Noch bis vor kurzem war die Krebstherapie mit gentechnisch veränderten T-Zellen eine obskure Behandlungsoption, die nur wenige Spezialisten kannten. Nun aber berichten immer mehr Studien von außergewöhnlichen Erfolgen – aber auch von erheblichen Nebenwirkungen.
Auf der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) war die Gentherapie mittels CAR-T-Zellen (chimeric antigen receptor) ein großes Thema. Dr. Stanley Riddell vom Fred Hutchinson Cancer Research Center im US-amerikanischen Seattle präsentierte dort eine Zusammenfassung der bisherigen Studiendaten und berichtete von Ansprechraten über 80 % bei Patienten mit schwer zu behandelnden malignen hämatologischen Erkrankungen. „Es ist in der Medizin beispiellos, um ehrlich zu sein, Ansprechraten in dieser Höhe bei diesen sehr fortgeschrittenen Patienten zu erhalten“, so Riddell [Paywall]. Eine weitere Teilnehmerin, Dr. Chiara Bonini von der San Raffaele Universität in Mailand, betonte, dass diese Ergebnisse alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen: „Dies ist wirklich eine Revolution.“ Kein Wunder, dass anschließend zahlreiche Medien über den angeblichen Durchbruch in der Krebstherapie berichteten.
Bei dieser neuen Form der Immuntherapie werden T-Zellen aus dem Blut des Patienten gentechnisch so verändert, dass sie einen chimären Antigenrezeptor tragen, bei dem die Antigen-Bindestelle eines monoklonalen Antikörpers über eine Transmembrandomäne mit einer intrazellulären Signaldomäne verbunden ist. Im Gegensatz zu physiologischen T-Zell-Rezeptoren können CARs unprozessierte Antigene erkennen und sind nicht auf deren Präsentation in einem Antigen-MHC-Komplex angewiesen. Mittels viraler Vektoren wird das Rezeptor-Transgen in die T-Zellen des Patienten geschleust. Nach der Vermehrung der CAR-exprimierenden T-Zellen werden diese zurück in den Patienten transfundiert und können dort die Krebszellen, die das Antigen tragen, direkt aufspüren. Am besten untersucht ist die CAR-T-Zell-Therapie bisher bei rezidivierten oder therapierefraktären B-Zell-Malignomen: Bei Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) konnten mittels gegen CD19 gerichteter CAR-T-Zellen Remissionsraten von ca. 45 % erzielt werden, und die modifizierten T-Zellen persistierten bei manchen Patienten mehr als 4 Jahre lang. Im Fall der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) konnten sogar Remissionsraten von 70 %–90 % erreicht werden, allerdings scheint die Persistenz kürzer zu sein als bei CLL – in den meisten Studien waren die modifizierten T-Zellen lediglich für wenige Monate nachweisbar. Abgesehen von CD19 gibt es auch noch weitere molekulare Targets, die in klinischen Studien untersucht werden. Hierzu gehören andere Mitglieder der CD-Molekülfamilie ebenso wie beispielsweise HER2, GD2, EGFR, PSMA, Interleukine, ErbB und ROR1. Indikationen sind z. B. Non-Hodgkin-Lymphome wie B-Zell-Lymphom [Paywall] und Mantelzelllymphom, Sarkom [Paywall], Neuroblastom und Glioblastom [Paywall]. Und auch die CAR-T-Zell-Therapie von Prostatakarzinom, Mammakarzinom und Ovarialkarzinom wird derzeit in klinischen Phase-I-Studien untersucht.
Die amerikanische Onkologie-Fachgesellschaft ASCO hat die CAR-T-Zell-Therapie in ihrem jüngsten Jahresbericht als einzigartige neue Strategie bezeichnet. Die bisher erzielten Ergebnisse seien vielversprechend, so die Autoren, doch sei es unklar, ob die CAR-T-Zell-Therapie eine breitere Anwendung finden werde, da die bisherigen Studien klein und auf Patienten mit schwer zu behandelnden Malignomen beschränkt gewesen seien. Zudem verweisen die Autoren auf die beträchtliche Toxizität der Behandlung. In der Tat kann eine CAR-T-Zell-Therapie mit erheblichen Nebenwirkungen einhergehen, die sich in drei Gruppen einteilen lassen [Paywall]: On-Target-On-Tumor, On-Target-Off-Tumor und Off-Target-Off-Tumor. Zu den On-Target-On-Tumor Nebenwirkungen gehören das Zytokin-Release-Syndrom (CRS) und das Tumorlyse-Syndrom (TLS). Beides sind potenziell lebensgefährliche Syndrome. Ein CRS entsteht, wenn durch die massive Aktivierung des Immunsystems große Mengen an inflammatorischen Zytokinen ausgeschüttet werden. Hohes Fieber, kardiale Dysfunktion, akute Atemnot, neurologische Toxizität, Nieren- oder Leberversagen und disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC) können die Folge sein. Unabhängig von einem CRS kann es außerdem zu Enzephalopathien und Krampfanfällen kommen, deren Ursache aber bisher unklar ist.
