Sowohl als Arzt als auch als Patient hat man zunächst einmal im Kopf, dass es einen Zusammenhang zwischen der Dosis eines Medikamentes und dessen Wirkungen und Nebenwirkungen gibt, und das ist ja auch richtig. Man kennt das vom Alkohol: Wenn ich ein Glas Wein trinke, entspannt mich das, wenn ich fünf Gläser Wein trinke, wird die Zunge schwer und der Gang unsicher.
Was viel stärker mit Wirkungen und Nebenwirkungen zusammenhängt als die Dosis, ist aber der Blutspiegel. Auch das kennt man vom Alkohol. Der schwere Bayer braucht mehr Gläser Bier, um auf einen Blutspiegel von 0,8 Promille zu kommen. Die leichte Hamburgerin braucht weniger. Wenn man die beiden nach drei Maß Bier untersucht, findet man sehr unterschiedliche Nebenwirkungen. Wenn man aber beide bei 0,8 Promille untersucht (dafür muss der schwere Bayer mehr Bier trinken als die Hamburgerin), sind die Nebenwirkungen vergleichbarer.
Gut, es gibt auch noch den Gewöhnungseffekt, den lasse ich mal außen vor. Die Wirkungen und Nebenwirkungen des Alkohols lassen sich also besser mit dessen Blutspiegel ins Verhältnis setzen als mit der Menge der getrunkenen Gläser. Deswegen gibt es in der Straßenverkehrsordnung auch keine Begrenzung der getrunkenen Menge, sondern Grenzen des erreichten Blutspiegels.
Gleiche Dosis, doppelt so hoher Wirkspiegel
Auch bei Medikamenten und Psychopharmaka ist es so, dass eine bestimmte Dosis bei unterschiedlichen Menschen zu sehr unterschiedlichen Blutspiegeln führen kann und dieser Effekt ist weit ausgeprägter, als wir es vom Alkohol kennen. Es ist sehr wohl möglich, dass ein Patient bei der Standarddosis eines Medikamentes nur die Hälfte des üblichen Blutspiegels aufbaut und die erwünschte Medikamentenwirkung ausbleibt. Ein anderer Patient baut bei der gleichen Dosis das Doppelte des normalen Wirkspiegels auf und leidet unter starken Nebenwirkungen. Daher ist es auch in der Psychopharmakologie sinnvoll, in bestimmten Situationen den Blutspiegel zu messen.
Vier klassische Situationen
Es gibt vier klassische Situationen, in denen ich den Medikamentenspiegel messen sollte:
Medikamentenspiegel: Zu welchem Zeitpunkt messen?
In der Regel messe ich den Talspiegel im steady-state. Der Talspiegel ist der niedrigste Spiegel der Schwankung über den Tag. Den steady-state erreicht ein Medikament ungefähr nach fünf Halbwertszeiten. Nehmen wir als Beispiel eine Medikation mit Citalopram 10 mg morgens um 08:00 Uhr. Citalopram hat eine Halbwertszeit von knapp zwei Tagen. Wenn ich also am Montag, den 1. Januar mit dieser Dosis anfange, und der Patient folglich jeden Tag morgens eine Tablette Citalopram 10 mg einnimmt, dann erreicht er nach etwa 10 Tagen den steady-state. Ein geeigneter Tag für die Messung wäre also Donnerstag, der 10. Januar. Der Talspiegel wird am Morgen vor der geplanten Tabletteneinnahme erreicht, im Abstand von 23 Stunden und 55 Minuten zur letzten Tablette. Ich nehme also am Donnerstag, den 10. Januar um 07:55 Uhr vor der Tabletteneinnahme den Blutspiegel ab.
Es gibt aber Ausnahmen. So ist es üblich, den Lithium-Spiegel morgens vor der Morgenmedikation zu bestimmen, auch wenn die Hauptdosis des Lithiums abends verabreicht wird; die Referenzbereiche sind auf diese häufige Praxis ausgerichtet. Auch gibt es Medikamente mit einer so kurzen Halbwertszeit, dass der Talspiegel sehr niedrig ist, wie Agomelatin oder ADHS-Therapeutika. Bei diesen Medikamenten misst man den Maximalspiegel eine Stunde nach der Einnahme. Diese Bestimmungen werden in der Praxis aber selten durchgeführt.
Zu hoher Spiegel, zu niedriger Spiegel: Gibt es Regeln für die Korrektur?
Vereinfacht ausgedrückt: Bei vielen Psychopharmaka gibt es einen halbwegs linearen Zusammenhang zwischen Dosis und Blutspiegel. Das heißt, wenn der Blutspiegel nur halb so hoch ist, wie angestrebt, dann erwarte ich, dass ich die Dosis in etwa verdoppeln muss, um mein Ziel zu erreichen. Das mache ich natürlich dennoch in kleinen Schritten unter zwischenzeitlicher Spiegelkontrolle. Bei Lithium funktioniert diese Daumenregel oft ganz gut. Wenn ein Spiegel andererseits doppelt so hoch ist, wie ich es anstrebe, dann lege ich zwei Halbwertszeiten Pause ein und taste mich danach erst mal an die Hälfte der früheren Dosis heran, wieder unter zwischenzeitlichen Spiegelkontrollen.
Diese Daumenregel gilt nicht für alle Medikamente. Und sie gilt ausschließlich, wenn ich nur ein Medikament in Monotherapie gebe. Sobald ich mehrere Medikamente kombiniere, die eine pharmakokinetische Wechselwirkung miteinander eingehen, gilt diese Daumenregel nicht mehr. Wenn ich zum Beispiel ein Medikament gebe, das den Abbau eines anderen Medikamentes bremst, kann eine Dosissteigerung dieses Medikaments um 10 % leicht zu einer Blutspiegelsteigerung von 50 % führen.
Empfehlungen der Experten
Es gibt seit langem eine Arbeitsgruppe, die Konsensus-Leitlinien für das Therapeutisches Drug-Monitoring in der Neuropsychopharmakologie herausgibt. Aktuell koordiniert der Deutsche Psychopharmakologe Prof. Hiemke diese Gruppe. Im Update 2017 wird sehr ausführlich der aktuelle Stand sowie das Best-Practise-Vorgehen zur Bestimmung und Interpretation der wichtigsten Neuropsychopharmaka dargestellt.
Das englischsprachige Papier von Hiemke et al. findet sich als PDF hier.
Therapeutische Referenzbereiche
Ich habe in diesem Kapitel die Therapeutischen Referenzbereiche nur der Medikamente zusammen gestellt, die ich in meinem Buch Psychopharmakotherapie griffbereit behandele. Diese sind in der folgenden Tabelle aufgeführt:
Und wie verwendet ihr TDM? Berichtet mir von euren Erfahrungen in den Kommentaren.
Quellen:
Consensus Guidelines for Therapeutic Drug Monitoring in Neuropsychopharmacology: Update 2017 Hiemke, C. et al., Pharmacopsychiatry, doi: 10.1055/s-0043-116492, 2018
Konsensus-Leitlinien für therapeutisches Drug-Monitoring in der Neuropsychopharmakologie: Update 2017 Hefner, G. et al, Psychopharmakotherapie, 2018