An Kliniken wird teure ärztliche Arbeitskraft für die Erledigung administrativer und anderer nichtärztlicher Aufgaben vergeudet. Um in den Führungsetagen ein Umdenken zu erzwingen, muss sie kostbarer werden.
In Deutschland herrscht Vollbeschäftigung unter den Ärztinnen und Ärzten. Ärztliche Arbeitskraft wird händeringend gesucht. Oder, wie BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery Anfang dieses Jahres konstatierte: »Uns fehlen Arztstunden.«[1]
Dieser Befund scheint für Ärztinnen und Ärzte in Kliniken jedoch nicht zu gelten, wie die durch das IQME im Jahr 2017 im Auftrag der Ärztegewerkschaft »Marburger Bund« durchgeführte Online-Befragung unter angestellten Ärzten in Deutschland zeigt[2]: 90 % der Befragten waren demnach täglich mehr als eine Stunde, 55 % sogar mehr als zwei Stunden pro Tag mit administrativen Aufgaben (Verwaltung, Organisation) beschäftigt – Tendenz im Vergleich zur vorherigen Befragung 2015 deutlich steigend. Zugleich fehlte zwei Dritteln Zeit für die Behandlung ihrer Patienten.
Wenn Klinikärzte arztferne Tätigkeiten durchführen, z. B. Arztbriefen von Zuweisern hinterhertelefonieren, Krankheiten nach ICD kodieren oder Untersuchungen organisieren, die hierfür benötigte Zeit aber auf Kosten der Zeit für ärztliche Tätigkeiten geht, dann wird ärztliche Arbeitskraft ineffizient und somit ökonomisch unklug eingesetzt. Denn diese Aufgaben könnte spezialisiertes nichtärztliches Personal (z. B. Stationssekretäre, Codierer, Pflegekräfte) schneller, oft besser und dazu noch deutlich kostengünstiger erledigen; der Arzt könnte sich dann ganz auf seine ärztlichen Tätigkeiten fokussieren und diese effektiver ausführen – was dem Patienten und letztlich auch der Klinik zugutekäme.
Vergeudung ärztlicher Arbeitskraft – warum?
Dies bedeutet aber auch: Solange die Klinken sich den Luxus leisten, teure ärztliche Arbeitskraft für nichtärztliche Tätigkeiten zu verschwenden, sind Arztstunden in Kliniken offenbar im Übermaß vorhanden.
Doch warum ändert das Management vieler Krankenhäuser nichts an dieser Situation?
Zu vermuten ist somit eher: die Fehlallokation beruht auf der Scheu vor Veränderung und einem bequemen, aber irrationalen »Weiter so« in den Führungs- und Managementetagen. Somit werden vielerorts ineffiziente Strukturen und Prozesse fortgeführt und auch fragwürdige Arbeitsbedingungen beibehalten, die oft noch aus den Zeiten der »Ärzteschwemme« stammen.
Die achtlose Verschwendung ärztlicher Arbeitskraft aber ist nicht nur kostspielig und belastet Ärzte und Patienten, sondern sie macht nicht zuletzt den Beruf des Klinikarztes unattraktiv. Kein Wunder, dass viele Ärzte den Weg ins Ausland suchen oder in andere Berufe wechseln – gemäß der Umfrage erwägt mehr als ein Fünftel der Befragten, die ärztliche Tätigkeit vollständig aufzugeben.
Ein Blick in die Schweiz
Das Problem der Fehlallokation existiert auch in der Schweiz. Dort verbringen internistische Klinikärzte mancherorts nur circa 90 Minuten ihres zehnstündigen Arbeitstages am Patientenbett[4] und es überwiegen deutlich diejenigen Tätigkeiten, die nur indirekt auf den Patienten bezogen sind, wobei die Dokumentation die meiste Zeit benötigt[5]. Der dortige Berufsverband der Ärzte VSAO (Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte) führt daher seit einiger Zeit eine Informationskampagne, um die Fehlallokation ärztlicher Arbeitskraft zu vermindern[6]: dabei werden anhand von Fallbeispielen Wege aufgezeigt, wie Ärzte durch produktivitätssteigernde Hilfsmittel und andere Berufsgruppen entlastet werden können, etwa durch
Zudem wurde für zwei Stunden ein Infostand im Schweizer Parlament aufgestellt, und die dortige Ärztezeitung veröffentlichte einen umfangreichen Artikel über die Kampagne[8].
Dies muss man sich jedoch auf der Zunge zergehen lassen: der Berufsverband der Assistenz- und Oberärzte erteilt in einer groß angelegten Kampagne den Klinikmanagern Nachhilfe darin, wie man Arbeitskraft richtig allokiert, wie man sie also zum Zweck der Gewinnsteigerung effizient einsetzt. Dass die meisten Kliniken und ihre Manager darauf nicht schon längst von selbst gekommen sind und entsprechende Schritte unternommen haben, lässt tief blicken – und mutmaßen, welchen Effekt die Kampagne haben wird: wohl keinen großen.
