Ein Unfall mit einem Schwerverletzten, massiver Blutverlust. Ob der Patient in dieser Situation überlebt, hängt laut einer aktuellen japanischen Studie auch von der Blutgruppe ab. Menschen mit Blutgruppe 0 sollen dabei besonders gefährdet sein.
Schon seit einigen Jahren wird ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Blutgruppen des AB0-Systems und dem Auftreten bestimmter Erkrankungen vermutet. Der Zusammenhang konnte in jüngster Zeit durch verschiedene Studien bestätigt werden. Das Risiko an Krebs, einem Myokardinfarkt oder einer venösen Thrombembolie zu erkranken, ist beispielsweise entsprechend bestimmter Blutgruppen unterschiedlich hoch. So leiden Personen mit Blutgruppe 0 relativ selten an einer venösen Thrombembolie im Vergleich zu Personen mit anderen Blutgruppen. Das Überleben eines Menschen mit schwerem Trauma scheint ebenfalls von der Blutgruppe abhängig zu sein. Das zeigte nun eine Gruppe von Wissenschaftlern um Wataru Takayama vom Universitätsklinikum Tokio. Im Rahmen ihrer retrospektiven Studie untersuchten die Forscher den Zusammenhang zwischen der Blutgruppe und der Mortalität bei Patienten mit schweren Traumata. Alle Probanden der Studie wurden zwischen 2013 und 2016 mit schweren Verletzungen in Kliniken eingeliefert.
Die Schwere der Verletzungen wurde über den sogenannten ISS (Injury Severity Score) bestimmt. Die ISS-Tabelle umfasst Werte von 0 bis 75 und dient der klinischen Einteilung anatomischer Verletzungsgrade. Nur Patienten mit einem ISS größer als 15 wurden in die Studie einbezogen. Von insgesamt 1.049 potenziell geeigneten Patienten wurden aufgrund bestimmter Kriterien 901 Traumapatienten für die Studie ausgewählt. Ausgeschlossen wurden Patienten, die bei Ankunft in der Notaufnahme einen Herzstillstand erlitten hatten; die an einer nicht behandelbaren Verletzung litten oder die vor Entstehung des Traumas Antikoagulantien oder Thrombozyten-Aggregationshemmer zu sich genommen hatten. Entsprechend der Blutgruppe waren die Probanden wie folgt unterteilt:
Patienteninformationen wie Alter, Geschlecht, Blutgruppe, Erhalt von Bluttransfusionen, Status nach Entlassung aus dem Krankenhaus wurden den Krankenakten entnommen. Das primäre Outcome der Studie wurde als gesamte Mortalität im Krankenhaus definiert. Die sekundären Endpunkte definierten die Forscher als Ursachen der Mortalität, beatmungsfreie Tage und Gesamtzahl der Einheiten von Erythrozyten-Konzentrat. Außerdem teilten sie die Todesursachen der Probanden in drei Gruppen ein: Verblutung, traumatische Hirnschäden und andere Ursachen, z.B. auch Multiorganversagen.
Während im Rahmen der Studie 28 Prozent der Patienten mit Blutgruppe 0 verstarben, lag der Wert bei Probanden mit anderen Blutgruppen lediglich bei 11 Prozent. Die Sterblichkeit bei Blutgruppe-0-Patienten war also im Vergleich um mehr als das Doppelte erhöht. Nach der Standardisierung für Alter, ISS und anderen Faktoren zeigten sich folgende Ergebnisse. Blutgruppe 0 stellt demnach den größten Risikofaktor dar für:
Laut Forschern ist der Einfluss der Blutgruppe 0 auf die Krankenhausmortalität höher als der Einfluss der Verletzungsschwere, gemessen am Parameter ISS. Das Auftreten von Blutgruppe 0 sei vergleichbar mit einem Anstieg um 12 Punkte in der ISS-Tabelle. Einen weiteren Unterschied, obwohl statistisch nicht signifikant, stellte die Anzahl der Einheiten von Transfusionen mit Erythrozyten-Konzentrat dar. Patienten mit Blutgruppe 0 benötigten innerhalb von 24 Stunden im Vergleich zu anderen Blutgruppen tendenziell mehr Transfusionen als Probanden mit anderen Blutgruppen.
