Weil Klaus R. Krebspatienten mit unerforschten Wirkstoffen behandelte und drei von ihnen starben, muss der ehemalige Heilpraktiker am 29. März 2019 vor Gericht. Es geht nicht nur um Klaus R., sondern um die Zukunft des Heilpraktikerwesens. Die Politik plant eine Reform. Wie die aussehen könnte? Wir haben vier Ärzte gefragt.
Im Jahr 2016 hatte Klaus R. Infusionslösungen mit dem Wirkstoff 3-Bromopyruvat selbst hergestellt und dann Krebspatienten in der Brügger Klinik intravenös verabreicht. Drei seiner Patienten starben. Der Grund dafür sollen zu hoch dosierte Infusionen gewesen sein. Am Freitag beginnt der Prozess des Falls „Brüggen-Bracht“. Vor wenigen Tagen sorgte der Heilpraktiker als Berufsbild im Bundestag für eine rege Diskussion: Das Heilpraktikerwesen soll reformiert werden, berichteten Welt und andere Medien mit Verweis auf die Deutsche Textservice Nachrichtenagentur (dts). Im Plenum prallten sehr unterschiedliche Meinungen aufeinander.
Fest steht bisher nur, dass es eine Reform des Heilpraktikerberufs geben soll. Wie diese aussehen wird, ist allerdings noch unklar. Hier die Aussagen aus den verschiedenen Fraktionen:
Unabhängig von der aktuellen Debatte im Bundestag wird seit Jahren kontrovers über die Zukunft des Heilpraktikerwesens diskutiert. So sagte SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach im September vergangenen Jahres in den Stuttgarter Nachrichten: „Als Arzt halte ich die Homöopathie für völlig wirkungslos. Ich wünsche den Kollegen der Union bei diesem Waffengang viel Erfolg.“ Im selben Bericht wurde außerdem der CDU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger mit seinem Vorschlag für eine „eigene Ausbildungsverordnung für Homöopathen und Heilpraktiker“ zitiert. Deutlich äußerte sich auch die FDP wiederholt zum Thema. Jedem sei selbst überlassen, welche Dienstleistungen er kostenpflichtig in Anspruch nehmen möchte – „Für uns ist jedoch ebenso klar, dass sich der Staat nicht zum Gehilfen für Verbrauchertäuschungen machen darf“, hieß es in einem Positionspapier einer Arbeitsgruppe der FDP, das dem Medizinblog MedWatch im November 2018 exklusiv vorlag.
Hitzig diskutiert wurde vor allem im Jahr 2017, als der Münsteraner Kreis sein Memorandum veröffentlichte und eine Neuregelung des Heilpraktikerwesens vorschlug. Seitdem wurden auf Regierungsebene immerhin kleine Schritte gemacht. Zur Zeit existiert der Entwurf für das „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV)“, das am 30. Januar 2019 vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wollte damit Konsequenzen aus den Arzneimittelskandalen in der Vergangenheit ziehen, wie er Ende Januar in einem Video erklärte. Damit ist unter anderem der Fall Brüggen-Bracht gemeint, wie auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums erklärt wird. Ab 29. März beginnt der Prozess in Krefeld, wo sich Klaus R. beim Landgericht Krefeld verantworten muss, berichtete die Rheinische Post. Der Fall verdeutlicht: Der Heilpraktiker wird von Patienten nicht nur bei harmlosen Beschwerden konsultiert, sondern auch bei schwerwiegenden Erkrankungen. „40 bis 90 % aller Patienten mit Tumorerkrankungen nutzen im Verlaufe ihrer Erkrankung Methoden der sogenannten komplementären und/oder alternativen Medizin“, heißt es auf der Website der Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft.
Laut Bundesgesundheitsministerium soll das Gesetz ab Mitte des Jahres in Kraft treten. Unter anderem soll der Rahmen für die Herstellung und Abgabe von Krebsarzneimitteln durch Apotheken deutlich verschärft und die Herstellung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch Heilpraktiker nur noch in Ausnahmefällen erlaubt sein. Zuvor hatte das BGM unter Beteiligung der Länder Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktikeranwärtern entwickelt, die im März 2018 in Kraft traten. Besonders konkret sind die Vorgaben aber nicht: „Sie dienen als Grundlage für die Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten […] und damit als Grundlage für die Entscheidung, ob die Ausübung der Heilkunde durch die betreffende Person eine Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung oder der sie aufsuchenden Patientinnen und Patienten erwarten lässt.“
Auf politischer Ebene gehen die Meinungen darüber, wie es mit dem Heilpraktikerwesen weitergehen soll, stark auseinander. Herrscht unter Ärzten mehr Einigkeit? Wir haben in der DocCheck-Community nachgefragt.
