Eine entscheidende Ursache des Fragilen-X-Syndroms (FXS) ist das ungenügende Heranreifen von Synapsen. Die Untersuchung zweier Proteine, die das Zytoskelett von Nervenzellen modulieren, enttarnte die Fehlregulation einer der beiden Formen als potentiellen Beteiligten.
Neuronale Entwicklungsstörungen wie Autismus sind häufig durch eine Beeinträchtigung im Heranreifen der Synapsen gekennzeichnet. Wenn dort unwichtige Information nicht herausgefiltert werden, kann es zu einer regelrechten Reizüberflutung kommen. Den Ursachen dafür sind Wissenschaftler unter Leitung von Prof. Martin Korte, TU Braunschweig, jetzt ein Stück näher gekommen – und zwar im Rahmen von Grundlagenforschung zur Funktionsweise unseres Gehirns. Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich schon länger mit zwei Proteinen, die das Zytoskelett von Nervenzellen modulieren: den Profilinen. Die hochspezialisierten Nervenzellen unseres Gehirns enthalten zwei Profiline: eine evolutiv ältere Form (PFN1), welche in jeder Körperzelle gebildet wird, und zusätzlich das evolutiv jüngere PFN2a, das nur im Nervensystem zu finden ist. Beide kamen als „Kandidaten“ für die Ursachen von Entwicklungsstörungen infrage. Das Team hat nun nachgewiesen, das nur PFN1 für die Fehlentwicklung zuständig ist. Um dies festzustellen, mussten sie zuvor der Funktionsweise eines gesunden Gehirns näher gekommen. Die Profiline sind in nahezu allen Lebewesen anzutreffen. Auch im menschlichen Körper sind in verschiedenen Körperzelltypen mehrere Profiline nebeneinander zu finden. Sie sind in ihrem Aufbau sehr ähnlich, in ihrer Funktion jedoch höchstwahrscheinlich sehr unterschiedlich. Vor allem im Nervensystem ist dies bisher jedoch noch weitgehend unerforscht. Die Forscher konnte aufklären, warum unsere Nervenzellen genau zwei Profiline benötigen, und damit der Lösung eines Rätsels der Evolution einen Schritt näher kommen. Dendriten einer Kontroll-Maus, des FXS-Mausmodells sowie des FXS-Mausmodells, in dem die zu geringe Konzentration von PFN1 durch Manipulation der Genexpression erhöht wurde (Überexpression von PFN1). Die Pfeile deuten auf einzelne Synapsen hin. Diese haben im reifen Zustand eine pilzähnliche Form, bei FXS jedoch sind sie unreif und gleichen eher langen, dünnen Ästchen. Die zusätzliche Expression von PFN1 lässt die Synapsen reifen, sodass die Form nicht mehr von der Kontrolle zu unterscheiden ist. © TU Braunschweig
Die Forscher konnte zeigen, dass das ältere PFN1 vor allem für die Bildung und das Heranreifen von Synapsen wichtig ist, um die Grundverschaltung des menschlichen Gehirns zu bewerkstelligen. Das evolutiv gesehen jüngere PFN2a hingegen spielt eine essentielle Rolle für die Modulierbarkeit der Synapsenform, ein Prozess der vor allem bei der Gedächtnisbildung benötigt wird. Bemerkenswerterweise zeigen die Daten auch, dass trotz ihrer hohen biochemischen Ähnlichkeit beide Profilin-Formen in entgegengesetzter Weise auf das Zytoskelett einwirken. Eine entscheidende Ursache des Fragilen-X-Syndroms (FXS) ist das ungenügende Heranreifen von Synapsen, sodass diese im späteren Leben nicht für Lernvorgänge zur Verfügung stehen. Die Daten belegen nun, dass nur PFN1 und nicht PFN2a in der neurologischen Entwicklungsstörung FXS fehlerhaft reguliert ist. Es kann somit einer der Gründe sein, weshalb hier neuronale Netzwerke nicht richtig ausreifen. Originalpublikation: Neuronal profilins in health and disease: Relevance for spine plasticity and Fragile X syndrome Kristin Michaelsen-Preusse et al.; PNAS, doi: 10.1073/pnas.1516697113; 2016