalls ab. Gegen die Medikamenten-Theorie spricht, dass der Mann Duloxetin aber bereits seit Längerem nicht mehr eingenommen. Auch eine Schizophrenie wird diskutiert – dafür fehlen aber die psychotischen Symptome wie Wahn oder Halluzinationen.
Die Symptome könnten auch für eine Demenz oder Morbus Alzheimer sprechen. Oft entwickeln sich diese Erkrankungen aber graduell und nicht wie im Fall des Patienten so plötzlich. Andere Ursachen, wie eine Hyper- oder Hypothyreose konnten die Ärzte mittels Laborunteruschungen ausschließen.
Die Tatsache, dass ihr Patient jahrelang alkoholabhängig und starker Raucher war, bringt die Ärzte auf eine weitere Idee. Womöglich leidet ihr Patient an einer Manie, die durch einen Schlaganfall ausgelöst wurde. Die sogenannte „post-stroke mania“ kommt zwar selten vor, sollte aber laut einer Studie bei älteren Patienten mit einsetzender Manie in Betracht gezogen werden.
Eine MRT-Untersuchung zeigt tatsächlich Läsionen im Gehirn – vor allem im Frontallappen – die bei einem Hirninfarkt beobachtet werden. Zusätzlich diagnostizieren sie bei ihm das Frontalhirnsyndrom. Dabei ist u.a. das Kurzzeitgedächtnis, abstraktes Denken und das Vermögen vorrausschauend zu planen eingeschränkt.
Der Patient wird daraufhin mit Aspirin, hochdosiertem Statin und Apixaban behandelt. Zur Behandlung seiner psychischen Symptome bekommt er Quetiapin, allerdings bessern sich die Beschwerden nicht. Auch das Antikonvulsiva Valproinsäure lindert die Symptome nur geringfügig, doch immerhin ist er nicht mehr aggressiv. Der Patient wird mit der Auflage regelmäßiger und intensiver hausärztlicher Betreuung entlassen. Der Hausarzt ist besorgt über die anhaltende Manie, doch der Patient lehnt psychiatrische Interventionen ab. Sechs Monate nach der ersten Einweisung stirbt der Mann. Über die Ursache erfahren die Ärzte allerdings nichts.
Quelle: A 61-Year-Old Man with Grandiosity, Impulsivity, and Decreased Sleep. Taylor JB et al., NEJM, doi:10.1056/NEJMcpc1712229; 2018
Bildquelle: Prayitno, flickr