Insulin ist Gift, soll Kräuterheiler Timothy Morrow zu Familie Lopez gesagt haben. Obwohl Edgar Typ-1-Diabetiker war, verabreichten ihm seine Eltern keine Insulinspritzen mehr und setzten auf Kräuterbehandlungen. Der 13-Jährige starb im Jahr 2014.
Am Los Angeles Superior Court kam es im vergangenen Monat zur Verurteilung eines Kräuterheilers, wie der US-amerikanische KABC-Sender Kanal 7 berichtete. Schuldig gesprochen wurde nun Timothy Morrow, ein 84-jähriger Kräuterheiler. Der Grund: Er beriet und behandelte Menschen, ohne eine Approbation zu besitzen. Einer seiner Patienten verstarb im Jahr 2014, nachdem Morrow von einer Gabe von Insulin abgeraten hatte.
„Welcome to the university of common sense.“ So eröffnet Morrow viele seiner unzähligen Videos auf Youtube. In diesen Vorträgen beschreibt er, wie man allein mit gesundem Menschenverstand, der Kraft Gottes und der therapeutischen Anwendung von Kräutern Leiden heilen kann. In der Medizin hingegen sieht er keinen Mehrwert. Auch als er schwer an Prostatakrebs erkrankt war, konnte nur er selbst sich heilen – Medizin half ihm nicht, sie verschlechterte seinen Zustand sogar, wie er in den Videos erklärt. Unerwähnt bleibt auch seine Produktlinie „Common Sense“ auf Kräuterbasis nicht, die er über einen Online-Shop verkauft. Es ist der klassische Erzählstrang eines Wunderheilers, den man nicht ernst nehmen sollte. Für jene, die es dennoch tun, kann es gefährlich werden.
Ein tragisches Beispiel ist die mexikanische Familie Lopez. Sohn Edgar hatte von einem Pädiater die Diagnose Typ-1-Diabetes erhalten und nahm ab diesem Zeitpunkt Insulin per Injektion ein. Morrow überzeugte die Eltern zu einem späteren Zeitpunkt aber davon, dass Insulin für ihren Sohn Gift sei, er solle die Insulintherapie unbedingt unterlassen. Stattdessen riet Morrow unter anderem dazu, Edgars Rücken mit Lavendelöl einzureiben. Außerdem empfahl er die Einnahme von „Pancreas Reg“, eines seiner Produkte, das er laut Zeugenaussage von Mutter Madriga Lopez als „Insulin Gottes“ bezeichnete. Zu den Inhaltsstoffen dieser Tabletten zählen mitunter Bananenblätter, Kaktusfeigenblätter oder Orangenwurzel.
Die folgenden zwei Monate nach dem Insulinverzicht ging es dem Jungen noch gut, doch dann verschlechterte sich sein gesundheitlicher Zustand dramatisch. Morrow versicherte den Eltern, es handle sich lediglich um eine „healing crisis“. Ein Krankenhausbesuch ende fatal, dort würde man den Jungen töten, soll Morrow laut Vater Solis Lopez gesagt haben, berichtete KABC. Nach der Krise sei Edgars Diabetes für immer überstanden, versprach der 84-Jährige damals. Letztendlich starb der Junge im August 2014.
Wegen der Ausübung eines medizinischen Berufs ohne notwendige Lizenz wurde Morrow schuldig gesprochen und von Richterin Victoria B. Wilson zu vier Monaten Haft im Los Angeles County Jail verurteilt, berichtete der lokale TV-Sender CNBC Los Angeles. Hinzu kommen 48 Monate auf Bewährung, eine Geldstrafe über 5.000 US-Dollar und aufgrund der Kindesmisshandlung ein gerichtlich verordnetes Beratungsjahr sowie die Kostenübernahme der Beerdigungskosten als Entschädigungszahlung für die Familie des Opfers, schrieb die Washington Post.
Des Weiteren wurde Morrow dazu aufgefordert, sämtliche Publikationen sowie Youtube-Videos aus seinem Kanal zu entfernen, in denen er zu Kräutern anstelle von ärztlicher Behandlung rät. Zudem muss er künftig deutliche Warnhinweise auf seine Kräuterprodukte drucken. Der Angeklagte wurde darauf hingewiesen, dass er des Mordes beschuldigt werden kann, sollte er weiterhin medizinische Ratschläge erteilen, die zum Tod eines anderen Menschen führen.
In der Frage, ob Morrow sich auch im Punkt der Kindesmisshandlung schuldig gemacht hat, herrscht Uneinigkeit. Nach drei Tagen andauernder Diskussionen kamen die Geschworenen zu keinem einstimmigen Urteil. Am 22. März muss Morrow vorstellig werden, um seine Gefängnisstrafe abzusitzen.
„Niemand hielt eine Waffe auf Edgar. Niemand hielt eine Waffe auf Edgars Mutter. Niemand stahl Insulin aus dem Haus, sodass Edgars Mutter es nicht hätte anwenden können“, verteidigte Sanford Perliss seinen Mandanten vor Gericht. „Ist es ein Verbrechen, anderen Menschen über seine Erfahrungen zu berichten?“, fragte er die Anwesenden.
Eine Frage, die in der Berichterstattung nicht aufgegriffen wird: Inwiefern sind Edgars Eltern für seinen Tod verantwortlich? Anstatt dem Kind die vom Kinderarzt verschriebenen Insulininjektionen zu verabreichen, konsultierten sie einen Kräuterheiler. Solis Lopez gab in seiner Zeugenaussage an, Morrow habe ihn und seine Frau einer Gehirnwäsche unterzogen. „Anfangs hatte ich Zweifel, aber ich ging weiterhin zu seinen Vorträgen. Er hat etwas sehr Überzeugendes“, sagte Mutter Madrigal Lopez vor Gericht. Auf sie habe er „wie eine Art Gott“ gewirkt. Sie soll sogar so überzeugt von Timothy Morrows Lehren gewesen sein, dass sie seine „Common Sense“-Produkte verkaufte und Morrow an andere Personen in ihrem Umfeld weiterempfahl. Für ihre Dienste soll sie Vermittlungsprovisionen in der Höhe von insgesamt 753 US-Dollar erhalten haben.
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