Die Herstellung von künstlichem Blut ist kaum möglich. Bisher. Nun ist Forschern der Medizinischen Hochschule Hannover ein Durchbruch gelungen. Sie stellen unterschiedliche, reife Blutzellen her. Und je nach Bedarf lassen sich die Blutzellen ernten.
Blutspenden sind in Deutschland nicht gerade hoch im Kurs, wie eine große Befragung ergeben hat. In 12 von 28 untersuchten Ländern war die Bereitschaft, an die Nadel zu gehen, höher als bei uns – teilweise um das Zwei- bis Dreifache. Für die Studie sprach das Marktforschungsinstitut Ipsos MORI mit mehr als 23.000 Personen. Bei uns sank die Zahl an Spenden auf unter vier Millionen (2017). Zuvor schwankte der Wert zwischen vier und fünf Millionen. Im internationalen Vergleich schneiden wir eher mager ab.
Georg Marckmann, ein Medizinethiker aus München hält Vergütungen für denkbar, um Quoten zu erhöhen. Solche Diskussionen könnten ihr Ende finden, sobald es Blutkonserven aus dem Labor gibt. Wir sprachen mit Privatdozent Dr. Nico Lachmann vom Institut für Experimentelle Hämatologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Er berichtet, warum das so schwierig ist – und warum es vielleicht schon bald Produkte aus dem Labor geben könnte.
„In den letzten 10 bis 20 Jahren haben Forscher überwiegend mit Blutstammzellen gearbeitet, wie sie auch in unserem Knochenmark vorkommen“, sagt Lachmann. „Kulturverfahren eignen sich aber nur bedingt, alle Bedingungen des Knochenmarks zu simulieren.“ Das heißt, die Lebensdauer von Blutstammzellen erwies sich als zu begrenzt. Deshalb habe man bei jedem neuen Ansatz zu Beginn Blutstammzellen isolieren müssen. „Der Aufwand ist relativ groß, und man braucht viele Spender, um an Blutstammzellen zu kommen“, ergänzt der Experte.
Seit 2006 sind induzierte pluripotente Stammzellen (iPSC) bekannt. Sie entstehen durch künstliche Reprogrammierung körpereigener Zellen. „Pluripotent“ bedeutet, dass sich iPSC in alle Zellen des Körpers differenzieren können“, berichtet Lachmann. „Außerdem lassen sich die Zellen unbegrenzt in Kulturschalen vermehren.“ Bisher sei es jedoch schwierig gewesen, größere Mengen an individuellen Blutzellen herzustellen. Nach 20 bis 30 Tagen lassen sich die Produkte abernten, dann muss man den Zyklus erneut anstoßen. Meist habe es sich um „Proof-of-concept“-Studien gehandelt. Wie gelingt der Sprung hin zu größeren Mengen?
2D-Technologien lassen sich nicht einfach beliebig ausbauen, da die Oberfläche flacher Kulturschalen begrenzt ist. Deshalb haben Forscher der MHH ein 3D-Verfahren entwickelt. Zellen wachsen in flüssigen Medien. Mehr Volumen bedeutet auch, mehr Zellen herzustellen. Mania Ackermann, Henning Kempf, Nico Lachmann und Kollegen produzierten im Bioreaktor zunächst Makrophagen (Fresszellen). Anders als bei Erythrozyten eignen sich schon geringe Zellzahlen zur Therapie. Gleichzeitig kann der Prozess zur Generierung von Makrophagen kontinuierlich fortgeführt werden. „Ab Tag 20 produzieren Zellaggregate, also Anhäufungen von Zellen, kontinuierlich bestimmte Blutzellen", berichtet Lachmann. Man müsse nur neues Medium zugeben.
Die Forscher zeigten, dass ihre Fresszellen bei Mäusen eine durch Pseudomonas sp. ausgelöste Pneumonie abschwächt. Als Vergleich dienten Nager ohne Infusion der in vitro hergestellten Blutzellen. „Unsere Technologie ist so effizient, dass wir die jetzigen Erkenntnisse in nur wenigen Schritten auf größere, noch effizientere Bioreaktoren übertragen können, um so Blutzellen im industriellen und qualitätskontrollierten Maßstab herzustellen“, sagt Lachmann. Perspektivisch hält er es für möglich, in wenigen Jahren größere Mengen an Erythrozyten zu generieren.
Allison Blair von der University of Bristol experimentiert ebenfalls in dem Bereich. Sie machte spezielle Vorläuferzellen von Erythrozyten, sogenannte frühe adulte Erythroblasten, durch gentechnische Veränderungen unsterblich. Ohne diesen Trick kommt es nach der Hayflick-Grenze, einer Maximalzahl an Teilungsvorgängen, nach etwa 52 Zyklen zur Apoptose. Die immortalisierten Zellen differenzieren in funktionsfähige rote Blutkörperchen. Sie plant jetzt, zehn Freiwilligen eine geringe Menge künstlich hergestellter Erythrozyten zu verabreichen. Bleibt nur, auf die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zu warten.
Alternativen zu Zellen aus dem Reaktor gibt es nicht, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt. Über Jahre hinweg wurden Perfluorcarbone (PFC), also Kohlenwasserstoffe, untersucht. Die Verbindungen lösen Sauerstoff bzw. Kohlendioxid und ersetzen damit wichtige Aufgaben von Erythrozyten. Sie sind inert, flüchtig und lösen sich nicht in Wasser. Deshalb kommen Emulsionen zum Einsatz. Emulgatoren biologischen Ursprungs wie Phospholipide halten stabilisieren PFC-Tröpfchen mit 100 bis 200 Nanometern Durchmesser. Dem steht als Nachteil gegenüber, dass PFC nicht vom Körper abgebaut werden. Zellen des retikuloendothelialen Systems, also des retikulären Bindegewebes, speichern die Verbindungen. Mitunter kommt es zu Störungen der Immunabwehr.
Auf den ersten Blick erscheint freies Hämoglobin (Hb) ebenfalls eine Alternative zu sein. Der eisenhaltige Proteinkomplex transportiert Sauerstofftransport in Erythrozyten. Freies Hb ist jedoch instabil, es zerfällt in nephrotoxisch wirkende Untereinheiten. Außerdem passiert Hb das Endothel von Blutgefäßen und bindet Stickstoffmonoxid: ein weiterer unerwünschter Mechanismus. Deshalb versuchen Wissenschaftler, Hb-Untereinheiten zu vernetzen. Das gelingt entweder über chemische Modifikationen oder über gentechnologisch hergestelltes Hb mit Aminosäure-Brücken. Alle Strategien haben in der Humanmedizin – von klinischen Studien abgesehen – keine große Bedeutung mehr, seit die Zellbiologie derart rasante Fortschritte macht.
Artikel von Michael van den HeuvelBildquelle: Three-shots, pixabay