Veränderung durch die normative Kraft des Faktischen
Eine effektivere Maßnahme wäre, ärztliche Arbeitskraft so kostbar zu machen, dass das Management durch die normative Kraft des Faktischen zu effizienzsteigernden Umstrukturierungen gezwungen würde. Tatsächlich stiegen die Arztgehälter in der Vergangenheit kontinuierlich, und zwar stärker als die Inflation – doch das Problem der Fehlallokation besteht weiterhin und nimmt sogar zu.
Es gibt aber noch einen anderen Weg, ärztliche Arbeitskraft kostbarer zu machen: Verknappung des Arbeitsangebots, und zwar durch eine deutliche Verkürzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit aller angestellten Klinikärzte bei vollständigem Gehaltsausgleich.[9]
Jede durch arztferne Tätigkeiten fahrlässig verursachte Überstunde hätte dann für den beschäftigten Klinikarzt entsprechenden Freizeitausgleich oder aufgrund von Zeitzuschlägen eine um mindestens 15 % erhöhte Vergütung zur Folge – was für die Klinik entsprechenden künftigen Arbeitsausfall oder deutlich erhöhte Kosten bedeutete.
Nur sehr bornierte Manager würden dies nicht zum Anlass nehmen, um Fehlallokationen zu reduzieren und wertvolle ärztliche Arbeitskraft endlich sinnvoll und effizient einzusetzen.
Endnoten:
[1] Bundesärztekammer, »Ärztestatistik 2017. Wer nur die Köpfe zählt, macht es sich zu einfach«, https://www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/aerztestatistik/aerztestatistik-2017/ (23.12.2018)
[2] Institut für Qualitätsmessung und Evaluation GmbH, »MB-Monitor 2017. Ergebnisbericht der Mitgliederbefragung«, https://www.marburger-bund.de/sites/default/files/files/2018-09/gesamtauswertung-mb-monitor-2017-presse-pk-website.pdf (23.12.2018)
[3] Die Bundesagentur für Arbeit weist in ihrem monatlichen Arbeitsmarktbericht zum einen »klassische« Arbeitslose aus (im November 2018: ca. 2,2 Millionen), deren Zahl auch in den Medien als offizielle Arbeitslosenzahl verkündet wird. Zwar im Arbeitsmarktbericht, kaum aber in den Medien tauchen dagegen die »nichtklassischen« Arbeitslosen auf (im November 2018: ca. 1 Million): Arbeitslose, die krank gemeldet sind, älter als 58 Jahre alt sind, bei privaten Vermittlern gemeldet sind, Ein-Euro-Jobber etc. Diese »nichtklassischen« Arbeitslosen werden mit den »klassischen« Arbeitslosen zu den sogenannten »Unterbeschäftigten« zusammengefasst. Insgesamt beträgt deren Zahl aktuell (Stand November 2018) rund 3,2 Millionen. Übrigens: vor 50 Jahren lag die Arbeitslosigkeit bei weit unter einer Million. Bundesagentur für Arbeit, »Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt November 2018«, https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/Arbeitsmarktbericht-11-18_ba026360.pdf (23.12.2018); Agentur für Arbeit, »Unterbeschäftigung«, https://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statistik/Grundlagen/Arbeitslosigkeit-Unterbeschaeftigung/Unterbeschaeftigung-Nav.html (23.12.2018)
[4] Simon Martin Frey, Marie Méan, Antoine Garnier, Julien Castioni, Nathalie Wenger, Michael Egloff und Jürg-Hans Beer, »The ›Rösti‹-Study: a time motion study comparing the allocation of time of internal medicine residents in two Swiss hospitals. A Comparison of a Swiss German Cantonal Teaching Hospital with a University Hospital in the French Speaking Part of Switzerland«, http://vsao-kampagne.dev.mxm.ch/wp-content/uploads/2018/08/AU_Vergleichsstudie-Baden-und-Lausanne_2017_EN_20180830.pdf (23.12.2018)
[5] Nathalie Wenger u. a., »Allocation of Internal Medicine Resident Time in a Swiss Hospital. A Time and Motion Study of Day and Evening Shifts«, in: Annals of Internal Medicine 166/8 (2017), S. 579–586
[6] www.medizin-statt-buerokratie.ch
[7] VSAO, »Medizin statt Bürokratie. Weniger administratie Aufgaben für Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte«, https://www.medizin-statt-buerokratie.ch/wp-content/uploads/2018/08/VSAO_Broschuere-min.pdf (23.12.2018)
[8] Marcel Marti, »›Medizin statt Bürokratie!‹ - konstruktiv und konkret«, in: Schweizerische Ärztezeitung 99/34 (2018), S. 1097-1098
[9] Für die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit gibt es mehrere Äquivalente: Verkürzung der täglichen Arbeitszeit, Verringerung der Zahl der Arbeitstage pro Woche oder Erhöhung des Jahresurlaubs. Möglich ist auch eine Kombination der drei Äquivalente.