Ein denkbarer Grund für die Sterblichkeit im Zusammenhang mit Blutgruppe 0 könnten die unterschiedlichen Oberflächenantigene der Blutgruppen sein. Die Einteilung der Blutgruppen nach dem AB0-System erfolgt nach den unterschiedlichen Oberflächenantigenen, die auf roten Blutkörperchen und dem vaskulären Endothel exprimiert werden. Vermutlich steht der sogenannte von-Willebrand-Faktor mit der erhöhten Sterblichkeit in Zusammenhang. Dieses Glykoprotein wird von Endothelzellen und Megakaryozyten gebildet, zirkuliert im Blutplasma und spielt eine entscheidende Rolle bei der primären Hämostase. Es vermittelt die Adhäsion von Thrombozyten an das Subendothel der geschädigten Gefäßwand, fördert die Aggregation aktivierter Blutplättchen und schützt den Faktor VIII der Gerinnungskaskade vor vorzeitiger Proteolyse. In verschiedenen Studien konnte nachgewiesen werden, dass Blutgruppe-0-Patienten 25 bis 30 Prozent niedrigere Werte von von-Willebrand-Faktoren im Plasma aufweisen als Patienten mit anderen Blutgruppen. Das wiederum könnte aufgrund einer geringeren, primären Hämostase bei den entsprechenden Patienten zu einer erhöhten Blutungsneigung führen. Dieser Umstand kann gerade im Hinblick auf den Tod durch Verbluten und durch traumatische Hirnschäden, welche häufig durch verstärkte Hirnblutung gekennzeichnet sind, die Ursache für die erhöhte Sterblichkeit bei Blutgruppe-0-Traumapatienten sein. Allerdings ist diesbezüglich der Einfluss der Blutgruppe auf die Hämostase-Mechanismen noch zu wenig erforscht, als das die aufgestellte Hypothese endgültig bestätigt werden könnte.
Weitere grundlegende Studien in diesem Bereich sind nötig, um die Rolle der Blutgruppen bei der Hämostase weiter aufzuklären. Ein weiteres Manko der vorliegenden Studie ist deren begrenzte Stichprobengröße und die auf das AB0-System der Blutgruppen beschränkte Auswertung der Ergebnisse. So wurde beispielswiese nur der Phänotyp und nicht der Genotyp der Blutgruppen oder des Rhesus-Systems untersucht. Neben dem AB0-System hat dieses die größte klinische Bedeutung. Es besteht insgesamt aus einer Gruppe von 50 zueinander ähnlichen Proteinen, deren fünf wichtigste Vertreter (C, c, D, E, e) mit Testseren geprüft werden können. Der wichtigste Rhesusfaktor (Rh) trägt die Abkürzung „D“. Je nachdem ob dieser vorhanden ist, sind Personen Rhesus-positiv oder Rhesus-negativ. In der durchgeführten Studie wiesen lediglich zwei Patienten Rh-negatives Blut auf, weshalb der statistische Unterschied zwischen Rh-positivem und Rh-negativem Blut nicht beurteilt werden konnte. Zusätzliche Arbeiten und umfassendere Daten in möglichst groß angelegten Studien erscheinen daher sinnvoll, um die Forschungsergebnisse der Japaner zu bestätigen und weitere Faktoren mit einzubeziehen.
Doch Träger der Blutgruppe 0 haben nicht nur Nachteile. Wie eingangs erwähnt, leiden Personen mit Blutgruppe 0 zum Beispiel seltener an einer venösen Thrombembolie. Eine im Jahr 2017 erschienene Studie der holländischen Universität Groningen zeigte auch, dass Personen mit Blutgruppe 0 im Vergleich zu Menschen mit den Blutgruppen A, B oder AB ein geringeres Herzinfarktrisiko aufweisen. Nach Auswertung von Daten von über 1,3 Millionen Probanden konnte hier ein statistisch signifikant höheres Risiko für andere Blutgruppen nachgewiesen werden. Auch dieses Phänomen ist vermutlich auf die geringere Konzentration von von-Willebrand-Faktoren im Plasma zurückzuführen. Die Wissenschaftler vermuteten diesbezüglich eine geringere Neigung zur Bildung von Thromben, die in vorgeschädigten Koronararterien einen Herzinfarkt auslösen können. Obwohl die Forschung in diesem Bereich noch in ihren Kinderschuhen steckt, konnten die Japaner mit ihrer aktuellen Studie doch einen wichtigen Beitrag zur besseren Erkennung von Risikopatienten im Traumafall liefern. In Deutschland haben 41 Prozent der Einwohner Blutgruppe 0. Damit ist diese Blutgruppe nach A, welche mit 43 Prozent auftritt, die zweithäufigste. Unter diesen Umständen könnten bei der Notfallbehandlung dieser betroffenen Personen in der Zukunft beispielsweise frühzeitig gezielt spezielle Maßnahmen eingeleitet werden, um eine verstärkte Blutung zu verhindern.