Eine verbreitete Ansicht ist, dass sich chronisch-entzündliche Erkrankungen gegenseitig verursachen. Diese Hypothese wurde nun infrage gestellt. Bestimmte Erbgut-Veränderungen erhöhen demnach generell die Wahrscheinlichkeit, chronisch-entzündliche Erkrankungen zu haben.
Nach wie vor haben Fachleute nicht im Detail verstanden, warum manche Menschen verstärkt an entzündlichen Erkrankungen leiden und andere davon verschont bleiben. Vermutlich liegt ihnen eine Reihe von genetischen und umweltbedingten Ursachen zugrunde. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Professor Andre Franke von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, untersuchte jetzt das Erbgut von rund 86.000 Menschen. Dabei konzentrierten sich die Wissenschaftler vor allem auf jene Genbereiche, von denen bereits bekannt war, dass sie verschiedene entzündliche Erkrankungen beeinflussen.
„Wir konnten in unserer Studie keinen Beweis für einen kausalen Zusammenhang auf genetischer Ebene zwischen bestimmten chronisch-entzündlichen Krankheiten finden“, sagt Erstautor Prof. David Ellinghaus. „Patienten mit Mehrfacherkrankungen, die beispielsweise gleichzeitig unter einer entzündlichen Lebererkrankung und einer entzündlichen Darmerkrankung leiden, zeigen ein anderes molekular-genetisches Risikoprofil als Patienten mit einer klassisch entzündlichen Darmerkrankung wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa.“ Das Ergebnis sei deswegen interessant, weil in beiden Fällen die Darmerkrankungen allein auf klinischer Ebene oft nicht eindeutig zu trennen sind. Allerdings scheinen viele übergeordnete gemeinsame ‚Entzündungs-Gene‘ zu existieren, die für mehrere Krankheiten ursächlich sind. „Wegen der Komplexität der Risikoprofile vermuten wir, dass verschiedene molekulare Mechanismen auch bei gemeinsamen ‚Entzündungs-Genen‘ zum Zuge kommen. Die Ergebnisse aus molekular-genetischen Untersuchungen könnten somit in Zukunft die Klassifizierung von entzündlichen Erkrankungen unterstützen,“ so Ellinghaus. Die Studie ist die weltweit größte genetische Untersuchung zu krankheits-übergreifenden immunvermittelten Erkrankungen. Gemeinsam mit Kollegen aus 26 verschiedenen Ländern untersuchte Ellinghaus die Erbinformationen von 34.000 gesunden Menschen und 52.000 Betroffenen, die an einer chronisch-entzündlichen Erkrankung leiden. Dabei stieß das Team auf 27 weitere Genregionen, die auch mit Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Primär sklerosierender Cholangitis und Morbus Bechterew in Verbindung gebracht werden. „Veränderungen in diesen Genregionen führen wahrscheinlich zu einer veränderten Steuerung der Proteinherstellung“, sagt Ellinghaus. „In der Folge reagieren Zellen des Immunsystems verstärkt oder vermindert auf innere und äußere Reize, so dass die gesunde Balance zwischen Immunabwehr und -toleranz außer Kontrolle gerät.“ Originalpublikation: Analysis of five chronic inflammatory diseases identifies 27 new associations and highlights disease-specific patterns at shared loci. David Ellinghaus et al.; Nature Genetics, doi: 10.1038/ng.3528; 2016