Patienten sollen möglichst wenig ionisierenden Strahlen ausgesetzt werden. Doch was ist mit Ärzten? Die Strahlenexposition bleibt nicht ohne Folgen. Eine aktuelle Studie zeigt, wie sie bei Ärzten und Assistenten im Herzkatheterlabor zu diversen Erkrankungen führt.
In Deutschland arbeiten rund 400.000 Personen mit Röntgengeräten, umschlossenen hochradioaktiven Quellen beziehungsweise offenen radioaktiven Stoffen, informiert das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Für sie gelten Paragraph 55 Strahlenschutzverordnung beziehungsweise Paragraph 31a Röntgenverordnung: Für beruflich strahlenexponierte Personen darf die effektive Dosis den Grenzwert von 20 Millisievert (mSv) im Kalenderjahr nicht überschreiten.Welche Gefährdung von niedrigen Dosen ionisierender Strahlung ausgeht, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Neue Studien befeuern die wissenschaftliche Kontroverse weiter.
Maria Grazia Andreassi aus Pisa hat jetzt Ärzte und Assistenten, die im Herzkatheterlabor arbeiten, befragt. Mediziner tragen zwar Bleischützen, um sich vor Strahlung zu schützen. Arme, Hals oder Kopf werden jedoch nicht bedeckt und könnten, so eine These, Schaden nehmen. Die Forscherin erfasste per Fragebogen, wie viele Interventionen mit Röntgenstrahlung pro Person stattfanden. Sie wollte auch wissen, ob körperliche Beschwerden auftraten. Gleichzeitig arbeitete Andreassi mit einer Kontrollgruppe aus Kliniken ohne Strahlenexposition. Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Nikotinkonsum wurden ebenfalls berücksichtigt. Die effektive Dosis lag bei schätzungsweise 21 mSv (Kardiologen) oder 7 mSv (Pflegekräfte oder Assistenten). Andreassi fand tatsächlich statistisch signifikante Unterschiede zwischen ihren Gruppen. Angestellte im Herzkatheterlabor litten 2,6-mal häufiger an Hautläsionen. Ihr Katarakt-Risiko war sogar um den Faktor 6,3 erhöht. Ob Krebserkrankungen, hier gibt die Forscherin den Faktor 3,0 an, tatsächlich häufiger auftreten, bleibt offen. Hier war der Unterschied statistisch nicht signifikant. Als Argument führt Andreassi an, dass eine Dosis-Wirkungs-Beziehung vorliegt. Orthopädische Probleme (30,2 Prozent versus 5,4 Prozent bei der Kontrollgruppe) oder psychosomatische Probleme (12,9 versus 2,1 Prozent) lassen sich nicht zwangsläufig auf Röntgenquellen zurückführen, sondern vielleicht auf Stress und körperliche Belastung. Dass Extremitäten hohen Strahlungsdosen ausgesetzt sind, wenn sie nicht mit Strahlenschutz abgedeckt werden, zeigten Wissenschaftler schon vor Jahren beim Projekt CONRAD (A coordinated network for radiation dosimetry). Die jetzt veröffentlichte Studie hat zwei große Schwächen: Maria Grazia Andreassi lagen keine Messwerte zur Strahlenbelastung vor. Sie musste sich mit Abschätzungen begnügen. Außerdem schickten lediglich 30 Prozent aller kontaktierten Health Profesionals ihren Fragebogen zurück – ein möglicher Bias durch Teilnehmer mit Erkrankungen inklusive. Dass sich ihre Erkenntnis nicht von der Hand weisen lässt, zeigen Vergleiche mit anderen Branchen.
Die „International Nuclear Workers Study“ (INWORKS) gilt aufgrund ihrer breiten Datenbasis als vergleichsweise hochwertige Arbeit. Wissenschaftlern standen Angaben von 308.297 Angestellten aus Kernkraftwerken zur Verfügung. Das Follow-up umfasst 8,2 Millionen Personenjahre. Von 66.632 Todesfällen ließen sich 17.957 auf solide Tumoren zurückführen. David B. Richardson aus Chapel Hill gab in seiner Publikation die Energiedosis in Milligray (mGy) auf Basis von Messwerten an. Im Schnitt lag die Belastung aller Arbeiter bei 20,9 mGy. Daraus resultierte ein Anstieg der tumorbedingten Mortalität um 48 Prozent pro Gray. Rein rechnerisch führt Richardson jeden 100. Krebstodesfall in der Kohorte auf ionisierende Strahlung zurück. Verzerrungen lassen sich zwar bei retrospektiv erhobenen Daten nicht ausschließen. Allerdings kam die japanische Life Span Study mit Überlebenden beider Atombombenabwürfe zu ähnlichen Resultaten. Außerdem fand Richardson klare Zusammenhänge zwischen Dosis und Wirkung. Eine Schwellendosis, unterhalb derer es kein erhöhtes Krebsrisiko gibt, gab es nicht.
Dass niedrige Strahlendosen durchaus Folgen haben, zeigt eine weitere, bereits Mitte 2015 veröffentlichte Arbeit. Klervi Leuraud aus dem französischen Fontenay-aux-Roses arbeitete ebenfalls mit der INWORKS-Kohorte, hatte jedoch Erkrankungen des blutbildenden Systems im Fokus. Insgesamt starben 1.776 Arbeiter kerntechnischer Betriebe an Leukämien, Lymphomen oder an multiplen Myelomen. Wie Leuraud herausfand, war die Assoziation bei Leukämien mit Ausnahme chronisch-lymphatischer Leukämien signifikant. Pro Gray stieg das Risiko um den Faktor 2,90 an. Auch hier gab es eine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung, aber keinen Schwellenwert.
Die Untersuchungen zeigen eindeutig, dass Strahlenexpositionen im beruflichen Umfeld nicht ohne Folgen bleiben. Was heißt das für Ärzte und Assistenzberufe? Um Patienten zu schonen, geht der Trend klar in Richtung Dosisverringerung. Konventionelle CTs werden mehr und mehr durch Niedrigdosisanwendungen oder Sonographien ersetzt. Davon profitieren Ärzte ebenfalls. So lange ionisierende Strahlung für Diagnostik oder Therapie erforderlich ist, stellt sich die Frage, ob aktuell gültige Schutzvorkehrungen tatsächlich ausreichen.