Behandelt man Darmkrebszellen mit Sulforaphan, das in Kohlsorten wie Broccoli enthalten ist, werden sie leichter von einem Krebsmedikament abgetötet. Der Nahrungsmittelinhaltsstoff erhöht die Konzentration des Enzyms AKR1C3 und aktiviert das Medikament in der Tumorzelle.
Gewisse Nahrungsmittel können die Aktivität von körpereigenen Enzymen verändern und damit die Wirkung von Medikamenten beeinflussen. Bekannt ist beispielsweise der nachtteilige Effekt von Grapefruits auf eine Reihe von Medikamenten gegen Herzrhythmusstörungen und zur Senkung des Cholesterinspiegels: Grapefruit-Inhaltsstoffe hemmen ein körpereigenes Enzym, das für den Abbau dieser Medikamente in der Leber verantwortlich ist. Daher nehmen beim Konsum von Grapefruits die Nebenwirkungen dieser Medikamente zu. Bisher gab es nur wenige Beispiele von Nahrungsmittelinhaltsstoffen, welche in durch Nahrung zugeführten Mengen die Wirkung von Medikamenten zum Wohl der Patienten beeinflussen. Jüngst entdeckten Wissenschaftler der ETH Zürich und der Universität Zürich ein weiteres Beispiel für einen solchen Zusammenhang.
Fündig wurden die Forscher, als sie die Wirkung von Sulforaphan auf menschliche Darmzellen untersuchten. Sulforaphan kommt natürlicherweise in einer Reihe von Kohlgemüsen wie zum Beispiel Broccoli vor. Die Wissenschaftler unter der Leitung von Shana Sturla, Professorin am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich, behandelten im Labor verschiedene Arten von Darmkrebszellen sowie Darmzellen von gesunden Personen mit dieser Substanz. Die verwendete Konzentration entsprach in etwa jener, die nach dem Verzehr von Broccoli in den Darm gelangt. Man fand dabei heraus, dass Sulforaphan in Darmkrebszellen die Konzentration einer Reihe von Enzymen erhöht, wie etwa des Enzyms AKR1C3. Interessanterweise entfaltet Sulforaphan diese Wirkung nicht in allen Fällen: In Darmkrebszellen, die aufgrund der Krebserkrankung bereits eine deutlich erhöhte AKR1C3-Konzentration aufwiesen, sorgte die Broccoli-Substanz für eine weitere Konzentrationserhöhung des Enzyms. Auf Darmkrebszellen mit ursprünglich sehr geringer AKR1C3-Konzentration zeigte Sulforaphan jedoch keinen Einfluss. Ebenso wenig auf Darmzellen, die nicht von Krebs betroffen sind.
Das Enzym AKR1C3 ist ein biochemischer Akteur in etlichen Stoffwechselwegen im menschlichen Körper. Außerdem ist es zentral für die Wirkung eines Krebsmedikaments, das sich derzeit noch in Entwicklung und klinischer Erprobung befindet. Dieses Medikament mit der Bezeichnung PR-104A wird in einer inaktiven Form verabreicht und erst in Krebszellen durch das dort anwesende AKR1C3 in seine aktive Form umgewandelt. Die Forscher untersuchten daher in Zellkultur, ob der Broccoli-Inhaltsstoff die Wirkung von PR-104A erhöhen kann. Es bestätigte sich: Wenn die Wissenschaftler die Darmkrebszellen mit Sulforaphan vorbehandelten, reichte weniger als ein Drittel der Dosis von PR-104A, um die Krebszellen abzutöten. „Da Krebsmedikamente in der Regel auch starke Nebenwirkungen haben, sind Ansätze, die Medikamentendosis zu verringern, immer erstrebenswert“, so Sturla.
„Interessant an Sulforaphan ist, dass es natürlicherweise in unserer Nahrung vorkommt und in der von uns verwendeten Konzentration ungiftig ist“, sagt die ETH-Professorin. „Außerdem wirkte Sulforaphan in unseren Experimenten nur in Krebszellen und nicht in Zellen von gesundem Gewebe. Somit lassen sich Nebenwirkungen vermeiden.“ Nach diesen Ergebnissen in Zellkulturstudien möchten die Wissenschaftler in Zukunft auch in klinischen Studien mit Krebspatienten untersuchen, ob Sulforaphan eine Therapie mit PR-104A positiv unterstützt. Außerdem möchten die Wissenschaftler weitere Nahrungsmittelinhaltstoffe finden, welche die Wirkung von Medikamenten bereits in geringen Mengen positiv beeinflussen. „Wir gehen davon aus, dass es noch mehr solcher Kombinationen gibt“, so Sturla. Originalpublikation: Sulforaphane Preconditioning Sensitizes Human Colon Cancer Cells towards the Bioreductive Anticancer Prodrug PR-104A Melanie Erzinger et al.; PLOS One, doi: 10.1371/journal.pone.0150219; 2016