Wer in der Schwangerschaft oder Stillzeit erkrankt, hat schlechte Karten. Denn klassische Arzneistoffe haben bei diesen Patientinnen keine Zulassung. Bei Ärzten sorgt das für Verunsicherung. Wo bekommen sie dennoch Informationen her?
Wie andere Frauen können auch schwangere Frauen einmal krank werden. Bei ihnen muss die Therapie in vielen Fällen aber anders verlaufen als üblich. Das geschieht leider nicht immer, weil anscheinend auch Ärzte unsicher sind. So berichtet uns eine schwangere Patientin von ihrer Erfahrung. „Ich hatte eine hochgradig ansteckende virale Augenentzündung“, erzählt Jenni Gövert. Ihr 4-jähriger Sohn litt die Woche zuvor an ähnlichen Beschwerden. Sie rechnete bei sich ebenfalls mit schneller Hilfe, wurde aber unangenehm überrascht.
Ratlosigkeit am Rezeptblock
Die werdende Mutter ging also zum Hausarzt: „Er sagte mir, alle Präparate, die er aufschreiben könnte, dürfe ich während der Schwangerschaft ohnehin nicht nehmen.“ Also ging sie ohne Rezept nach Hause und hoffte auf Besserung – auch ohne Medikamente. Doch ihr Infekt verschlimmerte sich.
Als Biologielehrerin ist Gövert mit der Materie durchaus vertraut und ließ nicht locker. Sie recherchierte im Internet, fand aber widersprüchliche Informationen. Also suchte sie sich über Bewertungsportale einen Augenarzt. Nach der Untersuchung wollte er ihr parallel antibiotische und antivirale Augentropfen verschreiben, wahrscheinlich aufgrund einer Superinfektion. Auf die Frage, ob sie die Medikamente denn überhaupt während der Schwangerschaft nehmen dürfe, antwortete der Augenarzt lapidar: „Das weiß ich doch nicht, aber ich würde sie an Ihrer Stelle nehmen.“
Diese Aussage verärgerte sie nicht nur, sie verunsicherte sie auch. Bei der Abwägung zwischen möglichen Risiken für das ungeborene Kind und möglichen Risiken für die Augen konnte der Augenarzt jedenfalls keine Hilfestellung bieten. „Er riet mir nur, bei meiner Frauenärztin anzurufen“, erzählt Gövert weiter. „Dafür musste ich dann noch eine Privatrechnung begleichen.“ Weitere Recherchen fanden nicht statt. „Ich fühlte mich richtig alleingelassen“, berichtet die Patientin.
Vorsichtig formulierte Beipackzettel
Eine solche Reaktion lässt ratlos zurück. „Die Pharmakotherapie bei Schwangeren oder Stillenden ist schwierig, weil aus ethischen Gründen hier keine Studien durchführen können“, bestätigt Prof. Dr. Michael Abou-Dakn, Chefarzt der Gynäkologie am St. Joseph Krankenhaus Berlin-Tempelhof. „Und die Industrie ist nach allen bisherigen Erfahrungen, Stichwort Contergan, sehr vorsichtig geworden.“
Der Experte ergänzt: „Selbst bei unproblematischen Medikamenten finden sich Hinweise, dass Pharmakotherapien während der Schwangerschaft oder Stillzeit ausgeschlossen werden.“ Hier rät Abou-Dakn zu Recherchen in der Literatur oder bei Embryotox, dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie.
Das ist leichter gesagt als getan. Abou-Dakn erzählt von anderen Frauenärzten in der Gynäkologie: „Selbst bei den schwangeren Frauen von Kollegen kam es schon vor, dass sich ihre Partner, also der Arzt, keine Gedanken um die Pharmakotherapie gemacht haben. Leider machen sich nicht alle Ärzte die Mühe, um in Lehrbüchern nachzuschlagen oder bei Embryotox zu recherchieren.“
Auch die Therapietreue stellt Ärzte ebenfalls vor Herausforderungen. „Man muss Frauen explizit darauf hinweisen, dass sie trotz der Schwangerschaft – oder gerade deswegen – Arzneimittel benötigen“, ergänzt Abou-Dakn. Wichtig sei, zu erklären, wie es zu den Texten in Fachinformationen komme. „Wer einfach nur etwas verschreibt, ohne zu erklären, muss mit einer schlechten Compliance rechnen“, sagt der Experte. Eine Basis für Gespräche finden Health Professionals bei Embryotox.
So funktioniert Embryotox
Embryotox bietet Ärzten sowie Laien kostenlose Beratung und Information an. Dazu gehört einerseits das umfangreiche Portal mit zwei großen Rubriken:
„Wir beraten pro Jahr 14.000 Ärzte und Patientinnen auf Basis vorhandener Daten“, erzählt Privatdozentin Dr. Katarina Dathe. Die Humangenetikerin arbeitet am Pharmakovigilanzzentrum Embryonaltoxikologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. 30 Prozent aller Anfragen betreffen psychoaktive Substanzen, 30 Prozent Infektionen bzw. Antiinfektiva und der Rest verteilt sich auf sonstige Indikationen bzw. Wirkstoffgruppen.
