Auf der Intensivstation ist der Kampf ums Überleben brutal. Trotzdem würde ich im Zweifel kämpfen wollen – aber nicht um jeden Preis. In meiner eigenen Patientenverfügung gehe ich deshalb Kompromisse ein. Hier könnt ihr sie nachlesen.
Der Bedarf ist groß, die eigene Selbständigkeit auch für den Fall zu regeln, dass man plötzlich nicht mehr voll im Leben, sondern eher am Rand des Lebens steht. Das weiß ich aus Gesprächen mit Kollegen und unseren jüngeren Mitarbeitern. Für den Fall gibt es Patientenverfügungen.
In das Leben eines jungen Menschen passt die aber ungefähr genauso gut wie sich Blasenkatheter auf Thrombosestrümpfe reimt. In einem meiner Artikel habe ich über das Thema schon einmal geschrieben (hier nachzulesen).
Der Euphemismus des Tages
Als gesunder und junger Mensch wollen wir ja erstmal noch möglichst viel vom Leben haben. Ein Kampf für das Leben ist die Maxime und genau so wird es ja auch in allen Kliniken umgesetzt. Der Kampf ums Überleben ist aber auch mit vielen Unannehmlichkeiten verbunden – und das ist der Euphemismus des Tages.Intensivmedizin bedeutet Katheterwechsel, Thoraxdrainagenanlage, brutale Schmerzen, künstliche Ernährungssonden, deren Anlage und Wechsel, völlige Kraftlosigkeit, Ermüdung und fehlende Orientierung durch einen zerstörten Tag-Nacht-Rhythmus.
Ist die eigentliche Krankheit überstanden, muss vieles neu erlernt und Kraft aufgebaut werden. Jeder einzelne Muskel des Körpers verweigert die Arbeit, muss wieder neu trainiert werden. Schlucktraining, wache Bronchoskopie zur Sekretmobilisation. Und wieder diese Schmerzen wie man sie vorher noch nie gekannt hat, weil man der Meinung war, dass ein Bolus von 10 µg Sufenta doch reichen müsste.
Luftnot, Angst aber auch Horrorträume, die fern unserer Vorstellungskraft sind. Nicht alles trifft auf alle Patienten zu, aber manche Patienten zahlen einen hohen Preis für einen Kampf gegen den Tod.
Lehne ich also jede Form von Intensivmedizin (Beatmung, Dialyse, künstliche Ernährung u.a.) kategorisch ab und akzeptiere unter Umständen einen raschen Tod? Oder möchte ich alle Möglichkeiten der Intensivmedizin für den Kampf ums Leben nutzen und nehme die Bürde aller Unannehmlichkeiten auf mich, um vielleicht noch ein paar Jahre zu gewinnen?
Aus meiner Sicht macht ein Kompromiss Sinn
Am Anfang steht ein Ereignis, das zur Aufnahme auf die Intensivstation führt. Ein schwerer Verkehrsunfall, Notarzt, Rettungsdienst, Schockraum, OP, Intensivstation. Kein Mensch kann in die Zukunft schauen, niemand weiß, ob es am Ende „gut“ ausgeht. Ob sich der Kampf am Ende lohnen wird. Aber deshalb direkt die Flinte ins Korn werfen?
Ich finde in diesem Fall einen Kompromiss sehr sinnvoll. Ich möchte im Fall des Falles die Möglichkeiten der Intensivtherapie nutzen, ich möchte kämpfen. Ich bin bereit auch durch ein tiefes Tal zu gehen, aber nicht zu jedem Preis.Was das heißt, darf ja zum Glück jeder selbst für sich entscheiden.
Weil ich eine Hilfestellung geben möchte und es mehrfach angefragt wurde, hier meine eigene Patientenverfügung.
Noch ein paar erklärende Kleinigkeiten vorweg:
„PATIENTENVERFÜGUNG
Ich, Narkosedoc, geboren am XXX, wohnhaft in XXX, bestimme hiermit das Folgende:
Im Falle einer plötzlichen Erkrankung, die es mir unmöglich macht einen eigenen Willen zu äußern oder diesen verständlich zu äußern, bestimme ich, dass für einen Zeitraum von 60 Tagen ab dem ersten Aufnahmetag im erstversorgenden Krankenhaus alles Menschenmögliche getan wird, um mein Leben zu retten und eine rasche Rehabilitation und Rückkehr in ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu fördern.
Für den Zeitraum von 60 Tagen ab dem Datum des ersten Aufnahmetages im erstversorgenden Krankenhaus stimme ich sämtlichen intensivmedizinischen Maßnahmen zu. Dies beinhaltet unter anderem auch:
Mit all diesen Maßnahmen bin ich für den genannten Zeitraum explizit einverstanden.
Ausnahmen:Der Anlage einer PEG wiederspreche ich ausdrücklich und zwar auch für den Fall, dass eine langfristige Ernährung aufgrund erlittener Schäden durch Schlucktraining/Logopädie nicht ausreichend möglich sein sollte.
Kritische Reevaluation zur Fortsetzung medizinischer Maßnahmen nach dem Ablauf von 60 Tagen:
Sollte 60 Tage nach der ersten Krankenhausaufnahme im erstversorgenden Krankenhaus eine der folgenden Bedingungen zutreffen, so fordere ich eine umgehende Beendigung aller medizinischen Maßnahmen, auch unter Inkaufnahme des Todes. Hierzu gehören:
Etwaige Deutungsungenauigkeiten sind im Zweifelsfall als „Bedingung zutreffend“ einzustufen. Neurologische Spitzfindigkeiten sind zu ignorieren.
Die letzte Deutungshoheit über die Erfüllung oder Nichterfüllung einer Bedingung liegt bei XXX.
Sollte eine oder mehrere der genannten Punkte erfüllt sein, so ist die Therapie unverzüglich einzustellen. Dies beinhaltet:
Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich habe ein schönes Leben gelebt. Ich wünsche Beistand durch XXX sowie XXX wünsche explizit eine palliative Unterstützung im Sinne einer best-supportive-care ein. Dies beinhaltet insbesondere die großzügige Gabe von Sedativa (Lorazepam und andere) und Analgetika (Morphin und andere) auch unter Inkaufnahme eines Atemstillstands oder einer möglichen Lebensverkürzung.
Anhang 1:
Sollte am Anfang der Kausalkette ein unnatürliches Ereignis (zum Beispiel ein Unfall) stehen und ich letztlich an einer natürlichen Erkrankung (zum Beispiel an einer Pneumonie) versterben, so ist im Totenschein „unnatürlich“ anzukreuzen und auch die Kriminalpolizei zu informieren. Das fälschliche Ankreuzen einer „natürlichen Todesursache" ist zumindest eine Ordnungswidrigkeit und kann unter Umständen einen Straftatbestand erfüllen.
Anhang 2:
Für den Fall, dass nach meinem Tod eine Spende von Organen/Gewebe zur Transplatation in Frage kommt, gestatte ich dies explizit und vollumfänglich ohne Einschränkungen. Ich erteile der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) eine vollumfängliche Autorisierung zur Berichterstattung z.B. für Film- und/oder Fotoaufnahmen für die Öffentlichkeitsarbeit soweit dies gewünscht ist.
Ich bin mir des Inhalts und der Konsequenzen meiner oben genannten Entscheidungen sehr bewusst und bestätige hiermit, dass ich diesen Text im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte verfasst habe.
______________________Ort, Datum, Unterschrift“
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