Bis eine amyotrophe Lateralsklerose (ALS) erkannt wird, können Monate vergehen. Ein neuer ALS-Bluttest könnte das ändern: Die Konzentration von Neurofilamenten liefert Hinweise auf eine Erkrankung. Außerdem soll der Bluttest den Verlauf der Krankheit prognostizieren können.
Mit bundesweit etwa 8.000 Betroffenen zählt die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) zu den selteneren neurodegenerativen Erkrankungen. Doch durch prominente Patienten wie den Maler Jörg Immendorff oder den kürzlich verstorbenen Physiker und „Langzeitüberlebenden“ Stephen Hawking ist die tödliche Nervenkrankheit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Im Krankheitsverlauf sterben Nervenzellen ab, die für die Muskelsteuerung verantwortlich sind (Motoneurone). Eine Lähmung der Gliedmaße sowie der Atemmuskulatur sind die Folge, und meistens versterben die Patienten ein bis zehn Jahre nach Krankheitsbeginn.
Bis zur Diagnose der ALS können mehrere Monate vergehen: Selbst erfahrenen Medizinern fällt es teilweise schwer, die vielfältigen Symptome von anderen neurodegenerativen Erkrankungen zu unterscheiden. Jetzt stellen Forschende der Ulmer Universitätsmedizin und der Universität Mailand einen Bluttest vor, der die Differenzialdiagnose erleichtern soll. Zudem erlaubt der Test eine Prognose des Krankheitsverlaufs. Die Blutuntersuchung soll sich besonders für größere Kohorten eignen, beispielsweise im Zuge von klinischen Studien, sowie für Patienten, bei denen aus medizinischen Gründen keine Liquorpunktion möglich ist. Der Fachbeitrag der Gruppe um Professor Markus Otto und Dr. Federico Verde ist in der Fachzeitschrift „Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry“ erschienen.
Der Bluttest misst die Konzentration von Neurofilamenten (Neurofilament light chain/NFL) im Serum der Patienten. Dabei handelt es sich um Proteine, die das „Gerüst“ von Nervenzellen wie Motoneuronen bilden. Sterben diese Nervenzellen wie im Verlauf der Amyotrophen Lateralsklerose ab, werden Fragmente des Proteingerüsts freigesetzt. Infolgedessen ist die Konzentration des Biomarkers NFL bei den Patienten erhöht – frühere Studien der Ulmer Gruppe hatten diesen Effekt bereits im Liquor und auch im Serum nachgewiesen. „In den vergangenen Jahren haben sich Messverfahren im Bereich Proteomik stark weiterentwickelt. Dadurch wird der Nachweis von Biomarkern wie NFL in sehr geringen Konzentrationen und sogar im Serum nunmehr fast routinemäßig möglich“, erklärt Erstautor Dr. Federico Verde, Wissenschaftler in der Abteilung Neurologie am IRCCS Istituto Auxologico Italiano der Universität Mailand. Dabei beruhe der neue Bluttest auf der so genannten Single Molecule Array Technologie (Simoa). Die Zuverlässigkeit der neuen diagnostischen Methode wurde an 124 ALS-Patientinnen und Patienten der Ulmer Universitätsklinik für Neurologie überprüft sowie an 159 Personen einer Kontrollgruppe. Darunter waren Probanden mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson sowie Studienteilnehmer ohne degenerative oder entzündliche Nervenerkrankungen. Tatsächlich erwies sich die NFL-Konzentration im Blut von ALS-Patienten am höchsten (Ausnahme: Creutzfeldt-Jakob-Krankheit) und ermöglichte eine Differenzialdiagnose.
Durch die vergleichenden Messungen konnte eine diagnostische Schwelle für die Amyotrophe Lateralsklerose festgelegt werden: Ist die zuvor definierte NFL-Konzentration im Blut überschritten, gilt die ALS als wahrscheinlich. Zudem konnten die Autoren zeigen, dass die gemessenen Werte der Biomarker mit der Aggressivität des Krankheitsverlaufs korrelieren. ALS-Patienten mit einer höheren NFL-Konzentration im Blut erleben eine schnellere klinische Verschlechterung und haben im Mittel eine kürzere Überlebensdauer“, erklärt Professor Otto. Der Biomarker NFL sei bereits kurz nach Auftreten der ersten Symptome messbar, und womöglich lasse sich auch das Therapieansprechen mithilfe des Tests nachvollziehen. In Zukunft soll die Zuverlässigkeit des neuen Bluttests weiterhin in größeren, multizentrischen Kohorten überprüft werden. Außerdem plant die Forschergruppe, weitere Marker in die Diagnostik einzuführen, die die Labordiagnose noch spezifischer machen. Der Text basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Ulm.