Mittlerweile gebe es bei jungen Frauen jede nur erdenkliche Indikation – von Rheuma bis zu Bluthochdruck oder Migräne, so die Expertin weiter. „Anfragen zu teratogenen Substanzen sind zum Glück eher selten. Dazu zählen beispielsweise Valproinsäure bei Epilepsie oder Isotretinoin bei Akne. In diesen Fällen suchen Embryotox-Experten den direkten Kontakt zur Arztpraxis. „Solche Gespräche wären mit den Patientinnen alleine eher schwierig zu führen, weil man nicht weiß, wie weit eine Schwangerschaft schon fortgeschritten ist und ob der Arzt vielleicht sogar schon Fehlbildungen diagnostiziert hat“, erzählt Dathe.
In diesen Fällen ist ein Abort nach weiterer Beratung zumindest denkbar. In vielen Fällen gibt das Embryotox-Team auf Basis von publizierten Informationen oder eigener Daten jedoch Entwarnung. Wie gehen Wissenschaftler dabei vor?
Forschung: Lernen aus Medikationspannen
Zum Hintergrund: Etwa 45 Prozent aller Schwangerschaften sind ungeplant, aber nicht zwangsläufig ungewollt. Das heißt, zu Beginn des ersten Trimenons nehmen Frauen, die von ihrer Schwangerschaft noch nichts wissen, Arzneistoffe ein. Ist der Schwangerschaftstest dann positiv, suchen sie oder ihre Ärzte Kontakt zu Embryotox.
Mit Zustimmung der Betroffenen erfassen Forscher alle Grunderkrankungen, Medikationen mit Dosis und Dauer sowie den Zeitpunkt der Exposition. Dies sei wichtig, so Dathe, um die „absolute Lücke“ bei der Versorgung Schwangerer zu schließen. Geben Frauen oder Ärzte ihre Zustimmung, erhalten sie acht Wochen nach dem errechneten Geburtstermin einen Fragebogen. Sie machen Angaben zum weiteren Schwangerschaftsverlauf, zur Geburt und zum Neugeborenen. Falls Anomalien vorliegen, erfasst das Embryotox-Team auch hier Details.
Sind ausreichend viele Daten zur Exposition im ersten Trimenon vorhanden, werten Forscher ihre Ergebnisse im Rahmen von Beobachtungsstudien aus. „Damit können wir die Sicherheit eines bestimmten Arzneistoffs in der Schwangerschaft besser abschätzen“, so Dathe. An der Bereitschaft, sich zu beteiligen, mangelt es nicht. Die Forscherin berichtet von hohen Rücklaufquoten – weit mehr als jeder zweite verschickte Fragebogen kann ausgewertet werden. Health Professionals und Patientinnen können sich auf eine neutrale Beratung verlassen.
Unabhängig von der Industrie
Für seine bundesweiten Beratungsleistungen wird Embryotox durch die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit finanziert. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stellt projektspezifische Gelder zur Erforschung der Arzneimitteltherapiesicherheit zur Verfügung. Ansonsten bleibt die klassische Drittmittelakquise, wie in der Forschung heute üblich. Ansonsten stellt sich natürlich die Frage, ob Gelder von Herstellern kommen. Schließlich leistet Embryotox einen Beitrag zur Sicherheit und letztlich auch zum Umsatz. Aber weit gefehlt: „Aufgrund unserer Expertenfunktion für das BfArM ist es notwendig, industrieunabhängig zu arbeiten und keine potenziellen Interessenkonflikte zu haben“, berichtet Dathe.
Gut versorgt bei vielen Krankheiten
Doch wie ging es mit der Biologielehrerin weiter? Jenni Gövert kontaktierte ihre Frauenärztin und hörte im Hintergrund, während sie telefonierten, dass die Ärztin am Computer recherchierte. Ob es Embryotox war, weiß sie nicht. Das verschriebene Virustatikum sei jedenfalls tabu, sagte die Frauenärztin.
Anders hätte es bei rein bakteriellen Infektionen ausgesehen: „Die Behandlung bakterieller Infektionen in der Schwangerschaft und Stillzeit stützt sich im Wesentlichen auf β-Lactam-Antibiotika“, heißt es auf der zugehörigen Themenseite von Embryotox. „Penicilline und Cephalosporine sind für die Schwangerschaft am besten untersucht und auch in Kombination mit einem β-Lactamase-Hemmstoff Mittel der ersten Wahl. Als Alternative z.B. bei Allergie stehen Makrolide zur Verfügung.“
Bildquelle: Graeme Maclean, flickr