Ein Jahr ist zu Ende, das nächste beginnt. Ich werde nachdenklich. Über 27.000 Patienten habe ich bislang in meiner Praxis behandelt. Von Abgebrühtheit bin ich allerdings weit entfernt. Mein Gefühl vor der Arbeit? Mulmig. Kassenärztlicher Notdienst? Macht mich weiterhin fertig.
Ich bin seit sechzehn Jahren in meiner eigenen Praxis als Kinder- und Jugendarzt tätig, das Zählwerk meines Praxis-Programms zeigt über 27.000 Patienten an, die sich einmal oder meist mehrmals in dieser Zeit in meiner Praxis vorgestellt haben.
Ich war vorher acht Jahre in einer großen Kinderklinik tätig, habe die letzten 1,5 Jahre nonstop auf der Intensivstation gearbeitet, wurde mit täglichen Kreißsaaleinsätzen, Mini-Frühgeborenen von 600 Gramm aufwärts und mehreren Reanimationen konfrontiert.
Sicherlich habe ich ein paar Kinder gesünder gemacht, Eltern beraten und Familien durch Impfungen geschützt. Bestimmt habe ich auch Fehler gemacht und wünschte, dass sie nie geschehen sind und niemand durch mich zu ernsthaftem Schaden gekommen ist. Primum non nocere.
Ich bleibe unsicher. Morgens habe ich weiterhin Bauchweh. Ich leide, wenn ich kassenärztlichen Notdienst habe. Ich bin verunsichert, wenn ich mich entscheide, das Blut zu untersuchen, weil mein eigenes Urteilsvermögen vielleicht hinkt. Und schwitze, wenn ich die Werte in Augenschein nehme.
Ich vertraue meinem Sachverstand. Ich schwöre auf mein Bauchgefühl. Aber ich misstraue dem Teufel namens Versäumnis, der Bitch namens Verpassen und der Stolperfalle namens Übersehen. Die Eltern kommen zu mir, weil sie meinen Fähigkeiten vertrauen. Und wenn ich nun aber einen Fehler mache?
Dann bin ich Mensch.
Ist das so einfach in unserem Beruf? Ist es nicht.