Forscher identifizierten nun einen Mechanismus, mit dem das Gedächtnis vom Erinnerungs- in den Merkmodus umschaltet. Dabei konnte gezeigt werden, dass der Neurotransmitter Acetylcholin die Astrozyten anregt und erinnerungshemmende Nervenzellen aktiviert.
Der Hippocampus gilt als wichtiger Akteur bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken. Forscher aus Bonn, Los Angeles und Palo Alto haben nun herausgefunden, dass bestimmte Zellen im Gehirn, die hippocampalen Astrozyten, neue Informationen bevorzugt behandeln, während bereits gespeicherte Erinnerungen warten müssen. Das Gedächtnis schaltet daher also in den Merkmodus. Die Astrozyten sind aber selbst lediglich Befehlsempfänger: Sie reagieren auf den Nervenbotenstoff Acetylcholin. Dieser wird vor allem in neuen Situationen freigesetzt. Seit einigen Jahren schon ist bekannt, dass Acetylcholin das Speichern neuer Informationen befördert. Auf welche Weise dies geschieht, war bislang erst teilweise bekannt.
„Wir konnten in unserer Arbeit erstmals zeigen, dass Acetylcholin Astrozyten anregt, die daraufhin ihrerseits den Botenstoff Glutamat freisetzen können“, erklärt Milan Pabst von der Universität Bonn. „Das Glutamat aktiviert dann bestimmte Nervenzellen, die das Abrufen von Erinnerungen hemmen.“ Die Forscher um den Epileptologen Prof. Dr. Heinz Beck haben Nervenzellen genetisch so verändert, dass sie durch Licht aktiviert werden konnten und dann Acetylcholin freisetzten. Mit diesem Trick konnten sie den Mechanismus in Hirnschnittpräparaten aufklären. „Wir haben in unserer Arbeit aber ebenfalls nachgewiesen, dass im Gehirn lebender Mäuse Acetylcholin den gleichen Effekt auf die Aktivität der Neurone hat“, erläutert Dr. Holger Dannenberg. Interessant ist dieses Ergebnis auch deshalb, weil Astrozyten selbst gar keine Nervenzellen sind. Sie zählen zu den so genannten Gliazellen. Diese galten damals als tumbe Toren - lediglich dazu da, den Neuronen mechanischen Halt zu geben.
In den letzten Jahrzehnten hat sich mehr und mehr herauskristallisiert, dass dieses Bild bei Weitem nicht korrekt ist. So weiß man inzwischen, dass Astrozyten Neurotransmitter – also die Botenstoffe, über die sich Neuronen miteinander austauschen – ausschütten oder auch aus dem Gehirn entfernen können. „Dass die Astrozyten über den nun entdeckten Mechanismus in zentrale Gedächtnis-Prozesse eingebunden sind, war aber bislang unbekannt“, erklärt Prof. Beck. In diesen Zusammenhang passt allerdings eine Beobachtung von US-Wissenschaftlern aus dem Jahr 2014: Wenn die Funktion von Astrozyten gehemmt wird, wirkt sich das demnach negativ auf die Wiedererkennung von Objekten aus. Möglicherweise werfen die Ergebnisse auch ein neues Licht auf die zellulären Ursachen von Gedächtnisstörungen. So gibt es Hinweise darauf, dass die kontrollierte Ausschüttung von Acetylcholin bei Patienten mit Alzheimer-Demenz gestört ist. „Ob der von uns entdeckte Mechanismus ebenfalls beeinträchtigt ist, haben wir allerdings nicht untersucht“, betont Pabst. Originalpublikation: Astrocyte Intermediaries of Septal Cholinergic Modulation in the Hippocampus Milan Pabst et al.; Cell - Neuron, doi: 10.1016/j.neuron.2016.04.003; 2016