„Es gibt keine Alternativmedizin, sondern nur Medizin“, sagt eine Chirurgin, die unter dem Namen Menschenhandwerkerin auf der DocCheck-Plattform bloggt. „Falls unser gutes Gesundheitssystem wirklich ein Parallelsystem durch Heilpraktiker braucht, so sollte die Zulassung zu diesem Berufszweig zwingend staatlich geregelt sein“, fordert ein Pädiater. „Voraussetzungen müssen sein: Eine einheitliche Ausbildung nach akademischem Vorbild mit einer abschließenden Prüfung vor der Ärztekammer, regelmäßige Fortbildungs- und Qualitätsmanagementnachweise und einen Ausschluss ärztlicher Tätigkeiten wie Gewebeentnahmen oder Injektionen“, ergänzt er. Einen Punkt sieht der Kinderarzt besonders kritisch „Für sehr bedenklich halte ich auch eine Behandlungserlaubnis an Kindern und Jugendlichen.“
Eine Allgemeinärztin schreibt: „Ich finde eine Reform des Heilpraktikerwesens gut und richtig. Persönlich bevorzuge ich die Variante, dass die Voraussetzung für die Zulassung als Heilpraktiker ein erlernter medizinischer Beruf (z.B. Physiotherapie, Pflege, etc.) ist. Das deckt sich auch mit meiner Erfahrung der Kompetenz bei Heilpraktikern.“ Allerdings sieht die Medizinerin das aktuelle Prüfungsverfahren problematisch. „Es muss dann auch die Prüfung für Heilpraktiker fairer werden. Ich weiß von bestimmten Gremien, bei denen niemand (!) im ersten Versuch bestanden hat. Das kann auch nicht richtig sein. Also: Grundausbildung Schulmedizin und eine faire Prüfung, das wäre gut“, so ihr Fazit.
„Es gibt gewisse Bereiche der Medizin, die nicht immer einen Arzt brauchen und in denen seriöse Heilpraktiker gute Arbeit machen“, findet ein Psychiater, fügt allerdings hinzu: „Aber sie müssen ihre Grenzen kennen und erkennen können, wann sie an einen Arzt verweisen müssen. Da liegt das Problem. Selbstüberschätzung oder mangelnde Kenntnis.“ Hier zieht der Experte eine klare Trennlinie. „Gewisse Medikamente können wohl auch von Heilpraktikern vergeben werden. Aber alles Invasive, also Eigenblutbehandlungen oder Infusionen sollten mehr medizinische Kenntnis voraussetzen, als man es in der Heilpraktiker-Ausbildung bekommt.“
Ein wichtiger Punkt, den es aus seiner Sicht zu berücksichtigen gilt, ist der Wissensstand der breiten Masse: „Patienten können kaum unterscheiden, was der Arzt kann und was der Heilpraktiker kann. Wenn die Ärzte aus Sicht der Patienten verzweifeln, machen einige Heilpraktiker Versprechen, die sie erst recht nicht einhalten können. Es hat schon seinen Grund, warum das Medizinstudium so lange braucht. Die Zusammenhänge der Medizin lassen sich nicht in wenigen Kursen vermitteln.“ Die Kompetenz von Heilpraktikern sieht er woanders: „Nachdem 80 % der Medizin aus Zuwendung, Zuhören und Empathie bestehen, haben Heilpraktiker durchaus ihren Platz, wenn sie ihre Grenzen kennen.“
Was für eine Relevanz das Thema Heilpraktiker in Deutschland hat, wird an der großen Zahl der Praktizierenden in diesem Berufsfeld deutlich. Die Daten sind hier nicht offiziell erfasst, deshalb sind die Angaben je nach Bericht unterschiedlich und reichen von 40.000 (NDR) über 43.000 (Nordwest-Zeitung) bis zu 47.000 (Bund Deutscher Heilpraktiker). Wenn man den Beruf auf einem Ärztebewertungsportal sucht, kommt man auf ein Ergebnis von 39.558 Heilpraktikern in Deutschland. Zum Vergleich: Bei Hausärzten listet das Portal 54.198 Mediziner, Statista gibt hier einen Wert von 44.903 Ausübenden an. Ein Auslaufen der staatlichen Erteilung der Heilpraktiker-Erlaubnis, wie die FDP es sich vorstellen kann, hätte also gravierende Auswirkungen auf das Gesundheitswesen und die bundesweiten Versorgungsstrukturen.
Bildquelle: Ken Treloar, unsplash