Es gibt Sätze, die mich sofort wütend werden lassen. Geäußert wird er gerne von Spezialisten. Dabei zerstören sie nicht nur das Vertrauen in uns Hausärzte. Sie vergessen auch, wie viele Patienten wir tagtäglich davon abhalten, zum Facharzt zu rennen.
„Worte, die nicht treffend sind, treffen oft am meisten.“ Georg Wilhelm Exler
Ich finde dieses Zitat sehr passend für das, was wir in der hausärztlichen Praxis oft zu hören bekommen. Deswegen hier ein paar Sätze, die ich nie wieder hören möchte, aber höchstwahrscheinlich in absehbarer Zeit wieder hören muss.
Der Satz, der mich aktuell am heftigsten nervt, ist folgender: „Wenn Ihr Hausarzt das für richtig hält, kann er das jederzeit anordnen.“
Worte, die gerne im Zusammenhang mit Physiotherapie, teuren Laborwerten, z.B. Vitaminbestimmungen, oder in den letzten Monaten auch oft bei Impfindikationen, inbesondere wenn es um die Grippeschutzimpfung geht, fallen.
Angst vor Regresszahlungen
Das Schema ist immer dasselbe: Es handelt sich um Leistungen, die budgetiert sind. Wenn wir als (Haus-)Ärzte also zuviel verordnen, bekommen wir, salopp gesagt, die Rechnung – oft mehrere Quartale bis Jahre später. Es geht dabei um einen Vergleich zwischen dem eigenen Verordnungsverhalten und dem des Durchschnittsarztes. Wenn man das Budget in einem Bereich überschreitet, weil man mehr verschreibt als der Durchschnitt derselben Fachgruppe, droht ein Regress.
Wirkliche Regresszahlungen werden seltener. Trotzdem habe ich von mehreren Kollegen gehört, die ein- oder zweimal Regress-Androhungen bekommen haben. Und zwar in Form von Listen mit Versichertennummern, die dann von der Praxis dem Patienten zugeordnet werden und in jedem Fall die Behandlung entsprechend schriftlich begründet werden muss. Das machen die meisten Kollegen ein-, maximal zweimal, danach sind sie nervlich so fertig, dass sie sich beim nächsten Mal direkt doppelt bis dreifach überlegen, ob sie die Physiotherapie wirklich verordnen wollen. Gefühlte Indikation hin oder her.
Krankenkassen, sprecht über die ganze Wahrheit!
Diese Maßnahmen zeigen natürlich Wirkung. Die Ärzte verschreiben immer weniger, somit sinkt der Durchschnitt, weshalb man wiederum auch schneller in den Regress-Bereich gerät.
Deswegen liebe Krankenkassenmitarbeiter: Bitte lasst den Patienten die volle Wahrheit wissen, nämlich dass wir als Hausärzte nicht alles verordnen können, was wir für sinnvoll halten, sondern auch von den Krankenkassen „zur Wirtschaftlichkeit“ angehalten werden. Und dass wir sogar selbst bezahlen für das, was wir mehr verordnen als von vornherein vorgesehen ist.
Wenn die Krankenkassen die Patienten adäquat informieren würden, hätten wir mehr Zeit für die eigentliche Patientenversorgung und müssten nicht ständig Diskussionen führen und uns Beschimpfungen anhören, weil Patienten der Meinung sind, wir würden ihnen etwas vorenthalten, wenn wir nicht für jeden Rückenschmerz sofort Physiotherapie aufschreiben. Denn laut Aussage des Krankenkassenmitarbeiters „könnten wir ja, wenn wir wirklich wollten“.
Facharzt vs. Hausarzt?
Ein weiterer Satz, der mich, glücklicherweise nicht so oft, mit den Zähnen knirschen lässt: „Das hätte der Hausarzt direkt erkennen müssen.“
Mit solchen Zitaten kommen Patienten immer mal wieder von „Organspezialisten“. In den allermeisten Fällen finde ich diesen Satz echt unangebracht: Wir Hausärzte arbeiten im Niedrigprävalenzbereich. Das bedeutet wir sind die ersten Filter. Wir versuchen zunächst, die ganzen harmlosen Sachen rauszufischen und von den Spezialärzten fernzuhalten, damit diese sich auf die Patienten konzentrieren können, die die Expertise der Spezialisten wirklich brauchen.
