Es ist mal wieder Freitag und ich ahne bereits, dass er interessant werden könnte. Das Telefon klingelt. Ein äußerst aufgebrachter Herr Drölf meldet sich. Es scheint wohl ein Notfall zu sein. „Frau Ptachen, gut dass Sie dran sind! Ich habe hier ein schreckliches Problem!“
Es gibt manchmal Tage, da schreibt das reale Leben bessere Geschichten als es jede Fiktion könnte. Mein Freundeskreis glaubt mir häufig nicht, was wir von Kunden alles ernsthaft zu hören bekommen – und mit welchen Problemen wir uns täglich befassen. Eines davon: Wie kann man sich so sicher kratzen, dass man nicht danach zum Arzt fahren muss?
Es ist mal wieder Freitag und ich ahne bereits, dass er wieder interessant werden könnte. Freitagnachmittag scheint – ähnlich wie Samstagnachmittag – reserviert für Problemkunden zu sein. Einer von ihnen ruft in dem Moment bei uns an, als ich gerade eine kurze Kaffeepause machen wollte.
„Hallo! Ist da die Vorstadtapotheke?“
„Ja, Frau Ptachen am Telefon. Herr Drölf, was kann ich für Sie tun?“
„Gut, dass Sie dran sind! Ich habe hier ein schreckliches Problem! Ich habe eine offene Wunde, die versorgt werden muss. Ich brauche ein Antibiotikum! Aber der Herr Doktor will keinen Hausbesuch machen, sagt er. Ich soll in die Praxis kommen. Aber ich habe Angst, dass ich mich da noch mehr infiziere. Sie müssen mir helfen!“
„Blutet die Wunde denn stark, Herr Drölf? Wo befindet sie sich denn und wie wurde sie versorgt?“
„Nein, sie blutet nicht mehr. Und sie befindet sich an der Oberlippe, genau zwischen der Lippe und meinem rechten Nasenloch. Ich hab sie jetzt nur abgetupft bisher, weil ich nicht weiß, was ich machen soll.“
„Gut. Es blutet also nicht mehr. Wie haben Sie sich denn verletzt?“
„Ja, also... Ich hatte da eine Kruste vom Herpes. Da habe ich Zahnpasta drauf gemacht und die wollte ich jetzt abziehen. Da hat es angefangen zu bluten. Ich habe die Zahnpasta dann abgewaschen, aber es hängt so ein Zipfel von der Kruste ab. Das ist doch hochinfektiös! Außerdem bin ich immungeschwächt, sonst hätte ich das ja gar nicht bekommen. Ich kann mich da nicht in die Praxis setzen mit der offenen Wunde!"
„Wie groß ist denn die Kruste?“
„Schon so drei Millimeter ungefähr. Schätzungsweise.“
„Herr Drölf, deshalb müssen Sie bestimmt nicht zum Arzt. Warten Sie einfach einen Moment, bis alles getrocknet ist. Und dann cremen Sie die Kruste sechsmal täglich für vier Tage mit einer antiviralen Creme ein.“
„Wie soll ich die denn auftragen? Ich kann doch da nicht mit den Fingern dran!"
„Die Creme können Sie mit einem Wattestäbchen auftragen.“
„Die müssen Sie mir aber bringen. Ich kann in diesem Zustand auf keinen Fall aus dem Haus gehen! Der Herr Doktor hat das aber überhaupt nicht verstanden. Ich hab ihm ganz genau erklärt, wann das passiert ist und wie, aber stellen Sie sich vor – er nimmt mich gar nicht ernst! Er hat gesagt, daß er zu tun hat und hat einfach aufgelegt!"
Mir ist jetzt auch gerade danach aufzulegen, aber ich beherrsche mich. Ich erkläre Herrn Drölf die verschiedenen Möglichkeiten der Selbstmedikation, die er bei Lippenherpes hat – inklusive der Melissencreme, Hitzetherapie und der Behandlung mit Patches.
Ich schaffe es sogar, ihn etwas zu beruhigen und das rabiate Auflegen des Arztes zu verteidigen. Nach gut zwanzig Minuten beende ich das Telefonat und will gerade zum kalten Kaffee greifen, da klingelt es erneut und es ist wieder einer unserer „besonderen“ Kunden. Seufzend ergreife ich den Hörer:
„Frau Ptachen, gut dass Sie dran sind! Ich habe mich gerade gekratzt im ... äh ... Schleimhautbereich. Ich glaube, ich brauche ein Desinfektionsmittel. Können Sie mir da etwas bringen?“
Manchmal will ich einfach nur betäubt und entführt werden.