Eine Patientin wird mit einer vermeintlichen Angststörung aus einer Klinik entlassen. Als sie zum dritten Mal in die Notaufnahme eingeliefert wird, untersuchen die Ärzte sie genauer – können aber keine Diagnose stellen. Erst die Befragung ihres Ehemanns bringt die Ärzte auf die richtige Spur.
Bei der Gartenarbeit schmerzt und kribbelt plötzlich der rechte Arm der 65-Jährigen. Als sich drei Tage später immer noch keine Besserung einstellt, sucht die Frau ihren Hausarzt auf. Dieser diagnostiziert das Karpaltunnelsyndrom und verschreibt ihr ein entzündungshemmendes Medikament (NSAR) sowie Hydrocodon. Doch der Frau geht es immer schlechter. Am nächsten Tag stellt sich die Patientin mit Kurzatmigkeit, Insomnie und Schluckstörungen in einer Klinik vor. Dort macht sie einen ängstlichen Eindruck und erklärt den Ärzten, sie fürchte sich davor, einer giftigen Substanz ausgesetzt worden zu sein.
Die vermeintliche Panikattacke
Das können die Ärzte allerdings nicht bestätigen. Die körperliche Untersuchung, eine Blutanalyse, ein Elektrokardiogramm sowie ein Röntgenthorax sind unauffällig. Die Ärzte verschreiben ihr Lorazepam (0,75 mg), um die vermeintliche Panikattacke zu behandeln und entlassen die Frau. Als sie sich auf den Heimweg machen will, hat sie plötzlich große Angst davor, in ihr Auto zu steigen. Sie kehrt in die Notaufnahme zurück, bekommt dort eine weitere Dosis Lorazepam (0,25 mg) und wird erneut entlassen.
Am nächsten Tag verschlimmert sich ihr Zustand. Die Parästhesie in ihrem Arm breitet sich bis in die Schulter aus, sie ist kurzatmig, hat Schmerzen in der Brust und ist zunehmend ängstlich. Der Rettungsdienst bringt sie daraufhin in ein anderes Krankenhaus. Die Patientin hat Herzasen, ist agitiert und hat Schwierigkeiten mit willkürlichen Bewegungsabläufen (Dysmetrie). Die Laboruntersuchung zeigt erhöhte Troponin-I-Werte (1.05 ng/mL (normal < 0.02 ng/mL)), was auf einen Herzmuskelschaden hindeutet. Die Ergebnisse der Elektrokardiographie geben ebenfalls Hinweise auf eine Myokardischämie. Die Ärzte ordnen daraufhin eine Herzkatheteruntersuchung an, die jedoch ohne Befund bleibt.
Im Laufe des Tages wird die Patientin immer aggressiver. Zunächst rätseln die Ärzte weiter, was die Ursache für ihren Zustand ist. Doch bald kommt ihnen ein Verdacht, als die Ärzte bemerken, dass sie schläfrig wird, beim Trinken aufgeregt nach Luft schnappt und der Speichefluss zunimmt.
Die Ärzte befragen den Ehemann, ob die Patientin vor Kurzem im Ausland war oder Kontakt zu wilden Tieren hatte. Und tatsächlich: Die Frau war bis vor wenigen Wochen auf einer mehrmonatigen Yoga-Reise in Indien und wurde dort von einem Hundewelpen gebissen. Laut des Ehemanns reinigte sie die Wunde, auf weitere medizinische Versorgung verzichtete sie aber. Schutzimpfungen habe sie auch nicht gehabt. Zwei Tage nach der Befragung bestätigt sich der Verdacht mittels Liquoruntersuchung: Die Frau leidet an Tollwut.
Die intubierte Patientin hat laut Elektroencephalographie inzwischen massive Hirnschäden erlitten. Die erfolgreiche Behandlung der Tollwut in so einem fortgeschrittenen Stadium ist weltweit bislang nur bei wenigen Menschen dokumentiert. Trotzdem wagen die Ärzte den Versuch und beginnen die Therapie nach dem sogenannten Milwaukee-Protokoll. Dabei wird die Patientin mit Ketamin und Midazolam in ein künstliches Koma versetzt, wodurch das Nervensystem vor den Folgen der Infektion geschützt werden soll. Außerdem verabreichen sie den virustatischen Arzneistoff Favipiravir.
Doch die Maßnahmen nützen nichts und die Patientin stirbt einige Tage später. Die ansässige Gesundheitsbehörde veranlasst daraufhin eine großangelegte Untersuchung des Falls, um die Ausbreitung des Virus und weitere Infektionen zu verhindern. Immerhin hatte die Frau vor der Diagnose Kontakt zu zahlreichen anderen Menschen. So konnten 258 Personen – hauptsächlich Klinikangestellte – identifiziert werden, die möglicherweise infektiösem Material ausgesetzt gewesen waren. 72 von ihnen erhielten zur Sicherheit die Postexpositionsprophylaxe (PEP). Glücklicherweise trat kein weiterer Tollwut-Fall auf.
Quelle:
Human Rabies — Virginia, 2017 Julia Murphy et al., Centers for Disease Control and Prevention; Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR): 67(5152);1410–1414, 2019
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