In den kommenden Jahrzehnten wird sich das Risiko für Dengue-Ausbrüche auf ganz Europa ausweiten. Das zeigen Simulationsrechnungen eines schwedischen Forscherteams. Wichtig ist daher, europaweite Frühwarnsysteme und Präventionsmaßnahmen jetzt zu etablieren.
Dengue-Fieber ist inzwischen die wichtigste Erkrankung [Paywall] weltweit, die von Gliederfüßern – wie Insekten, Zecken oder Spinnentieren – übertragen wird. Nach Angaben der WHO stieg die Zahl der Erkrankungsfälle in den letzten Jahrzehnten dramatisch an, mit geschätzten 390 Millionen Dengue-Erkrankungen pro Jahr. Der Hauptüberträger des Dengue-Virus ist die Gelbfieber- oder Dengue-Mücke Aedes aegypti, während die asiatische Tigermücke Aedes albopictus ein zweiter, weniger effizienter Vektor ist. Studien haben bereits gezeigt, dass steigende Temperaturen in Europa die Ausbreitung von Tropenkrankheiten wie Dengue- und Chikungunya-Fieber begünstigen können. Auch die Tatsachen sprechen für sich: In Griechenland traten ab 2010 erstmals seit 1974 wieder Malaria-Fälle auf, 2007 kam es in Norditalien zu einem ein Ausbruch von Chikungunya-Fieber – und 2012 wurde der erste große Dengue-Ausbruch in Europa seit der 1920er Jahren beobachtet: auf der portugiesischen Insel Madeira erkrankten über 2.000 Menschen.
Jing Liu-Helmersson, Forscherin an der Abteilung für öffentliche Gesundheit und klinische Medizin der Umeå Universität in Schweden. © Umeå Universität Ein Forscherteam um Jing Liu-Helmersson von der schwedischen Umeå-Universität hat nun in Simulationsrechnungen erstmals die Zunahme der Durchschnittstemperaturen und der täglichen Temperaturschwankungen zugrunde gelegt, um das Auftreten von Dengue-Fieber in 10 europäischen Städten vorherzusagen. Dabei betrachtete das Team die sogenannte Vektorkapazität: die Fähigkeit der Mücken, das Virus von Mensch zu Mensch zu übertragen. In ihren Analysen berücksichtigten die Forscher tatsächliche und vorhergesagte Temperaturen der Jahre 1901 bis 2099 und legten unterschiedliche Annahmen zum Klimawandel zugrunde – von einem moderaten bis zu einem starken Anstieg der Durchschnittstemperaturen. „Sowohl ein wärmeres Klima als auch stärkere Temperaturschwankungen beeinflussen die Fähigkeit von Aedes-Mücken, Dengue-Fieber zu übertragen“, erläutern Jing Liu-Helmersson und ihr Team. So begünstigen höhere Temperaturen die Vermehrung und Übertragung der Dengue-Viren und führen dazu, dass weibliche Mücken häufiger stechen. Gleichzeitig verlängert sich das Zeitfenster pro Jahr, in dem Dengue-Fieber übertragen werden kann.
Die Berechnungen der Wissenschaftler ergaben, dass Dengue-Epidemien in Südeuropa im Sommer wahrscheinlich sind, sofern dort Aedes-Mücken vorkommen. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es in Städten wie Athen, Rom, Malaga oder Nizza zu Dengue-Ausbrüchen kommt. Durch zunehmende Klimaerwärmung könnten sich die Risikogebiete im Lauf der Zeit nach Norden verschieben und das Zeitfenster für die Virus-Übertragung verlängern. „Gegen Ende des 21. Jahrhunderts könnte es in ganz Europa saisonale Dengue-Ausbrüche geben, sofern in einer Region Aedes-Mücken vorkommen“, schreiben die Forscher. Aedes albopictus-Mücken sind in ganz Südeuropa verbreitet und kommen bis in die Niederlande vor. Dagegen wurden Aedes aegypti-Mücken, die Hauptüberträger des Dengue-Virus, bisher nur in Russland und Georgien beobachtet. Allerdings waren sie bis in die 1950er Jahre in europäischen Ländern wie Frankreich, Spanien oder Portugal verbreitet. Studien sagen zudem vorher, dass sich Aedes aegypti-Mücken bis zum Jahr 2080 in den Küstenregionen Europas ausbreiten werden. „Deshalb ist es wahrscheinlich, dass Aedes-Mücken in Europa zu einem festen Bestandteil der Fauna werden“, sagt Liu-Helmersson. Darüber hinaus könnte das Dengue-Virus durch internationale Reisende, Migranten und Gütertransporte zunehmend nach Europa gebracht und dort in neue Regionen eingeschleppt werden. Auch eine zunehmende Verstädterung und eine veränderte Nutzung von Landflächen könnten dazu beitragen [Paywall], dass sich Tropenkrankheiten in Europa ausbreiten.