Leider sind einige Kollegen an die Filter offensichtlich so sehr gewöhnt, dass sie von ihrem Klientel auf unseres schließen und dem Patienten verkünden, dass das Krankheitsbild doch „sofort klar gewesen sei“. Dabei vergessen sie insbesondere, dass häufig ein paar Wochen zwischen dem Erstkontakt beim Hausarzt und der Therapie beim Facharzt vergehen.
So viel wie möglich behandeln wir selbst
Es gibt sicherlich auch Fälle, bei denen wir falsch gelegen haben und sich im Nachhinein herausstellt, dass eine direkte Überweisung und schnellere spezialärztliche Betreuung besser gewesen wäre. Andererseits behandeln wir natürlich auch alle Erkrankungen, die wir therapieren können, nach bestem Wissen und Gewissen selbst. Und ich glaube, es möchte kein Kardiologe sofort jeden „Brustschmerz“ sehen, der sich dann meistens doch als orthopädisch entpuppt. Kein Gastroenterologe möchte sofort alle Mägen spiegeln, die sich bei einer leichten Gastritis mit einer Woche PPI sofort wieder bessern. Und kein Dermatologe möchte sämtliche Alterswarzen begutachten müssen.
Deswegen bitte, liebe Kollegen, seien Sie sehr vorsichtig mit Aussagen darüber, was man „sofort hätte erkennen müssen“. Diese Äußerungen untergraben das Vertrauen der Patienten zu uns Hausärzten und sorgen dafür, dass die Patienten immer sofort zum Facharzt wollen. Einige von ihnen gehen auch deshalb an uns vorbei direkt zum Spezialisten. Der Patient schätzt Ihre Expertenmeinung sehr, ebenso wie wir Hausärzte. Wenn Sie dann uns Hausärzte als „unwissende Deppen“ darstellen, werden Sie eine Menge Routinekontrollen übernehmen müssen, weil die uns für inkompetent halten.
Vertrauen kann durch solche Sätze schnell zerstört werden und braucht sehr lange, um wieder aufgebaut zu werden.
Vorsicht mit den Todes-Prognosen
Die Aussagen, die jedoch oft am meisten Schaden anrichten, sind Prognosen. Ja, auch ich kenne die jeweiligen Mortalitätsstatistiken, kenne aber auch für so ziemlich jegliche Form von Malignom Patienten, die diese Statistiken deutlich überlebt haben, oft geht es hier um Jahre und Jahrzehnte. Das Problem: Patienten fallen aufgrund solcher Prognosen manchmal in ein heftiges emotionales Loch und können nur noch an diesen Satz denken. Es kostet viel therapeutische Arbeit, sie da wieder rauszuholen und den Blick der Patienten wieder nach vorne zu richten.
Auch hier die große Bitte: Vorsicht mit solchen Todes-Prognosen! Nehmen Sie den Patienten nicht alle Hoffnungen, auch wenn Sie selbst schon oft furchtbare Fälle gesehen haben. Ja, auch diese Fälle kenne ich und ja, manchmal geht es extrem schnell und endet böse. Und nein, man soll den Patienten auch nicht anlügen und ihm keinesfalls sagen, dass alles gut werden wird. Aber ich denke schon, dass es auch für den Überlebenswillen wichtig ist, dem Patient mitzuteilen, dass dies nur allgemeine Statistiken sind und sie keine genaue Prognose für den Einzelfall liefern können.
Medizin ist ein Gemeinschaftsprojekt
Denn wie gesagt: Jeder, der etwas länger tätig ist, kennt auch die Fälle, in denen es deutlich länger klappt als erwartet. Und eins haben all diese Fälle gemeinsam: Dass die Patienten es geschafft haben, nicht den Mut zu verlieren. Lassen wir ihnen also diesen Mut und versuchen nicht, aufgrund eines falsch verstandenen Realismus, das letzte bisschen Hoffnung zu nehmen.
Medizin ist ein Gemeinschaftsprojekt mit vielen Beteiligten, oft mit mehreren Ärzten, Physiotherapeuten, Pflegepersonal und mit vielen weiteren medizinischen Berufen. Auch der Patienten und dessen Angehörigen gehören zu diesem Projekt. Dabei gibt es natürlich Reibungsverluste, die in der Kommunikation entstehen. Aber wenn wir uns darauf konzentrieren, diese möglichst klein zu halten, können wir alle zusammen auf das gleiche Ziel zusteuern: Die Gesundheit und das Wohlergehen unserer Patienten.
Bildquelle: rawpixel.com, pexels