Mit herkömmlichen Methoden kann das Fortschreiten einer amyotrophen Lateralsklerose nur um wenige Monate verlangsamt werden. Ein Biologenteam forscht derzeit an einem Off-Label-Ansatz, der die Therapie von ALS verbessern könnte.
Ein Biologenteam der Universität von Alberta erforschte im Rahmen einer Studie ein Medikament, das in Zukunft das Fortschreiten einer Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) verlangsamen könnte. Behandlungen, die zur Zeit eingesetzt werden, verlangsamen die Progression der degenerativen Krankheit nur um wenige Monate. Durch die neu gewonnenen Erkenntnisse könnte die Lebensdauer von ALS-Patienten verlängert und ihre Lebensqualität verbessert werden.
Noch sind die Ursachen einer Amyotrophen Lateralsklerose nicht bekannt. Als pathologische Basis vermutet man vor allem die Fehlfaltung, die toxische Gain-of-function-Mutation und die Ausbreitung von SOD1.
„SOD1 ist ein Protein, das sich bekanntermaßen bei Patienten mit ALS in den meisten Fällen fehlfaltet und fehlverhält“, erklärt Co-Autor Ted Allison in einer Pressemitteilung der Universität. Wie es zu dieser Toxizität kommt, ist noch unklar.
In SOD1-Proteinen von Menschen und anderen Primaten soll ein Tryptophan-Rest auf Position 32 (W32) zur Fehlfaltung von SOD1 beitragen. Die Biologen testeten diese Hypothese und ob sich W32 als therapeutisches Target dazu eignen könnte, die für ALS typischen neuromuskulären Defizite zu verbessern. Als Testobjekte dienten Zebrafische: Als die Forscher den Embryos SOD1-mRNA injizierten, löste das eine Axonopathie der Motoneuronen und motorische Defizite beim Schwimmen aus.
Wurde den Fischembryonen hingegen eine SOD1-Variante mit einem Serin- statt einem Tryptophan-Rest an Position 32 injiziert, so führte dies zu einer reduzierten Axonopathie der Motoneuronen und weniger motorischen Defizite verglichen mit jenen, denen ein wildtyp- oder krankheitsassoziiertes SOD1 injiziert wurde. W32 scheint also einen signifikanten Einfluss auf die Toxizität von SOD1 zu haben.
Um das Potenzial von Medikamenten für den Angriff auf das SOD1-Protein zu erkennen, verwendeten die Biologen Computersimulationen. Daraus ergaben sich einige in Frage kommende Wirkstoffe, die im Tiermodell getestet wurden, darunter befand sich das Nukleosidanalogon Telbivudin, in das die Forscher große Hoffnung setzen. Telbivudin kommt in der Therapie von Hepatitis B zum Einsatz.
„Wir konnten zeigen, dass Telbivudin die toxischen Eigenschaften von SOD1 stark reduzieren kann, dies beinhaltet den verbesserten Gesundheitszustand der Motoneuronen und der Beweglichkeit der Subjekte“, sagt Allison. Die Entdeckung von Telbivudin als potenzieller Wirkstoff im Kampf gegen das Fortschreiten von ALS könnte für die Off-Label-Medizin von großer Bedeutung sein, schließlich handelt es sich um eine bereits für die Behandlung von Hepatitis zugelassene Substanz. Allison ist zuversichtlich: „Die Anwendung von Telbivudin hat sich als sicher erwiesen. Es hat hohes Potenzial, in einem neuen klinischen Setting gegen ALS eingesetzt zu werden.“
Die Frage, wie sehr sich das Fortschreiten von ALS durch diesen neuen Ansatz verlangsamen ließe, wird von den Forschern noch nicht beantwortet. „ALS ist noch nicht vollständig verstanden“, sagt Erstautor Michele DuVal. „Wir wissen noch nicht konkret, wo die Fehlerquelle bei den gestörten Motoneuronen liegt oder inwiefern das Fehlverhalten von SOD1 Toxizität verursacht. Weil es noch viel über die Erkrankung zu lernen gibt, konzentriert sich die ALS-Forschung sowohl darauf, ALS zu verstehen, als auch darauf, vielversprechende Therapien zu entwickeln.“
Bildquelle: Berkshire Community College Bioscience Image Library, flickr