Allerdings wurde die Ausbreitung von Dengue-Fieber in Liu-Helmerssons Studie stark von einem bestimmten Faktor beeinflusst: den Emissionsraten und der damit verbundenen Temperaturerhöhung. „Das bedeutet, dass Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen sehr wichtig sind. Sie können die zeitliche und räumliche Ausbreitung von Dengue-Fieber stark beeinflussen“, schreiben die Wissenschaftler. Links: Regionen, in denen aktuell Dengue-Epidemien (übertragen durch Aedes-Mücken) auftreten können. Rechts: Wahrscheinlichkeit für Dengue-Epidemien in den 2090er Jahren. Obere Graphik: bei hohen Emissionsraten. Untere Graphik: bei niedrigen Emissionsraten. Die farbigen Linien zeigen zunächst die historischen und dann die geschätzten globalen Veränderungen der Oberflächentemperatur. Dabei werden verschieden hohe Emissionsraten (RCP 2.6 bis RCP 8.5) angenommen. © Jing Liu-Helmersson Die Ergebnisse des Forscherteams machen zudem deutlich, dass effektive Maßnahmen zur Kontrolle der Überträgermücken entwickelt werden müssen. „Der Dengue-Ausbruch in Madeira war eine Art Weckruf, dass in Europa etwas getan werden muss“, betont Liu-Helmersson.
Um regionale Krankheitsausbrüche rechtzeitig zu erkennen, sollten die Ausbreitung tropischer Viren und der Überträgermücken kontinuierlich überwacht werden, betont ein Forscherteam um Francis Schaffner von der Universität Zürich. Es gibt zwar eine Reihe von Institutionen für das Monitoring von Infektionskrankheiten in Europa. Allerdings seien sie zurzeit noch nicht ausreichend auf die Ankunft und Ausbreitung tropischer Erreger in Europa vorbereitet, betont Jan C. Semenza vom European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) in einem Review-Artikel. Mehrere Organisationen, etwa das European Environment and Epidemiology (E3) Network, das zum ECDC gehört, untersuchen bereits, welche Faktoren die Ausbreitung von Tropenkrankheiten in Europa beeinflussen. Dabei werden zum Beispiel Klima- und Wetterdaten, Statistiken von Reisenden und Daten aus Gesundheitsregistern einbezogen. So berechneten die Forscher in einer Fallstudie die Wahrscheinlichkeit, mit der Dengue-Fieber durch internationale Reisende nach Europa gebracht wird. Solche Analysen können dazu beitragen, Frühwarnsysteme zu entwickeln, um das Risiko für Dengue-Ausbrüche vorherzusagen. „Das könnte als Basis dienen, um rasch vorbeugende oder eindämmende Maßnahmen zu ergreifen“, so Semenza.
Eine mögliche Gegenmaßnahme sei zum Beispiel, die Überträgermücken frühzeitig nach ihrer Einschleppung auszurotten, erläutern Schaffner und sein Team. „Wenn sich die Mücken bereits ausgebreitet haben, könnten ähnliche Strategien greifen wie in tropischen Ländern“, so die Wissenschaftler. „Zum einen die Bekämpfung der Mücken, zum anderen die Aufklärung der Bevölkerung, etwa über Mückenschutzmaßnahmen und die Symptome der Erkrankung.“ Entscheidend bei all dem sei, dass die europäischen Länder ihre Aktivitäten koordinierten. So haben mehrere Länder im Mittelmeerraum bereits Maßnahmen eingeleitet, um sich auf das zunehmende Risiko von insekten-übertragenen Krankheiten vorzubereiten. Allerdings seien die Maßnahmen oft noch sehr elementar, schreibt ein Forscherteam um Maya Negev von der israelischen Universität Haifa. „Hier sollten die verschiedenen Länder vermehrt zusammenarbeiten, ihr Wissen austauschen und ihre Maßnahmen koordinieren – am besten unter dem Schirm einer übergeordneten, politisch neutralen Organisation“, so Negev und ihr Team. „Denn die Überträger von Infektionskrankheiten kennen keine politischen Grenzen.“ Originalpublikation: Climate Change and Aedes Vectors: 21st Century Projections for Dengue Transmission in Europe Jing Liu-Helmersson et al.; EBioMedicine, doi: 10.1016/j.ebiom.2016.03.046; 2016