Nach einer epileptischen Reaktion bleibt das Signal vom Hippocampus zurück zum Schläfenlappen aus. Dabei entstehen neue synaptische Kontakte und die Synapsengröße nimmt zu. Diese Veränderungen können zu einer Signalverstärkung führen, die letztlich das Anfallsrisiko erhöhen.
Eine Forschungsgruppe um die Neurobiologin Prof. Dr. Carola Haas, hat einen Mechanismus entdeckt, der an der Entstehung von Schläfenlappenepilepsie beteiligt sein könnte. Das Team zeigte, wie vom Schläfenlappen ausgehende Reize sowie die Veränderung bestimmter Synapsen und Nervenzellen ihre Fortleitung verstärken und somit das Anfallspotenzial erhöhen. Auf Grundlage präziser Markierungstechniken und durch den Einsatz von genetisch veränderten Mäusen visualisierten die Forscher die Fasersysteme und die synaptischen Kontakte zwischen Schläfenlappen und Hippocampus. Im gesunden Hirn führt vom Rand des Schläfenlappens, welcher für die sprachliche Auffassung und visuelle Erkennung eine Rolle spielt, ein Signalweg zum Hippocampus. Aus anatomischer Sicht verläuft der Eingangskanal zum Hippocampus über ein Fasersystem, in welchem elektrische Signale zu bestimmten Zellgruppen übertragen werden. In der ersten Zellgruppe werden die Reize sortiert, an die nächste Zellgruppe weitergeleitet und dann wieder zum Schläfenlappen zurückgeschickt. Vereinfacht gesprochen werden so Informationen über die Umwelt für deren Weiterverarbeitung in einem anderen Teil des Gehirns aufbereitet und abgespeichert.
Was aber passiert innerhalb dieses Regelkreises bei Epilepsie? Haas und ihre Kollegen wiesen nach, dass kurz nach dem Ingangsetzen einer epileptischen Reaktion das Signal vom Hippocampus zurück zum Schläfenlappen – also der letzte Schritt – ausbleibt, während es auf dem Weg zum Hippocampus intakt bleibt. Überraschend für die Forscher war, dass innerhalb dieses Schaltkreises neue synaptische Kontakte entstehen und die Größe sowie Komplexität der Synapsen zunimmt. Diese Formveränderungen könnten dazu führen, dass Signale verstärkt weitergegeben werden und letztlich das Anfallsrisiko erhöhen. Dreidimensionale Darstellung der Körnerzellen im Hippocampus (grün) und den einlaufenden Fasern der Großhirnrinde (magenta) mit Hilfe fluoreszierender Farbstoffe. © Cerebral Cortex / Oxford University Press In-vitro-Untersuchungen bestätigten die Vermutung, dass einer der beteiligten Zelltypen bei epileptischen Mäusen erregter ist als normal. Die Forscher gehen davon aus, dass diese Zellen womöglich als weitläufig verschaltete epileptische Knotenpunkte im Hippocampus fungieren und dass der Erregungskreislauf insbesondere dort krankhafte Veränderungen bewirken könnte. „Die Frage ist von besonderer Bedeutung, da bislang noch nicht ganz klar ist, welche Faktoren im Hippocampus zur Auslösung epileptischer Anfälle beitragen”, sagt Haas.
Das Team möchte deshalb als nächstes die gesamte veränderte Signalkette zwischen Schläfenlappen und Hippocampus erforschen. Im Detail wird etwa zu untersuchen sein, ob die Verstärkung des Eingangssignals Ursache oder Folge epileptischer Aktivität ist. Interessant zu wissen wäre für die Forscher auch, auf Basis welcher molekularer Mechanismen es zu synaptischen Veränderungen kommt. Vermutlich könnten weitere Untersuchungsschritte die Entdeckung neuer therapeutischer oder vorbeugender Strategien nach sich ziehen. Ein therapeutisches Potenzial sieht Haas in der Modifizierung der betroffenen Stellen: „Wenn wir die Erregung des Hippocampus, etwa durch zellspezifische genetische Manipulation, mindern können, wäre es vielleicht möglich, den Schweregrad der Epilepsie zu senken und gleichzeitig die Nebenwirkungen der Therapie zu verringern. Allerdings bedarf es weiterer Forschung, um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen.” Originalpublikation: Synaptic remodeling of entorhinal input contributes to an aberrant hippocampal network in temporal lobe epilepsy Philipp Janz et al.; Cerebral Cortex, doi: 10.1093/cercor/bhw093; 2016