„Zur Sicherheit“ ist eine Formulierung, die unsere Patienten, aber auch wir Mediziner sehr häufig gebrauchen. „Zur Sicherheit“ veranlassen wir Laboruntersuchungen oder Bildgebungen. Immer häufiger fordern Patienten ohne Beschwerden, „einfach mal so“ abgecheckt zu werden.
Vor Kurzem saß im Behandlungszimmer eine junge Frau um die 20 Jahre vor mir, in diesem Fall mit ihrer Mutter, und bat um eine Blutabnahme. Auf meine Rückfrage, was sie denn für Beschwerden habe, antwortete sie, sie habe keine, aber zwei Verwandte hätten Diabetes und „in der Familie“ gäbe es auch Schilddrüsenprobleme. Zur Info: Mehrere Angehörige sind bei uns Patienten und keiner von denen hat ein Schilddrüsenproblem. Sie wolle das „zur Sicherheit“ mal abchecken lassen.
„Zur Sicherheit“ ist ein Begriff, den auch wir Mediziner nicht selten verwenden. „Zur Sicherheit“ veranlassen wir Laboruntersuchungen oder Bildgebungen – je nach Schwere direkt oder im Verlauf, um ein konkretes Symptom abzuklären.
Die „Sicherheit“ bezieht sich also auf einen realen Sachverhalt, bei dem es darum geht, die „abwendbar gefährlichen Verläufe“ wie etwa behandlungsbedürftige Infektionen oder maligne Erkrankungen auszuschließen.
„Einfach mal so“
Leider kommen von Patienten, so wie in dem o.g. Fall, auch immer wieder Anfragen für Untersuchungen, die „einfach mal so“ ohne konkreten Hintergrund durchgeführt werden sollen. Gern auf Anraten von medizinischen Laien oder Dr. Google. Und meinem Gefühl nach nehmen diese Anfragen in den letzten Jahren zu.
Eine kleine Auswahl an Dingen, die häufig „zur Sicherheit“ gewünscht werden:
Mein Hauptproblem mit dem Begriff „Sicherheit“ ist folgendes: Absolute Sicherheit gibt es in der Medizin nur selten. Fast immer gibt es Sensitivitäten von ca. 85 %, z.B. bei der Myokardszintigraphie zur Diagnostik der KHK, was aber im Umkehrschluss bedeutet, dass von 10 Patienten mit KHK, die ich zur Myokardszintigraphie schicke, einer mit einem unauffälligen Befund zurückkommt, obwohl er eigentlich eine KHK hat. Und genau einen solchen Fall hatten wir auch schon und es war im Endeffekt Glück, dass der Patient das überlebt hat.
Was bedeutet also Sicherheit in der Medizin?
Einerseits haben wir immer mehr Befunde, die wir zwar erheben, bei denen der Krankheitswert aber fraglich ist. Das können z.B. Laborwerte sein, die der Patient über Jahre hat, wie zum Beispiel leicht erhöhte Leberwerte, die trotz Abklärung nicht wirklich zugeordnet werden können oder auch sonographische oder radiologische Befunde, die man früher aufgrund der niedrigeren Auflösung gar nicht hätte sehen können und die auch den Patienten nicht gefährden. Die dann häufig vom Radiologen empfohlenen oder angeforderten Kontroll-Bildgebungen mögen zwar juristisch der sinnvollste Weg sein, führen aber gleichzeitig dazu, dass die Praxen dann soviel mit „juristisch indizierten“ Kontrollen beschäftigt sind. Außerdem reagieren nicht wenig Patienten verunsichert, wenn sie plötzlich zu jährlichen Kontrollen einbestellt werden, weil das für sie implizit bedeutet, dass früher oder später was Schlimmes daraus werden könnte. In der heutigen Zeit wird dann auch gern gegoogelt und dann sitzt ein weinender Patient vor uns, weil er glaubt, Krebs zu haben, dabei ging es nur um ein harmloses Leberhämangiom. Es führt also die eigentlich „zur Sicherheit“ geplante Diagnostik vor allem zu einem: einer großen Verunsicherung.
Andererseits verlassen wir uns manchmal auch zu sehr auf die vermeintliche Sicherheit unserer Diagnostik, was manchmal zu fatalen Verzögerungen führt, gerade bei der Diagnostik von Tumoren oder wie oben beschrieben bei der KHK.
Was also tun?
Das, was viele von uns Hausärzten immer wieder tun – mit dem Patienten reden! Kommunizieren, wo die Schwierigkeiten liegen. Man sollte auch thematisieren, dass man die Verunsicherung durch erhobene Werte nicht unterschätzen sollte und auch mit dem Patienten entscheiden, wo die Grenzen der Diagnostik liegen.
Ich habe mir angewöhnt, in den allermeisten Fällen, wo ich mir nicht 100%ig sicher bin, ob sofort eine Diagnostik erfolgen muss, direkt am Anfang mit den Patienten zu besprechen, dass wir bei vielen Beschwerden keine eindeutige Ursache finden können. Viele v.a. funktionelle Beschwerden, die die Patienten quälen, sind für unsere aktuellen diagnostischen Möglichkeiten „unsichtbar“. Das reicht von unspezifischen Rückenschmerzen bis zum Reizdarm. Wichtig ist, den Patienten frühzeitig, möglicherweise vor der Diagnostik, zu sagen, dass man ihren Leidensdruck durchaus sieht. Sonst kommt sofort der Einwand: „Ich bild' mir das doch nicht ein!“ Es ist aber nicht alles mit Bildgebungen und Laborwerten sichtbar zu machen – die gefährlichen Dinge aber für gewöhnlich schon.
Eine erneute Diagnostik?
Ich habe mehr als einmal von Patienten später die Rückkopplung bekommen, dass diese Information für sie sehr wichtig war, weil sie dann nach der erfolgten Ausschlussdiagnostik auch wirklich zur Ruhe kommen konnten und nicht schon direkt den Weg zur somatischen Fixierung einschlagen mussten.
Außerdem muss man sich selbst immer wieder hinterfragen: Wie sinnvoll ist eine erneute Diagnostik? Gibt es wirklich neue Verhältnisse? Oft hilft allein die Rückfrage, ob die Beschwerden wirklich neu oder schlimmer geworden sind?
Insgesamt gilt aber leider: Auch wir Ärzte sind nur Menschen. Das heißt, wir können nur versuchen, möglichst optimal zu diagnostizieren und zu behandeln. Aber entgegen dem Gefühl, was man häufig beim Lesen von Laien- und auch Fachzeitschriften hat, wissen wir über viele und auch häufig vorkommende Krankheitsbilder nicht annähernd so viel, wie wir gern wissen würden und wie auch notwendig wäre, um wirklich diagnostisch und therapeutisch sicher zu sein.
Solange das aber der Fall ist, müssen wir Ärzte lernen, mit Unsicherheiten zu leben und diese auch den Patienten zu vermitteln, ohne sie zu verunsichern. Und in dieser Einschätzung bin ich mir ganz sicher.
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