On-Target-Off-Tumor-Toxizität entsteht dadurch, dass das für die Herstellung der CAR-T-Zellen verwendete Antigen nicht nur auf den Krebszellen exprimiert wird, sondern auch in nicht-malignen Körpergeweben. Ein Beispiel hierfür ist die B-Zell-Aplasie, welche im Zusammenhang mit CD19-CARs auftritt, da CD19 ein B-Zell-Oberflächenprotein ist, das während der gesamten B-Zell-Entwicklung exprimiert wird und sich daher neben den Krebszellen auch auf den gesunden B-Zellen findet. Glücklicherweise lässt sich eine B-Zell-Aplasie mittels Immunglobulin-Ersatztherapie behandeln – tatsächlich scheint eine dauerhafte B-Zell-Aplasie sogar ein guter Biomarker für die Aktivität der CAR-T-Zellen zu sein. Im Gegensatz dazu wäre eine T-Zell-Aplasie fatal, sodass T-Zell-Malignome vorerst nicht mittels CAR-T-Zell-Therapie behandelt werden können. Eine chronische Off-Target-Off-Tumor-Toxizität ist bisher nur in Tiermodellen beobachtet worden. Durch die dauerhafte CAR-T-Zell-Aktivität scheint es zu einer Verzerrung normaler homöostatischer Zellantworten zu kommen, die sich mit der Zeit zu Toxizitäten entwickeln. Konkret kam es bei Mäusen zur Gewichtsabnahme und Kachexie, die 2 Monate nach der CAR-T-Zell-Infusion zum Tod führte. Die Sektion ergab, dass die Tiere an granulomartigen Gewebeneubildungen in Milz, Leber und Lymphknoten litten.
Nicht nur das spezifische Design des modifizierten Antigenrezeptors hat einen Einfluss auf den Erfolg und die Toxizität der CAR-T-Zell-Therapie, sondern auch die Vorbehandlung der Patienten. Ohne Vorbehandlung in Form einer Chemotherapie hat die Behandlung mit CAR-T-Zellen nur geringe therapeutische Wirkung, da regulatorische T-Zellen (Tregs) und myeloide Suppressorzellen die CAR-T-Zell-vermittelte Immunantwort inhibieren [Paywall] . Ebenso spielt die Menge der zugeführten CAR-T-Zellen eine Rolle: Eine Infusion mit einer geringen Dosis an CAR-T-Zellen könnte zwar die Toxizität verringern, aber gleichzeitig durch den selektiven Druck der Therapie auf die Tumorzellen zu einem Verlust der Antigen-Expression führen, aus dem sich eine Immunevasion entwickeln kann. Hohe Dosen an CAR-T-Zellen können dagegen Zytokin-Release-Syndrom und Tumorlyse-Syndrom verstärken und so zu höherer Toxizität führen. Außerdem scheint der Trend dahin zu gehen, CAR-T-Zellen nicht als alleinige Wunderwaffe gegen Krebs zu sehen, sondern diesen Ansatz mit anderen Immuntherapien zu kombinieren. „Genau wie die meisten Krebstherapien sollte auch die CAR-T-Zell-Therapie am besten als Teil eines multimodalen Behandlungskonzepts gesehen werden“, meint auch Dr. Catherine Bollard [Paywall] vom Children’s National Medical Center in Washington. „Die ultimative Strategie wäre es, CAR-T-Zellen mit anderen zielgerichteten Krebstherapeutika zu kombinieren, beispielsweise niedermolekularen Inhibitoren, Antikörpern, Checkpoint-Inhibitoren usw.“ Gleichzeitig warnt sie aber auch davor, sich zu sehr auf die CAR-T-Zell-Therapie zu versteifen. „Es werden aktuell auch andere T-Zell-vermittelte Therapien entwickelt, beispielsweise die BITE-Antikörper und Multiantigen-spezifische T-Zellen. Einige dieser Therapien haben ebenfalls sehr vielversprechende klinische Ergebnisse bei Patienten mit schlechter Prognose gezeigt. Deshalb sollten wir für alle Entwicklungen offen sein.“